Cover des Buches Die Physiker (ISBN: 9783257208375)
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Rezension zu Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt

Verantwortung - Verrückt

von Farbwirbel vor 7 Jahren

Rezension

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Farbwirbelvor 7 Jahren

Vor einigen Jahren las ich „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt und dieses Dramenstück konnte mich sehr begeistern. Nun bin ich endlich dazu gekommen, „Die Physiker“ des selben Autors zu lesen. Das erste Mal hatte ich Kontakt damit, als eine Parallelklasse in der Schulzeit dieses Buch im Unterricht behandelte. Im Nachhinein ist mir nun aufgegangen, dass eine Korrelation zwischen diesem Werk und dem Werk bestand, welches wir im Unterricht lasen - „Das Leben des Galileo Galilei“ von Berthold Brecht. Wer beide Werke bereits beendet hat, sieht wohl ebenso eine Parallele: Die Verantwortung der Wissenschaft.

„Die Physiker“ beginnt mit einem Mord. Der vermeintliche Physiker Einstein brachte seine Pflegerin in der Psychiatrie um. Bereits einige Monate vorher wurde vom vermeintlichen Physiker Newton eine andere Pflegerin umgebracht. Dem Inspektor, der mit den Fällen betraut wurde, sind die Hände gebunden, denn die Leiterin der Einrichtung sieht Schutz vor Verurteilung darin, dass die Patienten verrückt seien. Resigniert stellt er fest: „Es handelt sich nicht um Mörder, sondern um Verrückte, und die können eben jederzeit morden.“ - S. 26.

Ein abstruses Setting baut sich also auf, vor allem weil drei berühmte Physiker Patienten der Einrichtung sind, von denen zumindest Newton bereits seit Jahrhunderten verstorben ist. Möbius, der dritte Physiker im Bunde behauptet, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse von König Salomo berichtet bekommen zu haben – der Grund seiner Einweisung.

Nun ist es so, dass auch Möbius innerlich dazu gedrängt wird, seine Pflegerin, die er eigentlich liebt, zu töten, da sie erkennt, dass er bei klarem Verstand ist, bzw. seine Erkenntnisse von großer Bedeutung sind.

Hier beginnt das Stück auf die Verantwortung von Erkenntnissen einzugehen. Möbius will nämlich nicht, dass sein Wissen weiter gegeben wird, da er große Gefahr darin sieht, welches die Menschheit ins Unglück stürzen könnte. Er verweigert also sein Wissen. Hier wird es interessant, wieso die beiden anderen Physiker Einstein und Newton sind. Newton stellte durch seine Erkenntnis das Bild der Welt völlig auf den Kopf, den er entdeckte die Erdanziehungskraft, was ein gänzlich neues Weltbild mit sich zog. Einsteins Relativitätstheorie ist jedem bekannt. Obwohl er selbst Pazifist war, brachte seine berühmte Formel einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Atombombe. Seine eigene Erkenntnis entwickelte sich also gegen seine Weltvorstellung.

Möbius will nun also verhindern, dass sein Wissen in die Welt getragen wird. Doch ist das der richtige Umgang mit Erkenntnis? Welche Verantwortung hat man als Wissenschaftler und welche nicht? Wann ist man dazu aufgefordert, sie weiterzugeben? Kann man Wissenszuwachs aufhalten oder würde nicht irgendwann irgendjemand das selbe denken und es weitergeben, ohne über mögliche Folgen nachzudenken?

Die beiden Physiker Newton und Einstein entlarven sich als Agenten, die es auf Möbius Schriften abgesehen haben und sich deshalb einliefern ließen. Nun bleibt aber in der ganzen Komödie nicht einsichtig, wer eigentlich verrückt ist und wer nicht. Die Doktorin, die beiden Agenten, Möbius... alle könnten oder könnten nicht.

Zum Thema der Verantwortung sind von Dürrenmatt noch „21 Punkte zu den 'Physikern'“ in meiner Ausgabe dazu gesetzt worden. Drei dieser Punkte würde ich gern zitieren:

„16. Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.

17. Was alle angeht, können nur alle lösen.

[…]

21. Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.“ - S. 92f

Das Drama belustigt und gleichzeitig regt es zum kritischen Denken an. Ich bin sehr angetan von Dürrenmatts Erzählweise, denn sie öffnet den Rezipienten zuerst durch Komik und wird dann ernster, was eine bessere Wirkungsmacht seiner Werke möglich macht. Auch die Rätselhaftigkeit seines Dramas lädt zum Weiterdenken und Diskutieren ein, denn man ist nicht fähig, eindeutig zu belegen, wer welche Position inne hatte, was gewiss ist und wo man hinters Licht geführt wird. So klug!


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