Françoise Hildesheimer

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Autor*in von Richelieu.

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Cover des Buches Richelieu (ISBN: 9782080245274)

Richelieu

(1)
Erschienen am 07.04.2021

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Cover des Buches Richelieu (ISBN: 9782080245274)
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Rezension zu "Richelieu" von Françoise Hildesheimer

Andreas_Oberender
Vier Bücher über Kardinal Richelieu. Teil 3: Françoise Hildesheimer

Kardinal Richelieu (1585-1642) zählt zu den herausragenden Figuren der französischen Geschichte. Doch die Zahl der seriösen, wissenschaftlich fundierten Biographien über den langjährigen Prinzipalminister Ludwigs XIII. ist erstaunlich gering, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und im angelsächsischen Raum. Auf den ersten Blick wirkt die Richelieu-Literatur reichhaltig. Die Vielzahl der Werke älteren und neueren Datums ist schwer zu überblicken. Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings, dass nur die wenigsten Werke über den Kardinal wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und für eine ernsthafte Beschäftigung mit Richelieu in Frage kommen. Gerade als deutscher Leser findet man nur mit Mühe eine Biographie, die sich auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegt und zugleich gut lesbar ist. Manche ältere Werke, die einst ein großes Publikum erreichten, wurden durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte überholt. Die dreibändige Monumentalbiographie von Carl Burckhardt, erschienen zwischen 1935 und 1967, ist hoffnungslos veraltet. Ihr monströser Umfang – der Text summiert sich auf mehr als 1.400 Seiten – schreckt zudem jeden potentiellen Leser ab. In den 1970er Jahren wurden zwei populärwissenschaftliche Biographien aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche übersetzt, die Bücher von Philippe Erlanger (Originalausgabe in drei Bänden 1967 bis 1970) und Daniel Patrick O’Connell (Originalausgabe 1968). Auch diese beiden Werke sind längst veraltet. Die Biographie von Michel Carmona (1983) fand in Frankreich weite Verbreitung, ist inzwischen aber auch in die Jahre gekommen und für eine vertiefte Beschäftigung mit Richelieu nicht mehr geeignet. Im universitären Seminarbetrieb leisten die handlichen Studien der beiden britischen Historiker Robert Knecht (1991) und David Sturdy (2004) hervorragende Dienste. Es handelt sich um analytisch angelegte Einführungsdarstellungen, die eine umfassende Biographie nicht ersetzen können und wollen. Missglückt und gänzlich unbrauchbar sind die Richelieu-Biographien des britischen Literaturwissenschaftlers Anthony Levi (2000) und des deutschen Sachbuchautors Uwe Schultz (2009). Die Werke, die für eine tiefgründige Beschäftigung mit Richelieu geeignet sind, lassen sich an einer Hand abzählen: Die Biographien von Roland Mousnier (1992), Françoise Hildesheimer (2004) und Klaus Malettke (2018), dazu die wichtige Studie "The Rise of Richelieu" (1991) aus der Feder des britischen Historikers Joseph Bergin. Diese vier Bücher werden hier vorgestellt und vergleichend rezensiert. 

Inner- und außerhalb Frankreichs hat sich in den letzten Jahrzehnten wohl niemand ähnlich intensiv mit Richelieu beschäftigt wie die Historikerin und Archivarin Françoise Hildesheimer (geb. 1949). Seit den frühen 1980er Jahren hat Hildesheimer in zahlreichen Studien einzelne Aspekte von Richelieus Leben und politischem Wirken untersucht. Außerdem hat sie mehrere Schriften des Kardinals ediert, das Politische Testament und zwei theologische Werke. Ihre umfassenden Kenntnisse hat Hildesheimer in einer Biographie gebündelt, die 2004 erschien, mit mehreren Preisen ausgezeichnet und immer wieder neu aufgelegt wurde, zuletzt 2021, mit unverändertem Text, aber aktualisierter Bibliographie. Gegenüber allen anderen Richelieu-Biographien älteren und neueren Datums verdient Hildesheimers Buch ohne Wenn und Aber den Vorzug. Der Text umfasst rund 490 Seiten. Er ist angenehm kompakt im Vergleich zu den viel umfangreicheren Büchern von Mousnier und Malettke. Beim Lesen stellt sich zu keinem Zeitpunkt der Eindruck ein, die Darstellung sei zu knapp geraten. Wer sich vertiefend mit einzelnen Themen befassen möchte, der findet in der Bibliographie nützliche Literaturhinweise. Ein überaus wertvolles Arbeitsinstrument ist die zwanzigseitige Chronologie (S. 527-547). Mit ihrer Detailliertheit vermittelt sie einen plastischen Eindruck von der Rastlosigkeit des Kardinals. In den 18 Jahren seiner Ministerzeit war Richelieu nahezu pausenlos in ganz Frankreich unterwegs. Es ist sehr zu bedauern, dass die Biographie nicht ins Deutsche und Englische übersetzt wurde. Sie tritt mit wissenschaftlichem Anspruch auf, ist aber verständlich geschrieben und durchaus für nichtakademische Leser geeignet, die solide Vorkenntnisse zur Geschichte Frankreichs im 17. Jahrhundert besitzen. Eine aufmerksame und gegebenenfalls mehrmalige Lektüre verlangen jene Kapitel und Passagen, in denen Hildesheimer Richelieus politisches und theologisches Denken analysiert. Als Theologe war der Kardinal ohne Originalität, wie Hildesheimer hervorhebt. Im Gegensatz zu früheren Historikern betont sie, dass Richelieu Politik und Religion nicht als getrennte Sphären betrachtete. Er hatte kein säkularisiertes Politikverständnis und ließ sich nicht von einem abstrakten Konzept wie der Staatsräson oder gar den Ideen Machiavellis leiten. Sein politisches Handeln ruhte auf einem Fundament christlicher Werte und Normen. Als Bischof von Luçon und auch als Minister war Richelieu den Zielen der Gegenreformation verhaftet. Sein Herzensanliegen, die Rückführung der Hugenotten in die Katholische Kirche durch friedliche Bekehrung, konnte er nicht verwirklichen, da die Außenpolitik und Frankreichs erst verdeckte, ab 1635 offene Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg alle seine Energien in Anspruch nahmen. 

