Ich hatte in einer Buchkritik gelesen, die Biografie von Thomas Manns Lieblingsenkel würde sich eher psychologisch mit der Familie Mann beschäftigen. Mit dieser Erwartung bin ich an das Buch gegangen, sie hat sich aber nicht erfüllt. 2/3 des Textes behandeln die Werdegang Manns in Verbindung mit der Familie, im Rest geht es um seine philosophisch-religiösen Ansichten und darum, das Erbe seiner Familie in verschiedenen Ländern zu erhalten. Letztlich kann sich das Buch nicht entscheiden, was es will. Die Persönlichkeit Fridos liest man eher zwischen den Zeilen.
Worum geht es?
Das Buch beschreibt Manns Leben chronologisch, wird aber immer wieder von Sprüngen in die Zukunft und Vergangenheit unterbrochen. Manchmal beschäftigt sich das Buch intensiver mit einzelnen Aspekten z.B. Manns Rolle als Lieblingsenkel und seiner philosphischen Auffassung.
Wie hat mit das Buch gefallen?
Bis zur Hälfte war das Buch sehr intensiv, denn es geht um das Aufwachsen Fridos und das Verhältnis zu den Mann-Geschwistern. Es war sehr schön, Golo, Erika und Klaus nicht als Schriftsteller:innen, sondern als Menschen und Mentoren zu sehen. Golo nahm Frido oft auf Wanderungen mit und er erschien mir der toleranteste. Ich glaube, dass sich Golo in seiner Einsamkeit und Eigenheit in Frido wieder erkannt hat. Von Erika hat er das kritische Denken erhalten, obwohl ihre Meinung oft sehr deutlich war. Klaus war für ihn ein Spielkamerad, wenngleich das Verhältnis der beiden nicht so eng war. Für Monika Mann hat Frido als Schriftstellerin lobende Worte, am Ende habe ich jedoch auch Verachtung gespürt. Elisabeth ist gegenüber Frido höftlich und gönnerisch, die Beziehung bleibt aber oberflächlich.
Allen Geschwistern gemein ist der Hang zu Intrigen und Kritik an anderen - mal offen, mal verdeckt.
Das Verhältnis zu den Eltern war schmerzhaft zu lesen, denn diese ließen sowohl Frido als auch seinen Bruder Toni monatelang bei den Großeltern väter- und mütterlicherseits. Sie schickten sie durch Internate in verschiedenen Ländern. Sogar, als Frido eine Blinddarmentzündung hat, fährt die Mutter ungerührt nach Amerika zurück, Erika fährt ihn ins Krankenhaus. Wie groß der Schaden ist, den das anrichtet, kann man nur erahnen. Denn Frido klagt nicht an. Der Vater Michael Mann wollte den Sohn vor seinen Stimmungsschwankungen beschützen. Oder er fühlte sich als Vater nicht wert genug. Vielleicht konnte er keine Liebe geben. Oder er hat den Sohn als Konkurrent um die Liebe Thomas' Mann betrachtet. Vielleicht wollte er seinen Sohn mit Verachtung bestrafen, als Stellvertreter für den Vater - vielleicht wollte er seinen Sohn unglücklich machen, um dem eigenen Vater zu zeigen, was er ihm angetan hat. Die Mutter Grete scheint dahinter eine treibende Kraft gewesen zu sein, sie hatte nie ein Interesse daran, dass die beiden zusammen finden.
Ein roter Faden ist das Erbe, das auf Fridos Schultern lastet. Lange hat er Thomas Mann verachtet, weil er ihm ein literarisches Denkmal im "Doktor Faustus" gesetzt hat - als Kind, das brutal stirbt. Frido kämpfte sowohl mit der Darstellung als auch damit, dass jeder wusste, dass er Pate stand. Ich denke, es war für ihn schwer in Einklang zu bringen, dass der liebevolle Großvater ihn so ermordete.
Auch auffällig ist, dass Frido von der Musik zur Theologie zur Psychologie zur Medizin zur Schreiberei und zur Historie gekommen ist. Das Bedürfnis, sich vielfach auszudrücken, der Drang nach wissen und das Streben nach Neuem sind Eigenheiten der Familie, die sich bei Frido in etwas Positives verkehrt haben. Während sich Thomas Mann in die Schreiberei und Psychosomatik flüchtete, seine Kinder zu Drogen neigten, hat Frido den Sinn letztlich in der Philsophie gefunden. Er möchte seine Weltanschauung weitertragen.
Als Mensch bleibt Frido Mann jedoch dunkel. Die Wut gegenüber seinem Vater wird selten deutlich; an einer Stelle lässt er passiv-aggressiv einen Brief des Vaters, in dem dieser Kritik an der Hochzeit mit Fridos Frau übt, unkommentiert stehen. Mehr ist nicht. Die Scheidung von seiner Frau wird in einem Nebensatz erwähnt, ohnehin bezeichnet er sie stehts als "C.", obwohl ihr Name sogar auf Wikipedia steht. Ich verstehe, dass sie vielleicht nicht soviel Raum haben wollte. Aber es fehlt etwas.
Ich habe gespürt, dass Frido Mann dem Leser etwas sagen will - aber was, das ist nicht so klar. Will er seine Weltanschaung darlegen? Will er beschreiben, wie schwer das Erbe auf seinen Schultern wiegt? Welche Position hat Frido Mann für sich gefunden, im Versuch, sich von der Familie zu lösen, aber sich verpflichtet zu fühlen, sie zu beschützen? Das Buch will vieles sein, ist aber in sich nicht konsistent.
