Rezension zu "New Atlantis" von Francis Bacon
Allgemein gilt Francis Bacons Fragment “New Atlantis” als Gesellschafts- oder Wissenschaftsutopie als Vorläufer der Science Fiction. Viele sahen und sehen Bacon sogar als Pionier der modernen Wissenschaft und vergessen dabei vollkommen, dass sein Namensvetter Roger Bacon bereits im 13. Jahrhundert und Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert viele der in „New Atlantis“ beschriebenen empirischen Prinzipien vorweggenommen haben. Historisch betrachtet, war „New Atlantis“ jedoch die Vorlage für das Invisible College und die Royal Society.
Um was geht es in diesem Buchfragment?
- Die Besatzung eines Schiffes hat sich „verfahren“. Lebensmittel werden knapp. Sie müssen notankern. Die Insel ist New Altantis bzw. Bensalem.
- Die Seeleute werden gesundgepflegt und kommen ein paar Tage in Quarantäne. Da führen sie nette Gespräche mit Staatsbediensteten über die Insel und ihre Regeln.
- Der Seemann, der in diesem Buch berichtet, unterhält sich mit Einheimischen (Juden), besucht ein Familienfest und unterhält sich mit dem Vater/Rektor/Dekan des Hauses Salomon (geheimnisvolle Forschungseinheit er Insel)
- The End
Auf den ersten Blick scheint die Gesellschaft von Betsalem streng patriarchalisch organisiert mit der (Groß-)Familie als kleinster Verwaltungseinheit. Der Staat scheint der Kontrolle eines Königs zu unterstehen (der jedoch nie in Erscheinung tritt), und seinen unbestechlichen Beamten. Diese Beamten kontrollieren wiederum die Bewohner der Insel.
Das männliche Oberhaupt einer Großfamilie mit mehr als 30 lebenden Nachkommen wird Tirsan genannt. Dieser Tirsan hat das Recht oder die Aufgabe, ganz klar wird das nicht, über das Leben aller Familienmitglieder Recht zu sprechen. Die Kontrolle durch den Staat geht bei diesen Großfamilien so weit, dass bei Rechtsprechungen im Kreise einer solchen Großfamilie ein Staatsbediensteter anwesend ist und diese Rechtsprechung kontrolliert und protokolliert.
Das Volk macht einen eher verschreckten, kontrollierten und reglementierten Eindruck. Als einer der Väter des Hauses Salomo in der Stadt Einzug hält wird die Reaktion es Volkes wie folgt beschrieben: „there was never any army had their men stand in better battle-array than the people stood. The windows likewise were not crowded, but every one stood in them as if they had been placed“. Diese Szene macht deutlich wer wohl die Macht, die angsteinflößende, kontrollierende Macht in diesem Staate innehat: Die Väter des Hauses Salomon.
Der Vater des Hauses Salomons, der unserem Reisenden eine Audienz unter vier Augen gestattet, bleibt anonym. Schon das macht den Leser misstrauisch, denn was wäre so schlimm daran, mit mehreren der Seeleute gleichzeitig zu sprechen, warum nur eine einzige Person? Dieser Wissenscahftler des Hauses Salomon beschreibt in dieser Audienz die Aufgaben und Ziele seiner Institution wie folgt: „The end of our foundation is the knowledge of causes, and secret motions of things; and the enlarging of the bounds of human empire, to the effecting of ALL THINGS POSSIBLE.”
Zwischen harmloser Grundlagenforschung und Beschreibungen von Infrastruktur verbergen sich Versuche wie aus Frankensteins Gruselkabinett:
"We have great lakes […]. We use them also for burials of some natural bodies: for we find a difference in things buried in earth or in air below the earth, and things buried in water.”
“[…] parks and enclosures of all sorts of beasts and birds which we use not only for view or rareness, but likewise for dissections and trials; that thereby we may take light what may be wrought upon the body of man. […] We try also all poisons and other medicines upon them, as well of chirurgery, as physic.“
“[…] likewise new mixtures and compositions of gun-powder, wild-fires burning in water, and unquenchable […].
“We have ships and boats for going under water, […]
Ein Gremium, dessen Besetzung und Legitimation nicht deutlich werden, entscheidet über Publiziät oder Geheimhaltung der Forschungsergebnisse. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun.
Nachdem man die Enthüllungen des Vaters des Hauses Salomons gehört hat und sich daran erinnert, wie er sie einleitete: „Son, to make you know the true state of Salomon's House.“ Klingt „God bless thee, my son; and God bless this relation, which I have made. I give thee leave to publish it for the good of other nations; for we here are in God's bosom, a land unknown” keineswegs mehr positiv sondern nach einem verzweifelten Aufruf, die Daten zu veröffentlichen, aber bitte ohne Nennung des Namens des Informanten.
Letztendlich ist das Buch jedoch unglaublich langweilig geschrieben. Der Autor steht auf Anaphern, was zwar übersichtlich ist, aber nervtötend zu lesen.
So modern und brisant die Enthüllungsgeschichte des ersten Whistleblowers der Literaturgeschichte auch sein mag, so langweilig ist sie leider geschrieben. Selbst Bacon ließ sie irgendwann links liegen, weil er „Sylva Sylvarum“ spannender fand, und dem kann ich zustimmen, ohne das andere Buch gelesen zu haben.
Daher 3 Sterne.