„Prinzipiell soll das Recht auf Asyl, in der Genfer Fluchtkonvention verankert, für jeden zugänglich sein. Doch was tun, wenn man als flüchtende Person den europäischen Boden gar nicht mehr erreicht, keine legalen Fluchtrouten hat oder mit systematischer Gewalt wieder von europäischen Boden fortgezerrt wird?”
„Die Insel" von Franziska Grillmeier hat mich wütend, traurig und vor allem sprachlos gemacht. Grillmeier taucht tief in den Ausnahmezustand ein, der an den mittlerweile fast vergessenen Orten an den Rändern Europas herrscht. Mit ihrem eindrucksvollen Schreibstil und ihrer tiefgehenden Recherche gelingt es ihr, ein erschreckendes Bild von den Herausforderungen und Abgründen Europas zu zeichnen.
Die Hoffnung auf ein sicheres Leben und bessere Zukunftschancen treibt die Flüchtlinge an - sie sehnen sich nach Schutz, Stabilität und den grundlegenden Menschenrechten, die ihnen in ihren Heimatländern verwehrt werden. Diese Sehnsucht ist verständlich und berührt tief.
Ein zentraler Ort, der im Buch besprochen wird, ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Das Lager wurde zu einem traurigen Symbol für die unmenschlichen Bedingungen, mit denen Flüchtlinge konfrontiert sind.
„Die Menschen, die Tag für Tag im nasskalten Winter von Moria ums Überleben kämpften, waren zu einem Spielball der Geopolitik geworden. Sie gerieten dadurch an die Grenzen ihrer Überlebensfähigkeit [...].”
Moria war ursprünglich als temporäre Unterkunft geplant, konnte jedoch mit dem enormen Zustrom von Menschen nicht Schritt halten. Infolgedessen wurde es zu einem überfüllten und chaotischen Ort, der die grundlegenden Bedürfnisse der Bewohner nicht erfüllen konnte. Die Infrastruktur war völlig überlastet, es gab einen akuten Mangel an sanitären Einrichtungen, sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, trockenen Unterständen und medizinischer Versorgung - also eigentlich an allem.
„Moria war [...] längst zu einem medialen Ausstellungsraum für die europäische Asyl- und Migrationspolitik geworden. Zu einer Bühne von Rechtsverletzungen, die durchaus fotografiert, ausgestellt und beschrieben werden sollten, damit die Abschreckungsmechanik des Lagers [...] auch wirklich griff.”
Das Flüchtlingslager Moria wurde zum Sinnbild für das Scheitern des europäischen Asylsystems und der mangelnden Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Es fehlte an einer koordinierten und effektiven Lösung, um die Situation zu verbessern und den Menschen in Moria angemessene Unterstützung zu bieten. Die Bedingungen in Moria waren nicht nur eine humanitäre Krise, sondern auch ein Appell an die europäischen Länder, ihre Verantwortung wahrzunehmen und gemeinsame Lösungen zu finden.
„Die Insel" erinnert uns an die dringende Notwendigkeit, diese Probleme anzugehen und eine menschenwürdige Behandlung der Schutzsuchenden sicherzustellen.
Denn das eine andere Behandlung von (Kriegs-)Flüchtlingen möglich ist, zeigte sich ein paar Jahre später mitten in Europa:
„In diesem Moment prallten zwei Welten von schutzsuchenden Menschen aufeinander - jene, die keine sicheren Fluchtwege haben und deren gewalttätige Misshandlung durch europäische Grenzschützer:innen auf dem Weg meist folgenlos bleibt, und jene, die in ihrem Schutzgesuch in Europa empfangen werden, wie es im internationalen und europäischen Recht verankert ist.”
Franziska Grillmeier scheut sich nicht davor, die Schattenseiten Europas schonungslos offenzulegen und dabei die menschlichen Geschichten derjenigen zu erzählen, die an den Rand gedrängt werden. Ihre Erzählungen sind geprägt von Empathie und Mitgefühl, und sie gibt den oft unsichtbaren Stimmen eine Plattform.
Besonders beeindruckend ist die detaillierte Recherche, die in das Buch einfließt. Grillmeier hat offensichtlich zahlreiche Stunden damit verbracht, mit Menschen vor Ort zu sprechen, Daten und Fakten zu sammeln und Hintergrundinformationen zu recherchieren. Dadurch gelingt es ihr, ein authentisches Bild der Situation zu zeichnen und umfassend zu berichten. Und das, obwohl das Buch nur etwas mehr als 200 Seiten hat.
„Die Insel" gibt einen Einblick in die Hoffnungen, Ängste und Träume derjenigen, die gezwungen sind, illegale Routen zu nutzen. Es erinnert uns daran, dass hinter den Zahlen und Statistiken echte Menschen mit Geschichten stehen, die unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdienen. Es ist ein Aufruf zur Solidarität und Veränderung und sollte meiner Meinung nach von jedem gelesen werden, der jemals eine Schlagzeile über Flüchtlinge gelesen oder Flüchtlinge gesehen hat oder jemanden im Umfeld kennt, der eine Meinung zu Flüchtlingen hat.