François Bluche

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Autor*in von Louis XIV.

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Cover des Buches Louis XIV (ISBN: 9782213015682)

Louis XIV

(1)
Erschienen am 03.09.1986

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Cover des Buches Louis XIV (ISBN: 9782213015682)
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Rezension zu "Louis XIV" von François Bluche

Andreas_Oberender
Sechs "große" Biographien Ludwigs XIV. Teil 2: François Bluche

Ludwig XIV. von Frankreich (1638-1715) gehört zu den bedeutendsten Monarchen der europäischen Geschichte. Die ältere und neuere Literatur über den sogenannten Sonnenkönig und die Geschichte Frankreichs im 17. Jahrhundert ist kaum zu überschauen. Selbst bei einer Beschränkung auf biographische Werke kann ein interessierter Leser und erst recht ein Leser mit Fremdsprachenkenntnissen zwischen Dutzenden Büchern unterschiedlichen Umfanges und Anspruches wählen. Alle aus wissenschaftlicher Sicht großen und bedeutenden Biographien Ludwigs XIV. stammen aus Frankreich, Großbritannien und den USA. Die deutsche Geschichtswissenschaft hat noch nie eine herausragende Biographie des Bourbonen-Königs hervorgebracht. Jahrzehntelang waren auf dem deutschen Buchmarkt mehrere aus dem Englischen und Französischen übersetzte Biographien verfügbar, die allesamt populärwissenschaftlich und daher von begrenztem Wert sind. Genannt seien die Bücher der Briten W.H. Lewis (1959), Vincent Cronin (1964) und Nancy Mitford (1966), des Franzosen Philippe Erlanger (1965) und des Amerikaners Olivier Bernier (1987). Was deutsche Historiker und Sachbuchautoren zur biographischen Literatur über Ludwig XIV. beigesteuert haben, ist allenfalls zweite Wahl, wenn nicht gar vollkommen unbrauchbar. Die Biographie von Uwe Schultz (2006) ist ein Ärgernis wie alle Bücher dieses Autors, und die schmalen Bücher von Martin Wrede (2015), Mark Hengerer (2015) und Anuschka Tischer (2017) ermöglichen lediglich eine erste Annäherung an Ludwig XIV. Nur wenige Biographien des Königs genügen vom Umfang und Niveau her wissenschaftlichen Ansprüchen. Das gilt für die Werke von John Wolf (1968), François Bluche (1986), Jean-Christian Petitfils (1995), Geoffrey Treasure (2001), Thierry Sarmant (2012) und Philip Mansel (2019). Diese sechs Biographien haben eines gemeinsam: Sie wurden allesamt nicht ins Deutsche übersetzt und dürften deshalb in Deutschland nur von Fachhistorikern rezipiert worden sein. Die sechs Biographien werden hier vorgestellt und vergleichend rezensiert. Dabei ist stets zu bedenken, dass diese Bücher über einen Zeitraum von 50 Jahren hinweg veröffentlicht wurden. Die älteren (Wolf, Bluche, Petitfils) spiegeln zwangsläufig den aktuellen Forschungsstand nicht wider. Und mehr noch: Sie sind in einer Epoche der Geschichtswissenschaft entstanden, die inzwischen selbst der Vergangenheit angehört. Ein Abstand von mehreren Generationen trennt Historiker wie John Wolf und François Bluche von den Historikern, die heute das Zeitalter Ludwigs XIV. erforschen.

Von den sechs Biographien ist die von François Bluche mit deutlichem Vorsprung die umfangreichste. Das Buch umfasst 1.039 Seiten; davon entfallen nicht weniger als 926 Seiten auf den Text. Die Lektüre ist kein Spaziergang; sie erfordert ein Höchstmaß an Disziplin und Konzentration. Für Leser, die keine oder geringe Vorkenntnisse besitzen, ist das Buch nicht geeignet. Es ist zweifelhaft, ob es heute überhaupt noch Leser gibt, die bereit sind, sich auf ein derart schwergewichtiges Werk einzulassen. Zwar ist das Buch glänzend geschrieben, in einer eleganten, funkelnden, schimmernden Prosa. Die Fülle, ja Überfülle der vermittelten Informationen ist jedoch erdrückend, gerade für Leser, die sich noch nie näher mit Ludwig XIV. befasst haben. Jahrzehntelang gehörte François Bluche (1925-2018) zu den führenden Experten für die Geschichte Frankreichs unter den Bourbonen. Viele seiner Bücher sind Standardwerke und Pflichtlektüre für Fachhistoriker. Wie so viele französische Historiker ist Bluche in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben. Nur eines seiner zahlreichen Bücher, "La vie quotidienne au temps de Louis XVI" (1980), wurde 1989 passend zum Revolutionsjubiläum ins Deutsche übersetzt. Nach ihrem Erscheinen 1986 zog Bluches Biographie Ludwigs XIV. sowohl Bewunderung als auch Kritik auf sich. Auch heute, 35 Jahre später, wird jedem Leser, der sich mit der Materie auskennt, das Spannungsverhältnis zwischen Vorzügen und Mängeln auffallen. Bluche arbeitet ausschließlich mit edierten Quellen. Er stützt sich auf Memoiren, Tagebücher, Briefe und zeitgenössische Druckwerke (z.B. Predigten, Gesetzestexte). Es ist seltsam und befremdlich, dass Bluche für sein ambitioniertes Werk kein einziges Archivdokument heranzieht. Von deutschen oder angelsächsischen Historikern kann man nicht erwarten, dass sie französische Archive aufsuchen, wenn sie eine Biographie Ludwigs XIV. schreiben. Bluche jedoch saß direkt an der Quelle: Er lehrte von 1969 bis 1996 an einer der Pariser Universitäten, hätte also ohne weiteres in den großen hauptstädtischen Archiven arbeiten können. Man vergleiche Bluches Buch mit der Biographie Ludwigs XV. von Michel Antoine, die 1989 ebenfalls im Verlag Fayard erschien. Antoines kolossales Werk ruht auf einem breiten Fundament von archivalischem Quellenmaterial. Problematisch ist außerdem die Tatsache, dass Bluche die nichtfrankophone Forschung komplett ignoriert. Im Verzeichnis der Sekundärliteratur (S. 934-943) tauchen lediglich fünf Titel von nichtfranzösischen Autoren auf. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Bluches Ignoranz gegenüber der deutsch- und englischsprachigen Forschung vollkommen unentschuldbar, heute genauso wie vor 35 Jahren. 

