Eine vierstündige Zugfahrt vom Wiener Nordbahnhof bis ins mährische Brünn. Sie bildet den Rahmen für die Novelle von Franz-Maria Sonner über Gregor Mendel. Innerhalb dieser Rahmengeschichte entfaltet sich das Leben Mendels in der Rückschau. Sein Name steht bekanntlich für die Vererbungslehre.
Der alte Abt Gregor ist 1883 nach Wien gefahren, um eine für ihn ungeheuerliche Ungerechtigkeit ein für alle Mal zurechtzurücken. Sein autarkes Kloster wird neuerdings besteuert. Erreicht hat er nichts. Nachgeben will er aber auch nicht. Er ist geduldig, hartnäckig, stur. Es geht ihm ums Prinzip. Für seine Forschungen zur Vererbung war wohl so eine Haltung notwendig. Gegen die staatliche Bürokratie kann er damit nichts ausrichten. Doch ein Kohlhaas ist er auch nicht. Er hat sich zurückgezogen, findet sein Leben vergiftet und freudlos.
Fast unmerklich vollzieht sich der Übergang von der Erinnerung des Abts Gregor zum Erleben des jungen Paters Gregor. Der Bauch ist noch nicht so dick, dass er die heruntergefallenen Zigarren nicht mehr vom Abteilboden aufheben kann, noch kein Wasser in den Beinen, aber schon mehrfach zusammengebrochen. Das Schicksal meint es nicht sehr gut mit Gregor Mendel. Auch als alten Mann schmerzt ihn noch der Misserfolg bei den zwei Versuchen, Gymnasiallehrer zu werden. Das unmäßige Essen bringt keine Abhilfe, im Gegenteil. Die Niederlagen verfolgen ihn auch im Alter.
Er sucht nach Regeln – ganz gleich wo. Pisum sativum hat es ihm angetan. So hat er mit unendlicher Geduld die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung von Merkmalen bei der Erbse untersucht. Seine Entdeckungen werden allerdings kaum beachtet.
Franz-Maria Sonner erzählt mit knappen Dialogen, plastischen Bildern und viel Liebe zum sprechenden Detail vom Leben und Wirken des zu Lebzeiten verkannten Naturforschers. Je näher der Abt dem Ziel kommt, desto abgründiger seine Vorstellungen. Am Ende dann auch Einsichten über schreckliche Konsequenzen der Vererbungslehre. Denn kurz vor der Ankunft in Brünn sitzen ihm die Schicksalsgöttinnen gegenüber.
Fun fact: Offenbar konnte man 1883 beim Schaffner kurz vor Floridsdorf ein sogenanntes Gabelfrühstück bestellen und bekam dann später beim Halt in Lundenburg einen Teller Gulasch, zwei Knödel und ein Glas Rotwein im Abteil serviert.