Frank Lorenz Müller

 4,3 Sterne bei 3 Bewertungen

Lebenslauf

Frank Lorenz Müller, geboren 1970, ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität St. Andrews in Schottland. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen hat er sich mit der Revolution von 1848/49 befasst, mit dem Nationalismus, Imperialismus und der Monarchie im 19. Jahrhundert. Zuletzt erschienen von ihm „Der 99-Tage-Kaiser“ (2013) und „Royal Heirs in Imperial Germany. The Future of Monarchy in 19th-century Bavaria, Saxony and Württemberg“ (2017).

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Frank Lorenz Müller

Cover des Buches Der 99-Tage-Kaiser (ISBN: 9783827500175)

Der 99-Tage-Kaiser

 (2)
Erschienen am 09.04.2013
Cover des Buches Die Thronfolger (ISBN: 9783827500717)

Die Thronfolger

 (1)
Erschienen am 01.04.2019

Neue Rezensionen zu Frank Lorenz Müller

Cover des Buches Der 99-Tage-Kaiser (ISBN: 9783827500175)
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Rezension zu "Der 99-Tage-Kaiser" von Frank Lorenz Müller

Friedrich III., ein vergessener Kaiser
Andreas_Oberendervor 3 Jahren

Zu den vielen deutschen Herrschergestalten, die heute kaum noch bekannt sind, gehört auch Friedrich III. (geb. 1831, gest. 1888), Deutscher Kaiser und König von Preußen. Als Kaiser Wilhelm I. im März 1888 im hohen Alter von 91 Jahren starb, folgte ihm der todgeweihte, an Kehlkopfkrebs erkrankte Kronprinz Friedrich Wilhelm als Friedrich III. auf dem Thron. Jahrzehntelang hatte der Kronprinz auf diesen Thronwechsel warten müssen. Seine bereits weit fortgeschrittene Krankheit machte indes alle Hoffnungen auf eine längere Regierungszeit zunichte. Friedrich III. starb nach nur 99 Tagen, und als 99-Tage-Kaiser ist er in die Geschichte eingegangen. Seit jeher steht er im Schatten seines Vaters, Wilhelms I., und mehr noch im Schatten seines Sohnes, Wilhelms II.

Mag der Mensch und Herrscher Friedrich III. in Vergessenheit geraten sein, so erwies sich ein Mythos, der bald nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches aufkam, als ausgesprochen zählebig: Hätte Friedrich III., bekannt für seine liberalen Einstellungen und seine englandfreundliche Haltung, länger regiert, so hätte die deutsche Geschichte einen ganz anderen Verlauf genommen als unter der Herrschaft seines Sohnes, der Deutschland mit seiner auftrumpfenden Großmachtpolitik isoliert und schließlich ins Verderben gestürzt habe. Auch die innenpolitische Entwicklung hätte unter Friedrich III. einen anderen, besseren Verlauf genommen - hin zu einer stärkeren Parlamentarisierung des politischen Systems. Inspiriert vom Vorbild Englands, hätte der Kaiser die erdrückende Übermacht der Exekutive, vor allem des Reichskanzlers, verringert und im Gegenzug die Legislative, den Reichstag, aufgewertet. Kurzum: Friedrichs früher Tod sei für Deutschland ein Verhängnis gewesen.

Diesen Friedrich-Mythos hinterfragt Frank Lorenz Müller mit seinem Buch, das 2011 zuerst auf Englisch erschienen ist und nun auch auf Deutsch vorliegt. Es handelt sich hierbei nicht um eine konventionelle Biographie. Müller geht themenbezogen vor und behandelt nacheinander mehrere Aspekte, von denen einige über den engeren biographischen Rahmen hinausgehen. Welche Personen spielten in Friedrich Wilhelms Leben eine herausragende Rolle? Was hat es mit dem Topos vom liberalen Kronprinzen und Kaiser auf sich? Welche politischen Anschauungen vertrat der Thronerbe tatsächlich, und welche Gedanken machte er sich über seine künftige Position als Kaiser? Welche Rolle spielte er im politischen System des Kaiserreiches? Was sahen Öffentlichkeit und Gesellschaft im Kronprinzen, und welche Hoffnungen knüpften sich an seine Person? Wann und durch wen wurde der Mythos in Umlauf gebracht, mit Friedrichs frühem Tod sei dem deutschen Liberalismus die Chance genommen worden, das autoritäre Bismarck-System zu reformieren? Das sind die Fragen, denen Müller nachgeht.

