Frank Singielli, Salto mentale
Ein Mann steht kopf
und kommt nicht mehr auf die Füße. Kopfüber stürzt er sich von einer Affäre in die nächste und bekommt doch nicht wieder, was er verloren hat: seine Familie.
Das Aufregende dieses Romans ist der Grund, an dem diese Ehe scheitert: Die geliebte Ehefrau wird lesbisch. Und der Mann muss hilflos zusehen. Wegen des Sohnes behalten sie Verbindung. Als die Mutter sich der Frauenbewegung anschließt, lebt das Kind in längeren Phasen bei seinem Vater, an Wochenenden auch bei seiner Mutter. Eine Art von Patchwork-Familie, wie sie heute nicht ungewöhnlich ist, in den 90ern aber wenig erprobt war. Was der Kopf richtig findet, nämlich die Entwicklung des Partners zu akzeptieren, dabei neue Formen für einen gemeinsamen Alltag zu finden, verstehen die Gefühle noch lange nicht. Schonungslos und monoman wird das Innenleben dieses verlassenen Mannes beschrieben, seine obsessiven Abenteuer, seine ausschweifenden Fantasien, in denen er seine vermeintlich neutralisierte Männlichkeit auslebt. In einer Gruppe betroffener Männer und Väter wird er zum Schreiben ermutigt und outet sich als Erotomane, der furchtlos sämtliche Formen der Lust erfassen und beschreiben will.
Das Thema der Geschlechterbeziehungen wird in Prosa, essayistischen Formen, lyrischen Einlagen und Parallelgeschichten durchgespielt. Den Leser erwartet eine barocke Bilderfülle, Wortspiele, Assoziationen, eine Vermischung von Wirklichkeit und Traum. Am Ende bleibt offen, ob die vielen Frauen, insbesondere die nymphomane Radiosprecherin, mit der Victor eine Liebesbeziehung verbindet, nicht bloße Fiktionen sind, Männerfantasien eines letztlich Schüchternen und Einsamen, der an der einen verlorenen Liebe leidet.
Es gibt ein geheimes Zentrum in diesem Roman, das ist sein Adressat: „Mein Sohn, Fabian, ich verliere, vergesse dich nicht.“ Wenn Victor sich an Fabian erinnert, wehmütig beschreibt, wie sie beide kochten, rührt das mehr als die vehementen Sexszenen, die vor allem die Lust des Mannes erforschen. Die Seite der Frauen, egal, ob hetero- oder homosexuell, bleibt weitgehend sprachlos. Man würde sich wünschen, dass der Autor weiterschreibt, in einen Dialog eintritt mit den Frauen, die den Protagonisten so verletzt haben.
Renate Gutzmer, Autorin, Berlin