Cover des Buches Das Landei (ISBN: 9783471350447)
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Rezension zu Das Landei von Florian Beckerhoff

Rezension zu "Das Landei" von Florian Beckerhoff

von Literatur vor 12 Jahren

Rezension

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Literaturvor 12 Jahren
Eine österreichische Weisheit besagt, dass es vom Zufall abhängt, wo man geboren wird, dass jeder aber die Macht hat, den Platz zu finden, wo er hingehört. Die Frage nach Heimat und Zugehörigkeit zu etwas oder jemandem ist eine existenzielle Frage, die zum Menschsein seit Jahrtausenden gehört: Bereits in der antiken Literatur ist sie ein wichtiges und tief bewegendes Motiv - man denke nur an Iphigenie auf Tauris, die sich in der Fremde aus tiefstem Herzen nach ihrer Familie und ihrer Heimat sehnt. Auch die Romantiker und die Exilautoren schreiben sich ihre innerliche Zerrissenheit hinsichtlich dieses Themas eindrucksvoll von der Seele. Diese Werke zeigen, dass Heimat ein sehr menschliches, bewegendes und emotionales Thema ist. So überrascht es nicht, dass Florian Beckerhoff in seinem Roman "Das Landei" diese wesentlichen Fragen aufgreift: Rob, auf dem Land aufgewachsen, von dort geflüchtet und nun überzeugter Großstädter, gerät in eine tiefe Sinnkrise, als er von seiner Freundin verlassen wird. Eine Frau aus der Heimat, vom Land, sei die Lösung - so der Rat eines lebenserfahrenen Wirtes -. Dies beherzigt Rob und stürzt von einer Krise in die nächste. Zu Beginn muss ich gestehen, dass ich hauptsächlich einen Beweggrund hatte, das Buch zu lesen: Diese überaus drollige Kuh auf dem Titelbild in Zusammenhang mit dem Titel macht unglaublich Laune, dieses Buch zu lesen, und verspricht eine lustig-heitere Geschichte, bei der kein Auge trocken bleibt. Des Weiteren muss ich gestehen, dass mich der Klappentext eher ein bisschen abgeschreckt hat: zu oberflächlich, zu abgedroschen, zu banal klang mir die Geschichte insgesamt. Rückblickend muss ich sagen, dass weder Titelbild noch Klappentext der Handlung gerecht werden. Es handelt sich beim "Landei" um einen tiefgründigen Roman, der trotz der eher oberflächlichen Darstellung der Charaktere die Fragen des Lebens auf sehr berührende Weise einfängt. Die Parallelität der Handlungsstränge ist eindrucksvoll und sorgt bei der Lektüre für das ein oder andere gewollte Déjà-lu-Erlebnis mit viel Deutungsspielraum. Insgesamt begegnen dem Protagonisten auf seiner innerlichen und äußerlichen Sinn-Odyssee sehr überspitzte Charaktere, die sich an verschiedenen Orten wiederholen wie auch die gedankliche Aufteilung in Stadt - Land. Diese Irrfahrt findet ihr Ende, als der Protagonist tatsächlich seine Heimat findet. Das größte Manko des Romans ist sein Anfang. Über mehr als 50 Seiten schleppt sich die Handlung in sich ewig wiederholenden Kreisen, vielleicht ein stilistisches Mittel, um die Verzweiflung und Sinnsuche des Protagonisten zu illustrieren, für den Leser auf jeden Fall mehr als mühsam. Die kleineren Mankos sind die Oberflächlichkeit der Figuren und der Handlung, die teils sehr anstrengenden Wiederholungen und das eher unglaubwürdige Ende. Angesichts der positiven Aspekte möchte ich dem Autor diese Unzulänglichkeiten gerne verzeihen, denn wenn man das dominiernde Thema über die Unterscheidung zwischen Stadt und Land in das allgemeinere Fragen nach Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl umwandelt, erhält das Buch noch einmal eine weitere Tiefe. Insgesamt ist es - wenn man etwas Geduld für die Durststrecke zu Beginn mitbringt - ein sehr schöner Roman, der wieder einmal festhält, dass Heimat kein fest definierter Begriff ist, sondern etwas sehr Individuelles, Persönliches und Wandelbares ist und oft nicht vom jeweiligen Ort, sondern meistens von den jeweiligen Menschen abhängt. Für Sinnsuchende und Gerne-Zwischen-Den-Zeilen-Lesende, aber auch für Humor-Liebende der richtige Lesestoff, der trotz einiger Mängel doch einige gute Lesestunden verspricht.
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