Frank Bajohrs 2003 erschienenes Buch „Unser Hotel ist judenfrei“ ist eine ebenso aufschlussreiche wie beunruhigende Studie über eine lange vernachlässigte Facette des Antisemitismus nicht nur in Deutschland, sondern auch im ehemaligen Habsburger Reich, in seinen Resten nach der Zerschlagung als Folge des Ersten Weltkrieges Österreich, in den Ost-Europäischen Ländern, aber auch in Holland, Belgien und den USA.
Auf knapp 300 Seiten beleuchtet Bajohr auf der Grundlage umfangreicher Quellenrecherchen, wie sich seit und mit dem Aufschwung des Tourismus im späten 19. Jahrhundert in zahlreichen Seebädern, Kurorten und Sommerfrischen ein Klima der Ausgrenzung und Feindseligkeit gegenüber jüdischen Gästen entwickelte.
Der Autor zeigt überzeugend, dass der sogenannte „Bäder-Antisemitismus“ keineswegs ein Randphänomen oder eine fürchterliche Auswirkung des Nationalsozialismus war. Vielmehr verortet Bajohr seine Wurzeln tief im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Er analysiert detailliert, wie sich in den genannten Erholungsorten eine spezifische Form des Antisemitismus herausbildete, die darauf abzielte, ein „deutsches“, „arisches“ Urlaubsparadies zu schaffen, in dem Juden unerwünscht waren. Dies manifestierte sich in expliziten Diskriminierungen, subtilen Ausgrenzungen und einer zunehmend aggressiven Stimmung, die von antisemitischen Liedern und Postkarten bis hin zu handfesten Boykottaufrufen reichte.
Eindrücklich und für die Leser, die wie ich im Grunde genau das, wie es der Titel des Buches und die Erscheinung in Fischers ‚Schwarzer Reihe‘ suggeriert, erwarten, schildert Bajohr die Mechanismen dieser Ausgrenzung. Es geht den Hoteliers, den Touristikbüros auch ums Geschäft. Je nach Ort (Seebad oder Berge) wurden die Menschen jüdischen Glaubens in der jeweiligen Hochsaison mehr diskriminiert als in der umsatzschwachen Nebensaison.
Der Autor hat Gästebücher, Zeitungsartikel, Korrespondenzen und polizeiliche Berichte analysiert, um die vielfältigen Formen des Bäder-Antisemitismus zu dokumentieren. Dabei wird deutlich, dass es sich nicht ausschließlich um die Agitation extremistischer Kreise handelte, sondern dass breite Teile der bürgerlichen Gesellschaft diese antisemitische Haltung teilten und aktiv unterstützten. Die Selbstdeklaration vieler Orte als „judenfrei“ war somit ein bewusstes Signal an antisemitisch gesinnte Urlauber und trug maßgeblich zur Stigmatisierung und Marginalisierung jüdischer Bürger bei.
Im weiteren Verlauf des Buches weist Bajohr nach, wie der Bäder-Antisemitismus in der Zeit des Nationalsozialismus eine gravierende Radikalisierung erfuhr. Die anfängliche Ausgrenzung mündete nun in offene Vertreibung und Enteignung jüdischer Kurgäste und Hotelbesitzer. Die „Judenfreiheit“ der Bäder wurde zu einem integralen Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenpolitik und trug zur Vorbereitung des Holocaust bei, indem sie die gesellschaftliche Akzeptanz für die Ausgrenzung und Entrechtung von Juden weiter erhöhte.
Diese Studie zeichnet sich durch eine klare und präzise Sprache sowie eine stringente Argumentation aus. Er vermeidet moralisierende Urteile, legt aber durch die detaillierte Darstellung der historischen Fakten die menschenverachtende Natur des Bäder-Antisemitismus schonungslos offen. „Unser Hotel ist judenfrei“ ist ein gewichtiger Beitrag zur Erforschung des Antisemitismus und der deutschen Gesellschaftsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Es mahnt auf eindringliche Weise, die Kontinuitäten und die tief verwurzelten Vorurteile zu erkennen, die letztlich in die Katastrophe des Holocaust mündeten.
Das Buch ist für eine breite historisch interessierte Leserschaft von großem Wert.