Seit ich „Traurige Moderne“ von E. Todd gelesen habe, wollte ich über das Jahr 1979 mehr wissen, denn Todd schrieb dort, dass es sich in diesem Jahr eine stille Revolution vollzogen hatte, eine Wende zum Neoliberalismus hin, die man Thatcher und Reagan zu verdanken hat. An dem vorliegenden Werk führte also kein Weg dran vorbei.
Der Blick ins Inhaltsverzeichnis hat aber die Freude deutlich gedämpft, denn das, was mich eigentlich interessierte, sollte in nur einem Kapitel von ca. 35 Seiten abgehandelt werden. Noch ein Kapitel fiel mit auf, das über den Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan auf ca. 40 Seiten berichten wollte. Die Versuchung war groß, nur diese Kapitel, 6 und 7, von 10 zu lesen. Trotzdem las ich alles vom Anfang an, denn es ist schon von Bedeutung, in welchen Rahmen diese eingebettet wurden.
Es geht mit der Revolution im Iran los, weiter geht es zum Papst Johannes Paul II., Revolution in Nicaragua, Chinas Öffnung, Flüchtlinge aus Vietnam, am Ende über AKW Unfall bei Harrisburg und die TV-Serie Holocaust.
Gut ist, dass man bei allen Themen einen klaren Bezug zu Deutschland hat: Es wurde geschildert, was hierzulande getan, wie das eine oder andere Problem bewertet/angegangen wurde usw.
Anfangs entstand ein positiver Eindruck, aber je weiter ins Eingemachte, u.a. zum Weltmachtanspruch der Plutokraten, desto mehr war mir, dass gewisse Falschheit in die Darstellungen hineinschlich. Als ob der werte Autor anfangs einen kunstvollen Tanz auf der Messers Schneide meisterte, indem er bei seinen Ausführungen einen gewissen Grad an Objektivität an den Tag legte, im Endeffekt aber die Balance verlor und in den Brack der plutokratengefälligen Meinungsmache plumpste.
Einmarsch in Afghanistan wurde so dargestellt, als ob dieser vor lauter Machtgelüste der Sowjets geschah, von „Überdehnung des sowjetischen Machtanspruchs“ ist hier die Rede. Paar gute Aspekte wurden zwar genannt, aber die eigentlichen Ursachen ausgeklammert. Die Gründe stehen da, als ob die als Fertigprodukt vom Himmel gefallen wären. Wer z.B. „Illegale Kriege“ von Daniele Ganser gelesen hat oder auch die Bücher von Michal Lüders in etwa „Die den Sturm ernten“, „Armageddon im Orient“ usw., weiß, dass an der Erschaffung dieser für die Sowjets bedrohlichen Situation von langer Hand gewerkelt wurde, sodass sie sich am Ende gezwungen sehen mussten, die südlichen Grenzen besser zu schützen. „Rasch galt der Krieg als ‚sowjetisches Vietnam‘“. S. 231. Hier wurden die Ursache und Wirkung verwechselt. Noam Chomsky sagte in einem seiner Gespräche: Die Sowjets wurden von USA Strategen in diesen Krieg hineinintrigiert, damit dieser zum sowjetischen Vietnam wurde. Und: „Es gab stets brutale Invasionen in russischer Reichweite. Sie hielten sich dennoch in Grenzen, im Gegensatz zu jenen der Vereinigten Staaten…“. S. 50 in „Kampf oder Untergang“. Es gibt gute Gründe, Chomskys Sicht der Dinge als adäquat anzusehen. Er hat seine Meinung, die oft sehr zutreffend war, stets klar gesagt. Zudem muss er sich auch nicht mehr um seine Karriere fürchten. Er hängt nicht am Geldtropfen der Mächtigen. Weiter im Text: „Die sowjetische Einflussnahme scheiterte vor allem daran, dass sie zu offensichtlich Einfluss nahm.“ S. 241. Abgesehen von der fragwürdigen Stilistik dieses Satzes: Klar hatten die Sowjets wohl kaum diese gewiefte Art zu heucheln drauf, der sich der Westen seit Langem erfreut. Sie konnten ihre Taten nicht so perfekt vertuschen und als etwas Tolles an die Öffentlichkeit verkaufen. Es gibt keinen gerechten Krieg, wie Jürgen Todenhöfer in seinem neusten Buch „Die große Heuchelei“ schreibt, und auch dieser hätte vermieden werden können, wie so viele anderen. Hierfür hätte man aber wohl kaum bei den Russen ansetzen müssen.
