Ich glaubte schon, dieses Buch, das ich mir immer im Rucksack mitgenommen hatte, irgendwo unterwegs verloren zu haben, aber es hat sich bei der Intensivreinigung während meines Urlaubs unter dem Bett wiedergefunden. Mittlerweile bin ich tatsächlich froh, dass es wieder aufgetaucht ist.
Obwohl ich Kuzgeschichten bis vor kurzem gar nicht so sehr mochte und mich erst letztes Jahr wieder langsam damit anfreunden konnte - als Kind habe ich jene von Kishon verschlungen - wahrscheinlich habe ich deshalb viele Jahre schlechte Erfahrungen gemacht, weil ich so wenige gute gelesen habe, war ich überrascht, wie gut mir einige von Franka Potentes Erzählungen gefallen haben. Vor allem die ganz kurzen sind für mich ganz großes Kino. Jene mit dem Reiskorn hat mir am besten gefallen.
Was auch noch extrem positiv hervorzuheben ist, ist der Umstand, dass sie alle einen thematischen Schwerpunkt haben. Sie handeln von Japan und von der japanischen Kultur. Potente zeichnet in den kleinen sehr leisen Episoden ein ziemlich gutes Bild von einer Gesellschaft, die wirklich ganz anders ist als die europäische mit ihren Konventionen, ihrem starren Korsett an do's und don'ts, dem Ehrgeiz der modernen Leistungsgesellschaft, den alten Traditionen und den Werten.
Als Augenzeugin kann ich zwar nicht beurteilen ob die Autorin so authentisch schreibt, denn ich kenne zu wenig Japaner, als mittelbare Lesezeugin aber schon, denn ich habe schon einige Bücher von japanischen Schriftstellern gelesen und das was Potente schreibt, fügt sich konsistent ins Gesellschaftsbild, ohne alte Klischees zu wiederholen oder auch jemanden zu kopieren. Schreiben Nothomb als Europäerin immer in der Außensicht über diese uns fremde Gesellschaft als teilnehmende Beobachterin und Protagonistin und die japanischen Schriftsteller, wie Murakami oder Nakamura aus Innensicht so schafft es Franka Potente oft, obwohl sie ja auch kein Teil der Gesellschaft ist, aus zwei Sichten sehr wertschätzend diese Kultur zu beleuchten, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Sie stellt oft das alte Japan aus Innensicht in der Figur einer den traditionellen Werten verhafteten Person dem der Außensicht eines Fremden oder eines Japaners, der sich bewußt nach westlichem Stil auflehnt, oder aus der Sicht einer japanischen Austauschschülerin, die gerade 8 Monate in Amerika verbracht hat, entgegen. Fast in jeder Story geht es entweder um traditionelle Werte oder um einen Zusammenprall von alt und neu beziehungsweise Ost und West in Form eines Konflikts oder um eine Annäherung.
Sehr gut gezeichnete Figuren und Lebensszenen bevölkern dieses Buch, da ist die Liebe zwischen der Schwedin Ingborga und Tetsuo, der sie wegen Ihres offenenen fordernden Umgangs mit ihm als einen Samurai der Liebe bezeichnet, oder Miyu, die in einem Nachtclub strippt und ihre Schwester erstmalig damit konfrontiert, oder Naski, die während eines Schüleraustauschs in Amerika endlich ihr gesellschaftliches Korsett abwerfen darf, die Freiheit in der Gastfamilie in vollen Zügen genießt und nie wieder in ihre Heimat zurückmöchte, dies aber in Folge des Todes des Großvaters plötzlich wieder muss. Oder auch der todkranke einsame Herr Massamori, der kurz vor seinem Tod von einem Freund einen Fernseher geschenkt bekommt und in die Welt des amerikanischen Wrestlings eintaucht.
Dass Potente die Motive ihrer klassischen japanischen Prototypen so authentisch schildern kann, ohne dass sie wie Schablonen oder Klischees wirken, sondern wirklich wie echte Figuren mit Facetten und Herz, liegt wahrscheinlich am Umstand, dass sie sehr vielen Japanern sehr intensiv und genau zugehört hat. Anders kann ich mir so gute Schilderungen schwer vorstellen.