Interessant ist es aber; spannend fand ich seine Reisen, und seine Meinung zum geteilten Deutschland. Er hat in der DDR habilitiert, er konnte viel Zeit dort verbringen. Ihm ist aber erst später bewusst geworden, unter welchem Druck seine Kollegen standen und dass wohl auch er bespitzelt wurde. Im Westen widerum wurde Mann teilweise verachtet, weil er seine wissenschaftliche Arbeit beim Klassenfeind durchgeführt hat. Scheinbar war die Habilitation weniger wert, weil sie teilweise in der DDR entstand.
Und mich haben die Zeitsprünge gestört, ich bin durcheinander gekommen. Der Schreibstil ist etwas trocken. Sehr kunstvoll, lange Sätze mit vielen Fakten. Nicht immer einfach zu lesen, aber man gewöhnt sich dran.
Fazit
Muss man das Buch lesen? Es schadet nicht, aber es fügt nur weniges hinzu. Wenn man sich für Philsophie interessiert, wird man daran Spaß haben. Und Frido Mann hat sowohl als Enkel als auch als Psychologe und Theologe viel geleistet. Trotzdem bleibt er als Mensch vage und ich habe ihn wenig als eigenständige Person wahrgenommen.
Frido Mann
Lebenslauf
Alle Bücher von Frido Mann
Achterbahn
Es werde Licht
Das Weiße Haus des Exils
Mein Nidden
Was uns durch die Krise trägt
Democracy will win
Babylon
Neue Rezensionen zu Frido Mann
Ein interessantes, langes Gespräch über Politik, Gesellschaft, Spiritualität/Religion, Kultur, Bildung, Psychologie, Geschichte, Demokratie, das Internet, über den Ukraine-Krieg, weitere Krisen unserer Zeit und mehr. Darüber hinaus enthält es einige kurze Essays. Aus meiner Sicht sehr lesenswert, zumal Marina Weisband und Frido Mann Hoffnung machen, trotz all der Krisen, und mit diesem Gespräch auch einige Gedankenanstöße bieten.
Seine "Bekenntnisse" hat der Psychologe Frido Mann mit einer Aussage seines Großvaters Thomas Mann betitelt: "Democracy will win". Denn diese optimistische Überzeugung vertritt auch der in Kalifornien großgewordene "Weltbürger". Von großer Sympathie waren mir seine Ansichten - Frido tritt einerseits mit klaren Worten für die Wertschätzung von Vielfalt, Dialogbereitschaft und Begegnungen auf Augenhöhe ein und grenzt sich andererseits mit ebenso deutlicher Vehemenz von jenen ab, die sich gegen solche Grundwerte stellen (so weigert er sich etwa konsequent, den 2017-2021 amtiert habenden Präsidenten der USA bei dessen Namen zu nennen und spricht nur vom "Fake-Präsidenten").
Interessant fand ich die eingangs verglichenen Demokratie-Konzepte Thomas Manns und Hannah Arendts sowie die zahlreichen Beispiele, die Frido Mann für Arten, Dialoge zu leben, anführt. So erzählt er beispielweise vom Weltklosterkonzept und vom zur Hälfte aus israelischen und arabischen Musiker*n bestehenden West-eastern Divan Orchestra oder auch von der in Kiel ansässigen "Kinderstube der Demokratie".
Während ich zwar verstehen konnte, dass sich ein starker Fokus auf Amerika, Manns Heimat und Wiege der Demokratie, durch das Buch zieht, ermüdete mich die Schilderung amerikanischer Geschichte und Gegenwart in Kombination mit persönlichen Anekdoten und einem gebetsmühlartig wiederholten Plädoyer für den Dialog als "Kern und Grundlage einer jeden Demokratie" des Autors irgendwann auch, sodass ich einen Großteil des Kapitels, in dem er von seiner Lecture Tour durch die USA erzählt, ehrlich gesagt nur überflogen habe (ohne das anschließende Gefühl, viel verpasst zu haben).
Auch der Pandemie widmet Mann sich, aber leider dachte ich da oft, dass mir das wenig neue Erkenntnisse bietet bzw. teilweise schon veraltet wirkt und naja: Ich war dabei, ich hätte da einiges nicht (bereits jetzt) nochmal wieder erzählt bekommen müssen.
Kurz vor Schluss wurde es dann aber nochmal ganz spannend, als es um Erneuerungsansätze wie das Modell der High Energy Democracy und die Bedeutung der Black-Lives-Matter-Bewegung geht. Auch, dass anfangs wie am Ende von der Eröffnung und weiteren Entwicklung des Thomas-Mann-Hauses in Amerika berichtet wird, gefiel mir als Rahmen sehr gut.
Insgesamt war die Lektüre von "Democracy will win" für mich also ein Auf und Ab, bei dem ich jetzt versuche, die von mir als redundant und langatmig empfundenen Parts zugunsten der informativen und bereichernden in Vergessenheit geraten zu lassen.
Am ehesten würde ich das Buch jenen empfehlen, die Frido Manns autobiographische und auf jahrelangen Erfahrungen basierende Einblicke (in amerikanische Geschichte und Politik, aber auch in generell dialogische Kompetenzen) zu schätzen wissen und sich für den American Way of Democracy (im Vergleich zum europäischen) interessieren.
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Frido Mann wurde am 31. Juli 1940 in Monterey (Vereinigte Staaten von Amerika) geboren.
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