Seit der deutsche Literaturhistoriker Ludwig Pfandl 1938 seine umfangreiche Biographie Philipps II. von Spanien vorlegte, hat sich kein deutschsprachiger Autor mehr an einem größeren Werk über diesen Herrscher versucht. Das ist kein Zufall. Die historische Spanienforschung besitzt im deutschsprachigen Raum den Rang eines Orchideenfachs, und das Interesse deutscher und österreichischer Historiker am spanischen Zweig des Hauses Habsburg ist seit jeher gering. Die Nachfahren und Nachfolger Kaiser Karls V. in Spanien schienen einer näheren Betrachtung nicht wert zu sein. Mit Friedrich Edelmayers Buch liegt nun erstmals wieder eine größere biographische Darstellung über Philipp II. vor. Das Buch ist in zweierlei Hinsicht verdienstvoll: Es schließt eine störende Lücke in der Literatur und macht zugleich die Ergebnisse der internationalen Forschung zur Herrschaft Philipps II. in kompakter Form für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich.
Edelmayer, Professor an der Universität Wien, einer der wenigen deutschsprachigen Historiker, die sich mit der Geschichte Spaniens in der Frühen Neuzeit beschäftigen, hat seine Biographie in sieben Kapitel gegliedert. Eingangs skizziert er die politischen, demographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der aus mehreren Reichen zusammengesetzten spanischen Monarchie. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Entwicklung administrativer Strukturen. Die "Kompositmonarchie", die Philipp II. von seinem Vater Karl V. erbte, wäre ohne eine effiziente Bürokratie und straffen Zentralismus auf Dauer nicht überlebensfähig gewesen.
Kapitel 2 und 3 sind der Kindheit und Jugend des Infanten Philipp gewidmet. Karl V. führte seinen Sohn schon frühzeitig in die Regierungsgeschäfte ein. Karls Plan, dem Sohn die Nachfolge im Kaisertum zu sichern, scheiterte am Widerstand der österreichischen Verwandten. Als Karl V. 1556 abdankte, übernahm sein Sohn die Herrschaft über Spanien, die italienischen Nebenlande, die Niederlande und das amerikanische Kolonialreich. Mit dem Sieg bei Saint Quentin (August 1557) endete der jahrzehntelange spanisch-französische Konflikt. Einen besseren Auftakt seiner Regierung hätte sich Philipp II. kaum wünschen können.
Im vierten Kapitel wirft Edelmayer Schlaglichter auf die Herrschaftspraxis des Königs, die Erhebung Madrids zur Hauptstadt und die Errichtung der Schlossanlage El Escorial. Die Inquisition und der Kampf gegen die Häresie werden gestreift. Außerdem geht Edelmayer auf den Arbeitsalltag des "Bürokratenkönigs" sowie die Funktionsweise und personelle Zusammensetzung der wichtigsten Regierungsbehörden ein. Das fünfte Kapitel zeigt Philipp II. als Ehemann und Vater. Das Familienleben des Königs wurde immer wieder von Tragödien überschattet: Der älteste Sohn Don Carlos erwies sich als Kretin; mehrere Ehefrauen starben im Kindbett; die meisten Kinder wurden nur wenige Jahre alt.
Das sechste und mit Abstand umfangreichste Kapitel untersucht die Außenpolitik Philipps II., innere Krisen wie den Moriskenaufstand in Granada (1568-1571) und den Mitte der 1560er Jahre beginnenden Aufstand in den spanischen Niederlanden. Außenpolitisch gesehen stand der König vor Herausforderungen, die komplexer kaum hätten sein können: Die Expansion der Türken im Mittelmeerraum mußte eingedämmt, eine Allianz antikatholischer Kräfte (England, französische Hugenotten, niederländische und deutsche Protestanten) verhindert werden. Kaum war ein Krisenherd beseitigt, tat sich ein neuer auf. Einigen Erfolgen (Sieg von Lepanto über die Türken 1571, Erwerb der Krone Portugals 1580/81) standen schwere Misserfolge gegenüber: Stürme vernichteten die gegen England ausgesandte Armada; die Niederlande ließen sich nicht befrieden; das Eingreifen in die französischen Religionskriege endete im Desaster.
Das kurze siebte Kapitel ist dem Siechtum und qualvollen Tod des Königs gewidmet. Leider beendet Edelmayer sein gut lesbares Buch, ohne eine Bilanz der langen Regierung Philipps II. zu ziehen. Eine abschließende kritische Würdigung fehlt, ebenso Reflexionen darüber, wie sehr Philipp II. mit seiner ausgreifenden Großmachtpolitik die Ressourcen der spanischen Monarchie überstrapazierte, wie schwer das Erbe war, das er seinem schwachen Sohn Philipp III. hinterließ. Der Anspruch, Spaniens Stellung als Hegemonialmacht zu wahren, erwies sich für Philipp III. und dessen Sohn Philipp IV. als enorme Belastung.
Auch einige andere Punkte müssen beanstandet werden. Ausgerechnet das Finanzwesen, die Achillesferse der spanischen Monarchie, wird nirgendwo systematisch behandelt. Ausgeblendet bleiben auch die Entwicklungen im amerikanischen Kolonialreich. Spanische Titel und Amtsbezeichnungen (Almirante, Conde, Condestable, Duque usw.) werden nicht übersetzt (Admiral, Graf, Konnetabel, Herzog). Eine Stammtafel der österreichischen und spanischen Habsburger hätte für mehr Klarheit in Bezug auf die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen beiden Linien sorgen können. An etlichen Stellen ist der Text mit nebensächlichen Details überfrachtet: Zahl und Namen der Taufpaten Philipps II. (S. 36ff.) und der Begleiter des Infanten auf der Englandreise 1554 (S. 80) dürften für die meisten Leser genauso unerheblich sein wie die Namen der vielen Räte und Sekretäre, die dem Herrscher zuarbeiteten (S. 147f.).
Der Gesamteindruck ist dennoch positiv. Für alle, die sich mit Philipp II. von Spanien beschäftigen wollen, ist Edelmayers informative Biographie ein guter, empfehlenswerter Ausgangspunkt.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2013 bei Amazon gepostet)