‚Angst braucht man nur vor der Angst haben. [...] Angst ist eine mächtige Waffe, die uns alle kaputt macht.‘ (Seite 102)
Eva und ihr Mann Stefaan betreiben gemeinsam ein Restaurant, das All Cook Up, und eines Tages stellen sie einen neuen Tellerwäscher ein: Ayoub, einen Flamen mit marokkanischen Wurzeln.
Entgegen aller Vernunft verlieben sich Eva und Ayoub ineinander, Eva trennt sich von ihrem Mann, und die beiden ungleichen Menschen nähern sich immer mehr aneinander an, überwinden kulturelle und religiöse Schranken, überstehen zwischenmenschliche Konflikte, während in Europa Islamophobie und offener Hass auf Muslime immer gesellschaftsfähiger werden.
Ich habe letztes Jahr mit großer Begeisterung ‚Wir da draußen‘ von Fikry El Azzouzi - wie Ayoub ein Flame marokkanischer Herkunft - gelesen, und auch ‚Sie allein‘ hat mich begeistert, auch wenn ‚Sie allein‘ meiner Meinung nach ganz anders als der Vorgänger ist. Dies liegt sicherlich nicht nur an der weiblichen Erzählstimme und Perspektive, die dem Autor übrigens perfekt gelungen ist und die mich vollkommen überzeugt hat, sondern ‚Sie allein‘ ist insgesamt viel gefühlvoller als ‚Wir da draußen‘. El Azzouzi erzählt hier eine Liebesgeschichte, auch wenn Themen wie Islamophobie und Islamismus, Ausgrenzung und Radikalisierung wie in ‚Wir da draußen‘ eine große Rolle spielen.
Der Leser erfährt Ayoubs Namen erst auf Seite 56 des schmalen Romans von El Azzouzi. Bis dahin ist er ein namenloser Migrant mit dem Spitznamen Abu Abwasch - halb Verballhornung seiner Herkunft, halb Abwertung seiner Tätigkeit. Es fällt anfangs schwer, dem schweigsamen und arrogant wirkenden Ayoub näher zu kommen, denn er meidet die Menschen, und er verhält sich abweisend. So erlebt es nicht nur Eva, sondern auch der Leser, der nicht recht weiß, was er mit dieser namenlosen Person anfangen soll, da man so gut wie nichts über ihn erfährt.
Nach und nach öffnet sich Ayoub, wird zu einer Person, die mitfühlend und sanft ist, tolerant und offen, liebenswert und klug. Damit erobert er nicht nur Evas Herz, sondern hat auch mich mit seiner Wärme berührt. Dies war auch der Moment, in dem mich das Buch vollends in seinen Bann geschlagen hat, denn bis dahin hatte ich mich fast ein bisschen vor einer Liebesgeschichte zwischen den Kulturen und Religionen gefürchtet, weil dies in Büchern bisweilen nicht so gut gelingt, wie es beabsichtigt ist, das Ganze rührselig und irgendwie klischeehaft wird. Doch El Azzouzi gelingt mit ‚Sie allein‘ eine sehr gefühlvolle und bewegende Geschichte ohne Pathos und ohne Kitsch, die mich mitgerissen hat und mich mit Eva und Ayoub hoffen und bangen ließ, dass ihre Liebe eine Zukunft hat.
‚Sie allein‘ ist trotz der eher einfachen Sprache nicht mühelos zu lesen, denn die Geschichte um Eva und Ayoub wird immer wieder durchbrochen von Traumsequenzen - Tagträumen und Albträumen -, die man beim Lesen nicht sofort als solche erkennen kann, so dass ich manche Passagen mehrmals lesen musste. Auch die eingestreuten Berichte von Terroranschlägen, Geiselnahmen und religiöser Indoktrination empfand ich anfangs als verwirrend, später als sehr gelungen, denn sie zeichnen ein düsteres Bild unserer Zukunft, und El Azzouzi imaginiert damit eine unheimliche und düstere Welt, in der es zu Anschlägen und Ausschreitungen kommt, die jenseits unserer schlimmsten Vorstellungen liegen, in der es zu extremer Ausgrenzung von Muslimen kommt, in der Europa wahrhaft zu einer Bastion gegen den Islam und gegen die Muslime wird.
Auch wenn ich das Buch sehr gelungen fand, gebe ich zu, dass mir einige Episoden fremd geblieben sind, die ich inhaltlich und in Sachen Symbolcharakter nicht recht einordnen konnte, und auch die Dialoge fand ich bisweilen etwas hölzern. Alles in allem hat mich ‚Sie allein‘ mit seinen vielen berührenden Momenten jedoch aufgewühlt, abwechselnd traurig gemacht und zum Lächeln gebracht, so dass ich den Roman sehr empfehlen kann.
