Cover des Buches Die wissen alles über Sie (ISBN: 9783868812930)
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Rezension zu Die wissen alles über Sie von Franz Kotteder

Unter 80, kein Handy, keine E-Mail-Adresse? Was haben Sie zu verbergen?

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Beliebte moderne Handys speichern nach neueren Erkenntnissen das Bewegungsprofil seines Besitzers. Doch dagegen regt sich nur schwacher Protest. Und der kommt auch nur von Leuten, die sich professionell mit dem Schutz unserer Privatsphäre befassen. Was vor 30 Jahren noch die Gemüter heftig erregt hätte, erschreckt offenbar heute kaum noch jemanden. Der Autor dieses Buches gibt unter anderem dem Zeitgeist die Schuld an dieser schwer verständlichen Gleichgültigkeit. Wer freiwillig im Internet sein Privatleben nachvollziehbar macht oder sich mit der halben Menschheit vernetzt, den interessiert die Datensammlungswut von Staat und Wirtschaft offenbar kaum.

Was jedoch wirklich hinter den Kulissen abläuft, versucht dieses Buch ans Licht zu bringen. Leider bleibt zu vermuten, dass der Autor mit seinem Anliegen offene Türen bei denjenigen einrennt, die sich der Lage mehr oder weniger bewusst sind, aber ansonsten ins Leere läuft, weil die eigentlich wichtige Zielgruppe solche Bücher nicht liest.

Der Text ist in drei Teile aufgeteilt. Zunächst befasst sich Kotteder mit der stark zunehmenden behördlichen Datensammlungswut in Deutschland. Wie er dabei zugeben muss, kann man solchen Erhebungen, für die selbstverständlich immer scheinbar überzeugende Gründe wie die Abwehr von Terroranschlägen, die Verschlankung des Staates oder andere Vorwände angegeben werden, nicht ausweichen. Wenn überhaupt, so stellt fast immer erst das Bundesverfassungsgericht die letzte Rettung dar.

Der Autor geht in diesem Teil ausführlich auf die kommende Volkszählung ein. Wie auch später schildert er im Anschluss an alle Abschnitte den schlimmstmöglichen Fall und erklärt, was man gegen die entsprechenden Attacken der Datensammler tun kann. Bei der Volkszählung ist das allerdings kaum der Rede wert. Anschließend schildert Kotteder sehr detailliert die verschiedenen anderen Versuche, den Bürger möglichst durchsichtig zu machen. Insbesondere geht er auf die elektronische Steuererklärung, die geplante superteure neue Gesundheitskarte, den elektronischen Personalausweis, den elektronischen Entgeltnachweis (Elena), die Möglichkeiten von Polizei und Geheimdiensten, die Vorratsdatenspeicherung, mögliche Bundestrojaner auf dem heimischen Rechner und die Videoüberwachung ein.

Liest man dies alles aufmerksam, so wird einem sehr deutlich, in welch erschreckendem Umfang den Behörden Daten über jeden Bürger bekannt sind. Zwar sind Verknüpfungen der verschiedenen Datenbanken gegenwärtig nicht gestattet, doch die Geschichte zeigt, dass Möglichkeiten früher oder später immer genutzt werden. Solche Gefahren beschreibt der Autor relativ ausführlich.

Im zweiten Teil befasst er sich mit den Datensammlungen der Wirtschaft. Hier werden die Bürger als Arbeitnehmer und als Konsument unter die Lupe genommen. Käufer werden in der Regel mit Rabatten zur Offenbarung von Konsuminteressen überredet. Sie geben also zum Beispiel über Kundenkarten völlig freiwillig ihr Profil ab. Kotteder geht dann auf das berüchtigte Scoring ein, über das man sich zwar inzwischen informieren kann, aber gegen das man in Wirklichkeit natürlich machtlos ist. Abschließend schildert er einige Fälle von Überwachungen in Unternehmen und beschreibt neue Möglichkeiten der Kontrolle durch Computerauswertungen von Arbeitsleistungen.

Im letzten Teil geht es um Gefahren, die man sich selbst durch die naive Nutzung des Internetzes ins Haus holt. Wer bei Google sucht, muss damit rechnen, dass er wesentliche Teile seiner Interessen dem Konzern preisgibt. Entsprechend gezielt wird man danach mit personalisierter Werbung bedient. Aber damit nicht genug. Kotteder zeigt, dass Google längst zum Großen Bruder geworden ist, der über viele Menschen mehr weiß, als ihnen lieb sein kann.

Nachdem der Autor kurz auf die Geschichte und die Philosophie dieses Unternehmens eingegangen ist, listet er knapp, aber dennoch auf zweieinhalb Buchseiten alle Dienste von Google auf. Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass Google eigentlich alle Bereiche des Lebens abdeckt und auch keinerlei Hemmungen beim Datensammeln besitzt. Dass beispielsweise beim Fotografieren für Street View auch mal kurz private Daten ausgespäht wurden, war keineswegs ein Zufall, sondern eher gelebte Firmenphilosophie.

Der Autor gibt einige Alternativen zu Google an, erklärt getreu seinem Konzept, welche Folgen die Datenkrake Google schlimmstenfalls verursachen kann und erläutert, was man dagegen tun kann.

Danach widmet er sich in gleicher Weise Facebook. Am besten bringt die Facebook-Problematik wohl ein Zitat aus der ZEIT vom August 2010 zum Ausdruck: "Wohl kein Geheimdienst dieser Welt - der chinesische vielleicht ausgenommen - verfügt über ein derart präzises, vielfältiges, ständig aktualisiertes Bild dessen, was in der Bevölkerung vorgeht."

Der Autor appelliert an seine Leser endlich vom Objekt der Ausspähung zum handelnden Subjekt zu werden. Spätestens wenn man dieses gut geschriebene und sehr informative Buch gelesen hat, wird man verstehen, warum dies dringend nötig ist. Abgesehen von einigen Stellen, an denen die persönliche Ideologie des Autors zum Vorschein kommt, ist der Text sachlich und aufklärend verfasst.

Fazit.
Ein sehr informatives und gut geschriebenes Buch, das leider und wohl auch zu recht wenig Hoffnung verbreitet, der schleichenden Auflösung der Privatsphäre noch entrinnen zu können.
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