Die Darstellungen dieser Art entpuppen sich beim näheren Hinsehen als plutokratengefällige Meinungsmache für Unbedarfte. Sie betten sich auch prima in das gemachte Nest, das die sog. Leitmedien in den letzten Jahren gebaut haben. Zu gern stimmen sie ihr Lieblingslied von Russland als Aggressor an, s. z.B. ihre Berichterstattung im Ukrainekonflikt. „Wir sind immer die Guten“ von Bröckers/ Schreyer, das sich kritisch damit auseinandersetzt, ist in diesem Zusammenhang eine sehr lesenswerte Lektüre. Wenn man die oft verwendeten Griffe der Meinungsmache kennt, die z.B. Albrecht Müller in „Nachdenken über Deutschland“ aufführt, oder auch einige Beitragende in „Lügen die Medien?“, wird diese auch in dem Kapitel über Einmarsch der Sowjets in Afghanistan finden. Daher kann man diese Ausführungen als Instrument ansehen, um auch auf diesem Wege Russen-Bashing zu betreiben, wobei dieser hier etwas subtiler ausfällt.
Das Kapitel über Thatcher und Neoliberalismus fällt ähnlich wenig befriedigend aus. Es grenzt schon fast ans Lächerliche, wenn man schaut, wie die knappe Kapazität von ca. 35 Seiten verprasst wurde. Da liegt die Vermutung nahe, man hatte gar nicht vor, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das sieht man u.a. an den gesetzten Prioritäten. Als Erstes darf man lesen, dass Thatcher eine Frau war und sich entspr. kleidete und ähnliche „enorm wichtige Dinge“. Weiter wurde viel über die Grünen geredet, zwar vergleichend zu den neoliberalen Positionen, aber dennoch so, dass man möglichst wenig über die Letzteren zu sprechen kommt, und der neoliberale Part eher unverfänglich ausfällt. Von klaren Worten über z.B. welch verheerende Auswirkungen der Neoliberalismus auf das heutige Leben hat, keine Spur. Da musste ich wieder an Noam Chomsky denken, der sagte z.B., dass das heutige Bildungssystem durch die Privatisierung in direkte Abhängigkeit von Plutokraten geraten ist, dass die heutigen Lehrkräfte sich gezwungen sehen, nach dem Motto „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, ähnlich wie die „Qualitätsmedien“ vorzugehen, dass die Bildung heute darauf ausgerichtet ist, die Menschen, v.a. die Jugend zu gehorsamen Ja-Sagern zu erziehen. Diese werden nie auf die Idee kommen, sich zusammenzuschließen und ihre Rechte einzufordern, und werden zu jedem weiteren Schritt der Plutokraten in Richtung Ausbeutung Ja sagen, da ihnen dank ihrer Bildung, die die Fähigkeit zum freien Denken längst aus dem Programm verbannt hat, nichts anderes mehr einfällt. Von solchen neoliberalen Entwicklungen „..profitiert vor allem der Sektor der konzentrierten Macht. Eliten wollen keine funktionierenden Demokratien. Sie wollen die Gesellschaft, in der die Menschen verängstigt und eingeschüchtert sind. Ihre Hauptsorge soll das Bezahlen der nächsten Miete sein, politische Passivität ist erwünscht.“ S. 162 in „Kampf oder Untergang“ von Chomsky/Feroz. All solche Dinge wurden hier ausgeklammert.
Die Bücher wie das vorliegende sind vllt nicht gerade schlecht, vllt taugen sie als erste Annäherung an das Thema, aber als sonderlich gut kann ich sie auch nicht bezeichnen: Da weiß man nicht so genau, ob die Verklärung oder die Aufklärung die Oberhand gewinnt. Es gibt andere Werke, bei denen die knappe Lesezeit mit größerem Erkenntnisgewinn investiert ist.