Fikry El Azzouzi
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Fikry El Azzouzi
Wir da draußen
Sie allein
Neue Rezensionen zu Fikry El Azzouzi
Eva betreibt mit ihrem Freund Stefaan in Brüssel ein Restaurant. Ayoub, ein junger Mann marokkanischer Herkunft, wird dort als Tellerwäscher angestellt. Eva findet ihn interessant, in gewisser Weise aber komisch, bis sich die beiden näher kommen und entscheiden, den Weg gemeinsam weiter zu gehen. Doch gerade in der aktuellen Zeit haben beide mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, so wird die Liebe der beiden immer wieder auf eine harte Probe gestellt.
Die Thematik des Buches war mal etwas ganz anderes als das, was ich sonst so lese. Entsprechend war ich sehr gespannt auf die gesamte Geschichte und die Umsetzung des Ganzen.
Den Einstieg ins Buch habe ich als schwierig empfunden, hier lernt Eva Ayoub gerade kennen und sie versuchen sich zu unterhalten, allerdings auf eine komische Art und Weise, vielleicht soll manches hier humorvoll sein, was der jeweils andere gerade sagt, ich habe es als sehr ungewöhnlich empfunden. Auch die Weiterentwicklung der Geschichte, bei der ich zeitweise das Gefühl hatte, dass ich nun ganz gut drin bin, bei allem gedanklich klar komme, sich einmal eine klare Linie abzeichnet, war nicht so wirklich geradlinig wie vermutet. Ich habe dies immer wieder als recht verworren empfunden. Es vermischen sich die Träume von Eva mit der Realität, zumindest kam das so für mich rüber. Auch fand ich manche Beschreibungen (s. Überschrift) ein wenig fremd…
Der Schreibstil des Buches hat mich nicht so ganz begeistert. Es kommen keine großartigen Fremdwörter oder Begriffe vor, nichts was man nicht schon einmal gehört hat. Dennoch habe ich das Buch teilweise als sehr durcheinander empfunden, auf alle Fälle keine leichte Kost.
Generell ist die Geschichte eher schwere Kost, die Geschichte ist zwar durchaus interessant und in gewisser Weise auch spannend. Es ist interessant zu lesen wie sich hier zwei Kulturen kennenlernen, die von Eva, einer jungen Frau aus Belgien, und die von Ayoub, einem jungen Mann mit marokkanischen Wurzeln. Dennoch ist das Szenario des Buches teilweise bedrückend, nämlich die Schilderungen wie man im Land mit den Menschen mit arabischen Wurzeln umgeht. Ich möchte hier gar nichts vorweg nehmen, die Thematik ist in dieser Hinsicht ja teilweise wirklich sehr aktuell.
Ich bin sehr hin und her gerissen bei diesem Buch. Einerseits hat es mir hinsichtlich der grundsätzlichen Geschichte ganz gut gefallen, wie sich hier ein junges Paar kennen lernt, lernt mit der Kultur des anderen umzugehen. Andererseits erschreckend wie manche Dinge im Land passieren. Was mich sehr gestört hat war das Durcheinander im Buch. Träumt Eva nun oder passiert das wirklich? Ist da eine Sache doch schon passiert – wieso wird sie nun geschildert, etc. Das war mir zu verworren.
Entsprechend vergebe ich hier 3 von 5 Sternen, bleibe hinsichtlich einer Empfehlung unentschlossen.
Die Thematik könnte den Nerv der Zeit kaum besser treffen – jetzt, wo rechtsorientierte Parteien nicht nur in Deutschland mehr und mehr Einfluss gewinnen und hasserfüllte Tiraden gegen Flüchtlinge und Menschen muslimischen Glaubens erschreckend gesellschaftsfähig geworden sind.
Dazu kommt, dass Fikry El Azzouzi als Flame mit marrokanischen Wurzeln nicht nur weiß, wovon er spricht, sondern viel der Problematik selber erlebt hat. Diversität in der Literatur ist immens wichtig, und noch wichtiger ist es, dass nicht nur über Menschen geschrieben wird, die einer Minderheit angehören, sondern dass ihnen selber eine Stimme gegeben wird.
Dennoch konnte mich das Buch letztendlich nicht überzeugen.
Zum großen Teil lag das an Eva, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Sie geht Ayoub gegenüber direkt auf Konfrontation, mit schlechten Witzen über Selbstmordattentate und Extremismus. Ayoub bleibt gelassen (was sie ihm als Arroganz ankreidet) und kontert mit selbstironischem Humor, aber es dauert fast 50 Seiten, bis Eva ihn beim Namen nennt – davor ist er für sie nur "Abu Abwasch".
Natürlich ergibt sich gerade dadurch eine interessante Situation: hier trifft eine junge Frau, die sich selber für aufgeklärt und tolerant hält, auf einen Menschen, der die Vorurteile zum Vorschein bringt, die viele von uns mehr oder weniger unbewusst mit uns tragen. Aber sie hinterfragt das im Laufe des Buches kaum, es gibt einfach einen Bruch, gefolgt von plötzlicher Aufgeklärtheit.