Wenn ich dann noch in die Bewertung einfließen lasse, dass dies das erste Buch und offensichtlich der erste Schreibversuch der Autorin ist, dann muss ich ob der Qualität einfach den Hut ziehen und runde sehr begeistert die 3,5 auf 4 Sterne auf.
Fazit: Auf jeden Fall lesenswert und auch spannend zu beobachten, dass eine Frau, die man bisher nur als Schauspielerin gekannt hat, literarisch so etwas zusammenbringt.
Lebenslauf von Franka Potente
Alle Bücher von Franka Potente
Zehn
Allmählich wird es Tag
Kick Ass - Das alternative Workout
Allmählich wird es Tag
Zehn
Allmählich wird es Tag
Als het licht wordt / druk 1
Neue Rezensionen zu Franka Potente
Das Buch hat mir eine Freundin empfohlen (vielen lieben Dank dafür), und obgleich ich ihr Urteil zu schätzen weiß, war ich anfangs etwas skeptisch: Franka Potente als Autorin?
Aber schon nach der ersten Kurzgeschichte wusste ich, dass all meine Zweifel keine Berechtigung hatten. Mit einfühlsamen Worten und literarischer Genauigkeit wird das alltägliche Leben in Japan filigran skizziert. Das Leben der Menschen, die ihren Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen Raum geben, die im Strudel der Gefühle gefangen oder auf der Suche nach sich selbst sind.
Besonders hat mich die Geschichte "Das schwedische Haar" fasziniert. Die Geschichte einer nicht ausgelebten Liebe.
Tetsuo begegnet der schwedischen Praktikantin Ingeborga und er wusste sofort:
... " Dieses Mädchen war anders. Wie ein Samurai, dachte er. Seine Großmutter hatte ihm als kleinem Jungen immer gesagt: "Tetsuo, wenn dich ein Samurai anblickt, dann weißt du, dass es ein Samurai ist. Er senkt seinen Blick nie, in seinen Augen wohnt der Mut. Ein Samurai kann in dein Herz sehen!"
Er ist fasziniert von ihr, begehrt sie, liebt sie und doch schafft er es nicht, sich zu dieser Liebe zu bekennen. Stattdessen trottet er den Normen der Gesellschaft, des Anstandes und der Verpflichtung hinterher. Er versucht gar nicht erst, um diese besondere Liebe zu kämpfen und was ihm bleibt ist eine eingesperrte Erinnerung.
... "Alles, was er behielt, war das Haar. Das schwedische Haar in dem kleinen Lackkästchen. Er hatte sich übernommen."
Rezension zu "Allmählich wird es Tag" von Franka Potente
Wenn Schauspieler, singen, musizieren oder schreiben - nun ja; manchmal geht man schon mit leichten Vorbehalten in die Schaffenskünste. Aber in diesem Fall ist ein durchaus gelungenes Werk entstanden.
Ein Freundin empfahl mir den Roman. Ein feiner Lesetipp - ein echter Geheimtipp, denn so das ganz, ganz große Licht der Öffentlichkeit blieb dem Roman wohl verwehrt.
Ein Roman, der wunderbar funktioniert, der trotz der vielen Problemfelder ultraleicht daherkommt und in dessen Geschichte man wundervoll eintauchen kann.
Der Buchtitel "Allmählich wird es Tag" ist eher nichtssagend - umso überrschender ist es, dass Franks Potente aus einem amerikanischen Otto Normalbürger, der vor etlichen Jahren mal glücklich und zufrieden lebte, einer geworden ist, der Job und Frau verliert und tüchtig absackt.
Somit ist der Roman eine moderne US-Studie, ein Familienroman fast ohne Familie und eben auch ein Single-Ratgeber, wie man es am besten nicht macht. Vor allen Dingen ist das Buch sehr unterhaltsamer Lesestoff...
Gespräche aus der Community
Zusätzliche Informationen
Franka Potente wurde am 22. Juli 1974 in Münster (Deutschland) geboren.