Eine Rezension von begrenztem Umfang ist nicht der geeignete Rahmen, um Bluches Werk im Detail zu analysieren. Positiv hervorzuheben ist, dass Bluche viele Vorurteile widerlegt, die die ältere Literatur über Ludwig XIV. prägen. Die absolute Monarchie des 17. Jahrhunderts – der Begriff ist zeitgenössisch – war keine Despotie oder Tyrannei. Ludwig XIV. war in seiner Herrschaftsausübung an historisch gewachsene Spielregeln gebunden, und auch strukturelle Gegebenheiten und Sachzwänge grenzten seinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum ein. Bluche korrigiert auch das Zerrbild, der Sonnenkönig habe den Adel gedemütigt und in eine Statistenrolle gezwungen. Zwar hielt der Monarch die Aristokratie aus dem engsten Regierungszirkel fern. Doch in Armee und Marine, Verwaltung und Diplomatie bot sich den Adligen ein weites Betätigungsfeld. Zu den Stärken des Buches gehört, dass Bluche anschaulich die außerordentlichen Führungsqualitäten des Königs herausarbeitet. Von wenigen Ausnahmen abgesehen bewies Ludwig XIV. während seiner langen Regierungszeit stets eine glückliche Hand bei der Auswahl von Ministern und Generälen. Die bedeutenden Leistungen, die Frankreich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf so vielen Gebieten erzielte, waren das Ergebnis von Teamarbeit. Der König sah eine seiner wichtigsten Herrscheraufgaben darin, talentierte Männer zu entdecken, zu fördern und anzuspornen. Bluche wirft einen enzyklopädischen Rundumblick auf die Herrschaft Ludwigs XIV. Innenpolitik und Verwaltung, Wirtschaft und Kultur, das Leben am Hof, Religionsfragen, die auswärtigen Beziehungen und die Kriegsführung – alle diese Themen finden Berücksichtigung. Leider tut Bluche oft zu viel des Guten. Manche Themen – genannt sei hier nur das Jansenismus-Problem – behandelt Bluche in einer Ausführlichkeit, die über das Informationsbedürfnis eines durchschnittlichen Lesers weit hinausgeht. Einzelne Ereignisse, etwa Ludwigs Krönung oder die letzten Lebenstage des Königs, werden auf mehreren Seiten breitgewalzt. Detaillierte Beschreibungen der Räumlichkeiten im Schloss Versailles und der Gartenanlagen von Versailles (Kap. 19) sind schwer nachzuvollziehen, da Pläne und Abbildungen fehlen. Trotz des stattlichen Umfanges der Biographie bleibt manches unterbelichtet. Familie und Verwandtschaft des Königs treten kaum in Erscheinung. Das gilt auch für Ludwigs uneheliche Kinder, obwohl sie mit Sprösslingen der Prinzen von Geblüt verheiratet und damit Teil der Königsfamilie wurden. Irritierend ist Bluches wohlwollendes Urteil über Ludwigs einzigen ehelichen Sohn, den Dauphin Ludwig (1661-1711). Der Thronfolger, von den Zeitgenossen als träge, geistlos und politisch desinteressiert wahrgenommen, stand zeitlebens im Schatten seines übermächtigen Vaters; nennenswerte Leistungen sind von ihm nicht überliefert. Bluches Ansicht, Frankreich habe mit dem Tod des Dauphins 1711 "vielleicht den besten seiner Könige verloren" (S. 862), wirkt nachgerade absurd. 