Eingangs untersucht der Autor Friedrich Wilhelms Beziehungen zu drei Personen, die sein Leben auf die eine oder andere Weise entscheidend prägten. Das Verhältnis zum Vater war distanziert und unterkühlt. Wilhelm I., seit 1861 König von Preußen, misstraute seinem einzigen Sohn, weil dieser als junger Mann gelegentlich Sympathien für den Liberalismus erkennen ließ. Vor und nach der Reichseinigung hielt der Vater den Sohn von allen Staatsgeschäften weitgehend fern. Das lange Warten auf die Thronfolge führte bei Friedrich Wilhelm zu Resignation und Entmutigung, sah er sich doch gezwungen, die besten Jahre seines Lebens untätig zu verbringen. Die Distanziertheit zwischen Vater und Sohn spielte Otto von Bismarck in die Hände. Der preußische Ministerpräsident und spätere Kanzler hatte freie Bahn und konnte einen beherrschenden Einfluss auf Wilhelm I. gewinnen. Das Verhältnis zwischen Kanzler und Thronfolger war ambivalent: Friedrich Wilhelm lehnte Bismarcks konservative Politik und "diktatorischen" Regierungsstil ab, erkannte aber bereitwillig an, was Bismarck für die Reichseinigung leistete, eines der wenigen Ziele, das beide Männer teilten. Mitte der 1880er Jahre ließ der Kronprinz schließlich sogar durchblicken, dass er Bismarck nach dem Thronwechsel im Amt belassen wolle, weil es ihm unmöglich zu sein schien, gleichwertigen Ersatz für den "Eisernen Kanzler" zu finden.

Zu guter letzt war da Friedrich Wilhelms Gemahlin Viktoria, älteste Tochter der britischen Königin Viktoria. Intelligent, gebildet, selbstbewusst, stolz auf ihre Herkunft aus dem Mutterland des Parlamentarismus, sah es Viktoria als ihre Aufgabe an, ihren Mann "Fritz" bei der Mission zu unterstützen, dem Liberalismus in Preußen und Deutschland zum Sieg zu verhelfen. Friedrich Wilhelm und Viktoria waren einander in Liebe und enger Vertrautheit verbunden, was in fürstlichen Ehen dieser Zeit keineswegs selbstverständlich war. Die innige und partnerschaftliche Beziehung gab zu Gerüchten Anlass, der Thronfolger stehe unter dem Pantoffel seiner Frau, sei schwach, nachgiebig und beeinflussbar. Schwerer noch wog der Verdacht, das Kronprinzenpaar wolle die Geschicke Preußens und Deutschlands nach Vorgaben aus London lenken, wolle eine Politik betreiben, die sich englischen Interessen unterordne. Standhaft ertrug Viktoria alle Anfeindungen. Sie war die wichtigste emotionale Stütze ihres Mannes, dem die politische Bedeutungslosigkeit mit zunehmendem Alter immer schwerer zu schaffen machte.

Was Friedrich Wilhelms politische Anschauungen angeht, so arbeitet Müller heraus, dass der Kronprinz in der Tat ein gemäßigter Liberaler war, gleichzeitig aber ein romantisches Kaiserbild kultivierte, das in einer Zeit beschleunigter Modernisierung recht anachronistisch wirkte. Das Eintreten für liberale Werte und Ideen (Rechts- und Verfassungsstaat; Freihandel; Ablehnung von Todesstrafe und Antisemitismus) verband sich bei ihm mit schwärmerischer Begeisterung für das alte deutsche Kaisertum und dem Wunsch, dereinst als Kaiser kraftvoll und zupackend zu regieren. Friedrich Wilhelm ging in seiner Hinneigung zum Liberalismus nicht so weit, dass er sich mit einem rein repräsentativen Kaisertum begnügen und dem Parlament das politische Alltagsgeschäft überlassen wollte. Er wollte nicht nur auf dem Papier Kaiser sein. Ein konkretes politisches Programm für seine Regierungszeit besaß er allerdings nicht, wie Müller zeigt. Der Eindruck vieler Zeitgenossen, Friedrich Wilhelm sei ein Leichtgewicht mit vagen, unausgereiften politischen Ideen, wird somit nachträglich bestätigt. Die diffusen politischen Vorstellungen des Kronprinzen gingen kaum über das Bestreben hinaus, dass 1871 gegründete Deutsche Reich stärker zu zentralisieren, zu Lasten der Bundesstaaten, für deren Herrscherhäuser Friedrich Wilhelm wenig übrig hatte.

