Rezension zu "Herrscherin im Paradies der Teufel" von Friederike Hausmann
Kaiserin Maria Theresia sparte nicht mit Ratschlägen, wenn eine ihrer Töchter vermählt wurde und zur Reise in die neue Heimat aufbrach. Ihrer Tochter Maria Carolina, die 1769 mit König Ferdinand von Neapel verheiratet wurde, riet die Kaiserin mit Nachdruck, sich niemals in die Staatsgeschäfte einzumischen. Hat man Friederike Hausmanns Biographie gelesen, dann fragt man sich unwillkürlich, wie Maria Carolinas Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie sich an den Rat ihrer Mutter gehalten hätte. Bald nach der Ankunft in Neapel muß der Siebzehnjährigen gedämmert sein, dass sie den gutgemeinten Rat der Kaiserin unmöglich befolgen konnte. Ferdinand, der junge König von Neapel, war ein Faulpelz und Taugenichts, der die lästige Pflicht des Regierens nur zu gerne auf andere Personen abwälzte. Und dabei hätte das Königreich Neapel, das zu den rückständigsten Staaten Europas zählte, einen starken und zupackenden Herrscher gebraucht.
Nach der Entlassung des greisen Premierministers Tanucci 1776 schlug Maria Carolinas Stunde. Da es in Neapel an Staatsmännern von Format mangelte, ergriff die junge Königin notgedrungen die Zügel. Sie leitete fortan die Regierungsgeschäfte. Ihre Mutter, Gebieterin über ein ungleich größeres Reich, mag ihr dabei als Vorbild gedient haben. Maria Carolina ahnte wohl nicht, welche Konsequenzen dieser Schritt nach sich ziehen würde, wieviele Demütigungen, Enttäuschungen und Verleumdungen sie in ihrem weiteren Leben würde ertragen müssen. Der Hass und die Missgunst, die ihr Feinde und Kritiker zu Lebzeiten entgegenbrachten, haben das Bild der Königin bei der Nachwelt lange verdunkelt. Vor allem in Italien galt Maria Carolina lange als Inbegriff einer anmaßenden und herrschsüchtigen Frau, die nur Unheil anrichtet und ihr Land ins Unglück stürzt.
Von den vielen Töchtern Maria Theresias ist heute eigentlich noch nur Marie Antoinette bekannt, die Königin von Frankreich. Friederike Hausmanns Verdienst besteht darin, dass sie mit ihrer Biographie eine Herrscherin dem Vergessen entreißt, deren Leben kaum weniger dramatisch verlief als das ihrer jüngeren Schwester. Maria Carolina kam in ein Land, das vom übrigen Europa als archaisch und exotisch wahrgenommen wurde. Das Königreich Neapel schien der allgemeinen Entwicklung um Jahrzehnte hinterherzuhinken. Intelligent, selbstbewusst und energisch, gab sich Maria Carolina nicht mit ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter zufrieden. Sie nutzte ihre Stellung als Königin in einem Maße aus, das ihrem Umfeld nicht geheuer war. Maria Carolina nahm an den Sitzungen des Staatsrates teil, traf wichtige Entscheidungen, unterstützte überfällige Reformvorhaben, suchte die Nähe von Gelehrten und Intellektuellen, engagierte sich für die Gründung einer Akademie der Wissenschaften und Künste (1778). Aufsehen erregte ihre Parteinahme für die Freimaurer, die sich Angriffen konservativer Kreise ausgesetzt sahen.
