Hach, wie mein Fernweh und meine Reiselust geweckt wurden durch diese wunderbare literarische Tour durch Russland, dieses riesige, vielfältige Land. Genau das, was ein Bildband bestenfalls bewirkt, schafft also auch Röckenhaus mit dem 2018 bei Hoffmann & Campe erschienenen „Russland von oben“. Bewusst verzichtet der Autor auf politische Stellungnahmen, lässt stattdessen die Weltlage für eine Weile in den Hintergrund treten und das größte Land der Erde aus der Distanz für sich wirken.
„Bei einem Land wie Russland, das von unseren Nachrichten, Zeitungen und vom rastlosen Internet meist nur noch im Nahkampf-Modus beschrieben wird, tut das Abheben gut.“ (S. 10)
Russland ist mehr als Kreml, Ermitage und sibirische Weite. Eine Fläche, die elf Zeitzonen umfasst, lässt sich eben nicht in einem Satz fassen. Ein Land, von dessen westlichstem Zipfel an der Ostsee es bis zur Beringstraße im äußersten Osten 7000 Kilometer Luftlinie sind, hat mehr zu bieten als schneekalte Winter und Zwiebelturmkirchen. Selbst, wenn einem diese Selbstverständlichkeiten bewusst sind, kann man aus diesem Bildband eine Menge mitnehmen. Von der kleinsten Wüste der Welt über die unendliche Weite des Wolgadeltas, abgelegene und schwer erreichbare Orte wie Kosch-Agatsch oder Bowanenkowo bis hin zu mysteriösen Türmen in Inguschetien, Polarlichtern im hohen Norden und dem Baikalsee, dem wasserreichsten See der Erde, gibt es so viel zu entdecken. So viel, das ich nun unbedingt gern mal mit eigenen Augen sehen würde. Dafür lohnt es sich, diesen Bildband von vorne bis hinten und mehrmals durchzublättern, durch seine Texte dazuzulernen und sich in seine Aufnahmen fallen zu lassen.
So viel also dazu, dass dieser 240 Seiten umfassende Bildband für Russland-, Welt- und Reise-Interessierte durchaus eine Bereicherung darstellt.
Was allerdings die Qualität der Aufnahmen betrifft, so bin ich zwar kein Experte, aber hatte manchmal den Eindruck, dass entweder ältere Aufnahmen herangezogen wurden, ein Nostalgie-Filter über das Fotografierte gesetzt wurde oder die Auflösung einfach nicht so herausragend hoch war wie ich das aus anderen Bildbänden kenne. Das kann eventuell auch an der Entfernung liegen, aus der die Aufnahmen gemacht wurden. Letztlich brauchte ich eine Weile, um mich an diesen besonderen „Ton“ des Bildbandes zu gewöhnen.
Woran ich mich hingegen nie ganz gewöhnen werde, ist, wenn Aufnahmen sich über die ganze Seite erstrecken und sich das Buch aufgrund der Bindung in der Mitte nicht ganz öffnen lässt, sodass die Bilder darin "verschwinden". Das war hier leider auch manchmal der Fall.
Was Geschmackssache sein dürfte, ist, dass nicht jedes Bild mit einer Beschriftung versehen ist. Manchmal erschließt sich beispielsweise erst aus dem Text auf der nächsten Seite, was sich auf der Doppelseite davor befindet. Dadurch können manche Aufnahmen ganz für sich wirken, aber eine Erklärung zu jeder einzelnen Aufnahme hätte ich persönlich bevorzugt, zumal auf einer Seite ja auch manchmal mehrere Fotos versammelt sind.
Fast am meisten hat mich aber gestört, dass die Texte manchmal voller Tippfehler sind – und zwar in so gehäufter Form, dass sich bei mir der Verdacht erhärtete, dieses Buch sei durch gar kein Lektorat gegangen, bevor es gedruckt wurde. Hier bleibt zu hoffen, dass das nur in der mir vorliegenden ersten Auflage so war und mittlerweile oder spätestens beim Druck neuer Auflagen behoben worden ist/wird. Für 32 Euro dürfte man auch bei einem Bildband bei den Texten etwas mehr Sorgfalt erwarten, finde ich.
Fazit:
Insgesamt eine wunderbare und empfehlenswerte literarische Reise durch ein wunderbar vielfältiges und interessantes Land aus einer idealen Perspektive, auch wenn ich mich an die Farbe der Aufnahmen etwas gewöhnen musste, hier und da eine Beschriftung vermisste und über die Anzahl an Tippfehlern nicht schweigend hinwegsehen kann.