Cover des Buches Nanettes Gedächtnis (ISBN: 9783518420539)
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Rezension zu Nanettes Gedächtnis von Friedmar Apel

Rezension zu "Nanettes Gedächtnis" von Friedmar Apel

von Stadtbuecherei_Wuerzburg vor 15 Jahren

Rezension

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Stadtbuecherei_Wuerzburgvor 15 Jahren
Nanette ist Buchhändlerin und Gedächtniskünstlerin. Eigentlich ist sie Synästhetikerin, hat aber durch einen mysteriösen Vorfall ihre synästhetischen Merkfähigkeiten verloren. Synästhetiker haben verknüpfte Wahrnehmungen. Sie können beispielsweise Geräusche nicht nur hören, sondern auch Formen und Farben dazu sehen. In Nanettes Fall verhält es sich so, dass sie alle Buchstaben und Zahlen in Farben sehen kann, auch Musik erzeugt bei ihr farbige Linien. Da sich Synästhetiker sehr leicht an solche verknüpften Wahrnehmungen erinnern können, kann sich Nanette beliebig viele Wörter und Zahlen merken - eine Eigenschaft, die sie als Buchhändlerin natürlich gut einsetzen kann. Der berühmte russische Gehirnforscher und Professor Luria interessiert sich sehr für die in Berlin lebende Nanette und bittet sie, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. So begleiten wir die Protagonistin durch das Berlin der achtziger und neunziger Jahre. Nanette lernt viele berühmte Persönlichkeiten kennen, vorrangig Schriftsteller, Lektoren und Verleger, verliebt sich aber in einen jungen Mann, den sie liebevoll Dutschke nennt. In ihren Erinnerungen spielen nicht nur Kafkas Sätze und die Literatur eine Rolle, sondern auch die Malerei, zu der sie eine ambivalente Einstellung hat, können doch Farben und Formen bei ihr eine extreme Sinnesüberreizung hervorrufen. Nicht so bei zwei Landschaftsbildern von William Turner, die bei ihr eine emphatische Begeisterung auslösen. Da das menschliche Gedächtnis nicht zwischen Fiktivem und Erlebtem unterscheiden kann und in Nanettes Gedächtnis zusehends die Grenzen durch die Interpretation von Farben und Formen verschwimmen, werden auch für den Leser die Grenzen zwischen Wahrheit und Dichtung immer unklarer. Deshalb ist dieses melancholisch-heitere Verwirrspiel für den Leser ein vergnügliches Leseabenteuer, eine Don Quichotterie, ein moderner Schelmenroman, bei dem er sich niemals sicher sein kann, was er in diesem unterhaltsamen Roman glauben kann und was nicht. Der Leser erfährt einiges über Hirnforschung, Malerei, Liebe, Literatur und den Literaturbetrieb. Der Autor schreibt leichtfüßig und flüssig über das Leben und Abenteuer einer Gedächtniskünstlerin, was sehr interessant und kurzweilig zu lesen ist, auch wenn die Charakteristika der Figur etwas konturenlos und konstruiert erscheinen mögen und die Mechanismen des Literaturbetriebs, die hier beschrieben werden etwas „angestrengtes“ haben.
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