Die Einfluss- und Machtlosigkeit des Kronprinzen stand in auffälligem Kontrast zu den Erwartungen, die liberale Kreise an den Thronerben richteten. Der Kronprinz war nie ein ernst zu nehmender politischer Akteur, war aber als Projektionsfläche bedeutsam. Alle, die ungeduldig das Ende des Tandems Wilhelm I./Bismarck herbeisehnten, projizierten ihre Hoffnungen auf den Thronfolger. Wenn er erst zur Macht gelange, so der Tenor in fortschrittlich gesinnten Kreisen, werde sich der Liberalismus endlich durchsetzen. Ein engeres Bündnis zwischen Friedrich Wilhelm und den Liberalen kam aber nie zustande. Im Gegenteil, so sehr der Kronprinz privaten Umgang mit prominenten Liberalen auch schätzte, so vermied er es doch sorgfältig, sich explizit zu den Liberalen zu bekennen. Das Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Haus und sein stark ausgeprägter dynastischer Dünkel gestatteten ihm dies nicht. Der Thronfolger sah sich in der Tradition bedeutender preußischer Herrschergestalten und war nicht gewillt, die Monarchie ihres Glanzes zu entkleiden und "verbürgerlichen" zu lassen.

Die beiden letzten Kapitel sind der Krankheit und dem Tod Friedrichs III. sowie dem Kampf um sein Andenken gewidmet. Die Tapferkeit, mit der der Kronprinz und Kaiser seine unheilbare Krankheit ertrug, verdient noch heute Bewunderung. Seine letzten Monate waren überschattet von kleinlichen Intrigen in seiner Umgebung und einer Schmutzkampagne gegen Kaiserin Viktoria. Die erhoffte liberale Wende blieb aus; Bismarck hielt die Zügel weiterhin fest in der Hand. Nach Friedrichs Tod rangen Liberale und Konservative um die Deutungshoheit. Die einen verklärten Friedrich III. zum Vorkämpfer für den Rechts- und Verfassungsstaat, dem tragischerweise die Chance verwehrt worden sei, Deutschland zu liberalisieren. Die anderen konstruierten einen Gegenmythos und reduzierten Friedrich auf den Soldaten und preußischen Heerführer, der entscheidenden Anteil an den Siegen von 1866 und 1870 gehabt habe.

Frank Lorenz Müller beschließt sein ausgezeichnetes Buch mit der These, von einer "übersprungenen Generation" könne keine Rede sein. Dieser Topos, entstanden nach der Niederlage von 1918, als Gründe für die Fehlentwicklungen im wilhelminischen Kaiserreich gesucht wurden, halte einer genauen Betrachtung nicht stand. Zwischen Friedrich III. und seinem Sohn Wilhelm II. habe es neben mancherlei Unterschieden auch einige wichtige Gemeinsamkeiten gegeben, vor allem die Liebe zum Militär und den Willen, als "starker" Kaiser zu regieren. Müller vermutet, Friedrich III. hätte anders als sein Sohn keine antibritische Politik betrieben und das Aufkommen der Großmachtrivalität zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich verhindert. Dass aber, wie Friedrichs Bewunderer glauben machen wollten, die gesamte innen- und außenpolitische Entwicklung anders verlaufen wäre, wenn dem Kaiser eine längere Regierungszeit beschieden gewesen wäre, schließt Müller mit Nachdruck aus.

Ist diesem Urteil zuzustimmen? Zweifel und Skepsis sind angebracht. Es mag zutreffen, dass Friedrich III. nur "durchschnittlich begabt" war. Es mag auch sein, dass ihn sein Schwanken zwischen gemäßigtem Liberalismus und romantischer Schwärmerei für ein starkes Kaisertum daran hinderte, eine klare, eindeutige, zeitgemäße und widerspruchsfreie politische Vision zu entwickeln. Und dennoch: Vergleicht man den Vater mit dem Sohn, stellt man Persönlichkeitsstruktur und Regierungsweise Wilhelms II. in Rechnung, dann drängt sich am Ende doch wieder der Verdacht auf, dass Deutschlands Schicksal in den Händen Friedrichs III. besser aufgehoben gewesen wäre. In menschlicher Hinsicht gibt Friedrich III. allemal eine sympathischere und gewinnendere Figur ab als sein exaltierter, übermütiger Sohn und Nachfolger. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2013 bei Amazon gepostet)

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