Das Verdienst der Biographie besteht nicht darin, unser faktisches Wissen über Richelieu zu erweitern. Hildesheimer verschmilzt ihre eigenen Forschungen und die Beiträge anderer Historiker zu einer gelungenen Synthese. Die Anlehnung an die Quellen ist eng, und zugleich ist der Umgang mit den Quellen kritisch und reflektiert, namentlich im Falle von Richelieus Politischem Testament und sogenannten Memoiren. Konsequent wendet sich Hildesheimer gegen die Stilisierung des Kardinals zu einem "modernen" Staatsmann, der seiner Zeit weit voraus gewesen sei. Sie zeigt Richelieu stattdessen als politischen Akteur der Vormoderne. Welches Bild entwirft Hildesheimer von Richelieu als Mensch und Minister? Vier Punkte verdienen es, hervorgehoben zu werden. Erstens: Richelieu war ein Meister der Beredsamkeit, ein brillanter analytischer Kopf. Seine große Leidenschaft war das Argumentieren, sei es in politischen, sei es in theologischen Fragen. Vernunftgeleitetes Abwägen und Entscheiden war die Grundlage seines Handelns. Zweitens: Zwar hielt sich Richelieu fast zwei Jahrzehnte an der Macht, aber seine Stellung als Prinzipalminister war durchweg prekär. Er war gänzlich vom Vertrauen, von der Gnade und vom Schutz des Königs abhängig. Mehrfach "rettete" Ludwig XIII. den Kardinal vor Feinden und Verschwörern. Der König traf alle wichtigen Entscheidungen, nicht der Kardinal. Richelieu, so betont Hildesheimer, besaß Einfluss, jedoch keine Macht im Sinne von alleiniger Entscheidungsbefugnis (S. 302). Richelieu konnte sich seiner herausgehobenen Stellung auch deshalb nicht sicher sein, weil er und der König chronisch krank waren. Jede ernste gesundheitliche Krise gefährdete das gemeinsame Werk von Monarch und Minister. Drittens: Als Edelmann, Prälat und Minister setzte Richelieu alles daran, seinen Status zur Schau zu stellen und das Ansehen seines "Hauses" zu steigern. Er erwarb ein gewaltiges Vermögen, baute Schlösser, sammelte Kunst und förderte seine Verwandten durch Berufung in wichtige Ämter und das Einfädeln prestigeträchtiger Heiraten. Viertens: Anders als frühere Autoren behaupteten, hatte Richelieu keinen "großen Plan" für die Innen- und Außenpolitik, als er 1624 in die Regierung eintrat. Die volatile Situation in Frankreich und Europa verlangte von ihm ein hohes Maß an taktischer Wendigkeit. Richelieu war kein Stratege, konnte es unter den gegebenen Verhältnissen gar nicht sein. Vorrang hatte für ihn der Kampf gegen das Hegemonialstreben der Habsburger. Dringend nötige Reformen im Innern mussten zurückstehen. Richelieus Interesse an echten Reformen war ohnedies gering. Die Machtsteigerung des monarchischen Staates in den 1630er Jahren war ein "Nebenprodukt" des Krieges, kein Ziel, auf das Richelieu bewusst hingearbeitet hätte. Mehrfach verweist Hildesheimer darauf, dass der Wille, eine offensive und für Frankreich kostspielige Außenpolitik zu betreiben, bei Ludwig XIII. stärker ausgeprägt war als bei Richelieu. Es ist verfehlt, den König als fügsamen "Juniorpartner" des Kardinals abzuqualifizieren, wie es in der älteren Forschung üblich war. 

FAZIT

Lesenswert sind nur die Bücher von Joseph Bergin und Françoise Hildesheimer. Die Biographien von Roland Mousnier und Klaus Malettke, zwei Alterswerke mit zahlreichen Schwächen und Mängeln, verdienen keine Leseempfehlung.

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