Die Beziehung krankt an ganz anderen Dingen als dem Clash der Kulturen: Eva und Ayoub tun sich oft gegenseitig nicht gut, und das hat nur wenig mit seiner Religion zu tun. Evas Verhalten Ayoub gegenüber ist in manchen Szenen schlicht unentschuldbar. Würde umgekehrt ein Mann eine Frau so behandeln, wäre schnell von psychischer Gewalt die Rede. Im Streit sagt sie Sätze wie:
»Wie blöd bist du eigentlich?«
Und nachdem sie ihn schlägt (!!) und er sie abwehrt:
»Fang jetzt nicht an, das Opfer zu spielen.«
Auch ihre Träume sind enthüllend. In einem davon zertrümmert sie ihm das Nasenbein, spuckt ihm in den Mund, verhöhnt ihn:
»Och, bist du etwa traurig, weil du ein bisschen Dreck schlucken musstest? Was für mich Dreck ist, ist für dich gerade gut genug.«
Das ließ mich fassungslos und wütend zurück, gelinde gesagt. Eva fühlt sich schlecht deswegen, aber das reicht meines Erachtens nicht aus, da hätte ich mir mehr kritische Reflexion erwartet. Die Liebesgeschichte hatte für mich dadurch einen bitteren Beigeschmack.
Ayoub selber ist sympathischer und zugänglicher, auf ruhige Art weise, bleibt aber über lange Passagen eher blass, weil er mehr als Spiegel für Evas Selbstfindung dient. Vielleicht hätte es dem Buch gut getan, wenn es aus seiner statt aus Evas Sicht geschrieben wäre.
Andere Charaktere tauchen auf und verschwinden wieder, Potential ist vorhanden, wird aber nicht immer ausgeschöpft. Tragik wird in wenigen Absätzen heruntergespult, schockierende Ereignisse nehmen oft nicht den nötigen Raum ein, um beim Leser wirklich etwas zu bewegen.
Alles geht schnell, sehr schnell. Nicht nur die Liebesgeschichte: nach einer Reihe von Terrorakten rutscht Europa ab in den Faschismus, Menschen muslimischen Glaubens werden gehasst, gefürchtet, ausgegrenzt. Am Horizont zeichnet sich ab, dass sie über kurz oder lang das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg teilen könnten.
Dass es so viel Hass geben kann, ist weder unrealistisch noch überraschend – dennoch überschreitet das Buch für mich die Grenze dessen, was noch glaubhaft ist, wenn zum Beispiel demonstrierende Bauern ernsthaft davon überzeugt sind, dass Muslime Kinder essen. Auch die politische Umwälzung ging zu glatt, zu einfach. In einer Welt nach dem Dritten Reich sollten es die politischen Strukturen eines demokratischen Landes gar nicht zulassen, dass quasi über Nacht Gesetze erlassen werden, die zur systematischen Ausgrenzung einer Minderheit führen. Mir fehlten Erklärungen, wie genau das möglich gemacht wurde.
Die Geschichte enthält vieles, was zum Nachdenken anregt, aber die Art und Weise, wie sie erzählt wird, tut dem nicht gut. Das liegt zum Teil daran, dass Eva eine problematische Erzählerin ist, aber auch am Schreibstil an sich: die Sätze sind meist kurz, viele der Dialoge klingen in meinen Ohren unnatürlich und gestellt. Es blitzt immer wieder ein Humor auf, der großartig sein könnte, im Kontext für mich aber untergeht.
Gegen Ende gleitet die Geschichte dann mehr und mehr ab ins Merkwürdige, als sei die Grenze zwischen Evas psychedelischen Träumen und der Wirklichkeit durchlässig geworden. Zum Beispiel wird der Angriff eines Neonazis so vereitelt:
"Plötzlich stößt ein Vogel vom Himmel herab und landet genau auf dem Auge des Kahlkopfs."
Einfach so. Buchstäblich aus heiterem Himmel. Danach überrascht kaum noch, dass es anscheinend auch Telepathie und magische Amulette gibt.
Das Ende konnte mich nicht mehr bewegen, weil es zu erwarten war und gleichzeitig den Bogen überspannt – zum dem Zeitpunkt war meine Bereitschaft, Geschehnisse einfach zu glauben, bereits überstrapaziert.
Fazit:Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Kulturen, und das vor dem Hintergrund eines Belgiens, das nach einer Reihe von Terroranschlägen mehr und mehr abdriftet in eine von Angst und Hass gesteuerte Politik. Die angesprochenen Themen sind brandaktuell und wichtig, dennoch konnte mich das Buch nicht überzeugen: zum einen ist Eva, die weibliche Hauptfigur, in meinen Augen sehr problematisch (was nicht ausreichend hinterfragt wird), zum anderen entwickeln sich die Dinge rasend schnell, so dass die Geschichte manchmal zwangsläufig an der Oberfläche bleibt.
Ich hatte mir von "Sie allein" mehr erwartet – vielleicht bin ich aber auch einfach nicht die richtige Leserin für dieses Buch? Die außergewöhnlichsten Bücher sind schließlich meist die, die polarisieren. Mir war vieles zu plakativ, manches (besonders gegen Ende) kam mir weder schlüssig noch glaubhaft vor.
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