Gingen dem trägen und ungebildeten König jegliche Ambitionen ab, so waren Maria Carolinas Ziele allzu hoch gesteckt. Die Königin wollte Neapel nicht nur im Sinne des aufgeklärten Absolutismus modernisieren, sondern auch in den Rang eines ernstzunehmenden außenpolitischen Akteurs erheben. Wie sehr sie damit die Ressourcen des wirtschaftlich und militärisch schwachen Königreiches überstrapazierte, zeigte sich während der Wirren und Kriege, die im Gefolge der Französischen Revolution und der französischen Expansion in Italien ausbrachen. Allen rastlosen Bemühungen Maria Carolinas zum Trotz war Neapel nie mehr als ein Spielball der europäischen Mächte. Eine eigenständige Außenpolitik konnte das Königreich nicht betreiben. Wie alle gekrönten Häupter ihrer Zeit lehnte Maria Carolina die Französische Revolution leidenschaftlich ab. Aus der einstigen Beschützerin der Freimaurer wurde eine Reaktionärin, die sich dem Kampf gegen die Revolution und den Emporkömmling Napoleon verschrieb. Nennenswerte Erfolge waren der Königin nicht beschieden, auch nicht im Bündnis mit Großbritannien und Österreich. Die Revolution griff auf Neapel über; zweimal musste die Königsfamilie nach Sizilien fliehen. Napoleon installierte seinen Schwager Murat als König von Neapel, während Maria Carolina und Ferdinand ihr Dasein in Palermo fristeten, abhängig von britischem Geld.
Hausmann hat eine ungemein farbige und schwungvoll erzählte Biographie vorgelegt, zu deren Vorzügen nicht zuletzt eine gründliche Kenntnis der süditalienischen Verhältnisse unter dem Ancien Régime und während des napoleonischen Zeitalters zählt. Der schwierige neapolitanische Kontext, mit dem Maria Carolina konfrontiert war, wird mit großer Anschaulichkeit geschildert. Hausmann entwirft das Bild einer Frau, die bei allem Taten- und Gestaltungsdrang letztlich kein echtes politisches Talent besaß und sich zu oft von ihren Leidenschaften übermannen ließ. Selten hat eine Königin so viel Abneigung provoziert; selten hat eine Herrscherin derart viele Feinde gehabt. Am Ende ihres Lebens war Maria Carolina isoliert und ohne Verbündete, sogar in ihrer eigenen Familie. Fortschrittlich gesinnten Kreisen der neapolitanischen Gesellschaft war sie verhasst. Die Briten, die auf Sizilien das Sagen hatten, betrachteten sie als Störfaktor und erzwangen im Frühjahr 1813 ihre Abreise nach Österreich. König Ferdinand rührte keinen Finger für seine Frau. Ihren Verwandten in Wien war die Königin unwillkommen. Den endgültigen Sieg über Napoleon und die Rückkehr der Bourbonen nach Neapel erlebte Maria Carolina nicht mehr - sie starb kurz vor Beginn des Wiener Kongresses.
Hausmann zeigt eine Frau, die mutig und entschlossen, aber nicht immer klug und weise handelte, um die Interessen ihrer Familie und des Königreiches Neapel durchzusetzen. Als Kaisertochter und Kind des Ancien Régime hatte Maria Carolina kein Verständnis für die neue Zeit, die mit der Revolution anbrach. Es entsprach nicht Maria Carolinas Charakter und Persönlichkeit, sich aus der Politik herauszuhalten, wie es ihre Mutter empfohlen hatte. Für ihren Entschluss, selbst politisch aktiv zu werden, zahlte die Königin einen hohen Preis. Ob vor der Revolution oder während der Revolutionszeit - stets wollte sie mehr erreichen, als sie unter den gegebenen Umständen bewirken konnte. Hausmann sieht in Maria Carolinas Tragik auch die Tragik Süditaliens. Revolution und Krieg machten alle Ansätze einer progressiven Entwicklung durch Reformen zunichte. Wie so viele Herrscher, deren Throne im Revolutionszeitalter ins Wanken geraten waren, wünschte sich König Ferdinand nach dem Sieg über Napoleon nur eines - Ruhe. Die Frau, die ihn einst zu Reformen angespornt hatte, lebte nicht mehr. Die sprichwörtliche Rückständigkeit des Mezzogiorno wurde auf lange Zeit hinaus konserviert.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im August 2014 bei Amazon gepostet)