Rezension zu "Räuberhände" von Finn-Ole Heinrich
Janik und Samuel haben ihr Abitur beendet und reisen zusammen nach Istanbul, um Samuels vermeintlichen Vater zu suchen, von dem er glaubt, Türke zu sein. Dort genießen sie zuerst die zweisame Zeit miteinander und lernen Land und Leute kennen, bis längst verziehene und vergessen geglaubte Geschehnisse zutage kommen, die an der langjährigen Freundschaft und Bruderschaft rütteln und diese auf eine Bestandsprobe stellen.
Bei „Räuberhände“ handelt es sich um einen Coming-Of-Age- bzw. Entwicklungsroman, den ich aufgrund dessen zu lesen begonnen hatte, weil die gleichnamige Buchverfilmung ab dem 02. September 2021 in den deutschen Kinos ausgestrahlt werden soll(te) und ich ohnehin ein Fan des Genres bin, ebenso von Schullektüren, wie „Räuberhände“ eine ist.
Besonders gut am Roman gefallen hat mir die Beschreibung der sozialen Unterschiede und Umfelder, aus denen die beiden Jungs stammen und in denen sie aufgewachsen und groß geworden sind.
Samuels Mutter ist einer Alkoholsucht verfallen, durch die ihre Familie zerbrochen ist. Samuel wünscht sich nicht sehnlichster als das Gefühl von Ordnung und Beständigkeit, und sieht in Istanbul seine Identität und Heimat aufgrund des Vaters, der, so erzählte die Mutter Irene, Türke sein soll.
Janik hingegen wuchs wohlbehütet bei Akademiker-Eltern auf, die für Alles und Jeden Verständnis und Güte haben, so auch für Samuel, auf den Janik immer mehr neidisch wird trotz oder gerade wegen ihrer gemeinsamen Kindheit, in der Samuel eine Art Bruder für ihn geworden ist aber auch zum Rivalen im Kampf um die Aufmerksamkeit ihrer gegenseitigen Eltern. Janiks Bestreben ist, im Unterschied und Vergleich zu Samuel, der Ausbruch aus familiären Verhältnissen und aus dieser „perfekten“ Welt und die dadurch ermöglichte individuelle Entfaltung.
Diese Schichten und Haltungen kollidieren in Istanbul miteinander. Während Samuel seine „Herkunft“ ergründet und Versuche der Integration unternimmt, fühlt sich Janik mit der Zeit, in der sie dort sind, immer fremder in einer Kultur, die nicht seine ist und entfernt sich von Samuel, der ihn abzuhängen scheint auf dem Weg des Erwachsenwerdens.
Der Roman las sich sehr schnell und rasant, auch stilistisch und dramatisch hat mir die Geschichte gut gefallen, vor allem wegen der unverfänglichen und umgänglichen Jugendsprache, in der es hier und dort türkische Begriffe gibt, die ich nicht verstanden, die aber zur Atmosphäre stimmig beigetragen haben; sowie die Rückblenden und Zeitsprünge, die sich miteinander verstricken und die sich im Höhe- und Wendepunkt zwar vorausschaubar aber befriedigend zusammenballen.
Ich empfehle das Buch all denjenigen, die auch etwas mit „Tschick“ von Herrndorf oder „Der Vorleser“ von Schlink anfangen konnten, denn daran hat mich „Räuberhände“ von Finn-Ole Heinrich aus dem btb Verlag erinnert: an eine Kombination aus diesen beiden, im positiven Sinne.