Was die Innen- und Außenpolitik Ludwigs XIV. angeht, so spart Bluche in auffallender Weise mit Kritik. Bluche, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vom Katholizismus zum Protestantismus konvertierte, verurteilt nur eine einzige politische Maßnahme des Königs, die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685. Die Zwangskonversion von mehreren Hunderttausend Hugenotten sei kein Gewinn für die Katholische Kirche gewesen. Eine weitergehende Kritik am König gestattet sich Bluche nicht. Allzu oft verschwimmt die feine Grenze zwischen berechtigter Bewunderung und kniefälliger Verehrung. Der Ton gleitet bisweilen ins Feierliche, Pathetische und Schwärmerische ab. Bluche hat keine Hemmungen, den König "Ludwig den Großen" oder auch "Seine Majestät" zu nennen. Um beim Leser eine emotionale Verbindung zur fernen Zeit Ludwigs XIV. herzustellen, nennt Bluche die Franzosen des 17. Jahrhunderts immer wieder "unsere Väter" und "unsere Ahnen". Wie die französischen Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts berauscht sich Bluche an Zahl und Größe der Provinzen, die Ludwig XIV. im Zuge seiner Kriege für Frankreich gewann. Durchweg betont Bluche, es sei dem König nur darum gegangen, durch Optimierung des Grenzverlaufs Frankreichs Sicherheit zu erhöhen. Er bringt keinerlei Verständnis für das Sicherheitsbedürfnis anderer europäischer Staaten auf, für die Ängste und Sorgen, die Ludwigs auftrumpfende, aggressive Außenpolitik etwa in Holland und Deutschland auslöste. Die "Schuld" für die unerwartet lange Dauer des Holländischen Krieges (1672-1678), des Neunjährigen Krieges (1688-1697) und des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1713/14) sieht Bluche ausschließlich bei Frankreichs Gegnern. Es kommt ihm nicht in den Sinn, nach Fehlentscheidungen und Fehlkalkulationen auf französischer Seite zu fragen. Es ist eine Manipulation der historischen Fakten, wenn Bluche den Ausbruch des Neunjährigen Krieges so darstellt, als sei Frankreich das Opfer gewesen (Kap. 22). Es sei deshalb daran erinnert, dass es Ludwig war, der diesen Krieg auslöste – er ließ seine Truppen im Spätsommer 1688 ins Rheinland und in die Pfalz einmarschieren. Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man liest, das französische Volk habe während des Neunjährigen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges geeint und solidarisch hinter dem König gestanden und alle Entbehrungen willig ertragen. Es ist vollkommen anachronistisch, in den dynastischen Kriegen und Kabinettskriegen des 17. und 18. Jahrhunderts nationale Kraftanstrengungen zu sehen, die sich mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vergleichen ließen. Kopfschütteln löst auch Bluches Bedauern darüber aus, dass Ludwig XIV. auf dem Zenit seiner Macht in den 1680er Jahren keine durchgreifenden Reformen vorgenommen habe, etwa die Schaffung einer gesetzgebenden Versammlung (S. 505). Wann hat je ein Herrscher freiwillig, ohne Druck der Umstände einen Teil seiner Macht abgegeben?

Der Verlag hat die Biographie schlecht ausgestattet. Das Buch enthält eine Chronologie, eine Bibliographie und ein Personenregister. Es fehlen Abbildungen, Landkarten und Stammtafeln.

FAZIT

Es ist nicht leicht, ein abschließendes Urteil zu fällen. Verschiedene Leser befassen sich aus unterschiedlichen Gründen mit Ludwig XIV., und sie stellen unterschiedliche Ansprüche. Für eine ernsthafte, vertiefte Beschäftigung mit Ludwig XIV., etwa im Master-Studium oder im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit, sind die Biographien von John Wolf und Jean-Christian Petitfils zweifellos am besten geeignet. Gegen das Buch von François Bluche spricht allein schon der einschüchternde Umfang. Thierry Sarmant und Philip Mansel gehen in ihren Büchern nicht über das hinaus, was man in älteren Werken lesen kann. Pflichtlektüre sind ihre Bücher daher nicht. Mit 458 Seiten Text passt die Biographie von Mansel allerdings besser in unsere Zeit als die deutlich umfangreicheren Bücher von Bluche und Petitfils. Aber Mansel ist ein Autor aus dem 20. Jahrhundert, der eher für Leser seiner Generation schreibt als für die Generation Internet. Die Lesegewohnheiten des Publikums sind heute anders als vor 30 oder 50 Jahren. Leben und Herrschaft Ludwigs XIV. sind ein anspruchsvoller, herausfordernder Gegenstand, für Autoren ebenso wie für Leser. Historisch interessierte Laien besitzen heute nicht mehr das Vorwissen und die historische Allgemeinbildung, über die frühere Generationen verfügten. Das müssen Historiker, die heute ein Buch über Ludwig XIV. für einen breiten Leserkreis schreiben, in Rechnung stellen. Deshalb sei hier am Ende die Frage aufgeworfen: Wie sollte eine seriöse, wissenschaftlich fundierte, gut lesbare Biographie Ludwigs XIV. aussehen, die ins 21. Jahrhundert passt und geeignet ist, jüngere Leser für die Beschäftigung mit dem Sonnenkönig zu gewinnen?

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