Cover des Buches Ein Geheimnisbuch (ISBN: 9783250108047)
Rezension zu Ein Geheimnisbuch von Friedrich Kröhnke

Rezension zu "Ein Geheimnisbuch" von Friedrich Kröhnke

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 15 Jahren

Kurzmeinung: Auch eine kleine Hommage an Krimi-Bücher. Ich möchte sie fast auch anfangen zu lesen, ich, die keine Krimis mag. Aber Abel und Sascha, sie h...

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 15 Jahren
Lies, um zu leben. Im Juni 1857 schreibt Gustave Flaubert einen lodernden Brief an Mademoiselle Leroyer de Chantepie. Besagtes Fräulein trat aufgrund ihrer Lektüre des Romans Madame Bovary im Dezemer 1856 in Kontakt mit dem geneigten Autor. In jenem Brief klagt sie die menschliche Natur Flauberts an. Was habe er ihr nur angetan, welche Leiden habe sie erlitten als sie Madame Bovary las. Dem Brief im Juni 1857 von Flaubert muss ein sehr beängstigender von Seiten Leroyer de Chantepies voraus gegangen sein. Flaubert setzt sich in seiner Antwort mit Mademoiselles Angst, durch die Lektüre nicht mehr im christlichen Sinne rein sein zu können, auseinander. „Sie fragen mich, welche Bücher Sie lesen sollen. Lesen Sie Montaigne, lesen Sie ihn langsam, bedächtig. Er wird sie ruhiger machen. […] Doch lesen Sie nicht wie die Kinder lesen, um sich zu vergnügen, noch wie die Ehrgeizigen lesen, um sich zu bilden. Nein, lesen Sie um zu leben. Schaffen Sie für Ihre Seele eine intellektuelle Atmosphäre, die sich aus der Emanation aller großen Geister zusammensetzt.“ Das also ist der unbedingte Ratschlag Flauberts an die lamentable, unruhige Seele der Mademoiselle Leroyer de Chantepie. „Erweitern Sie ihren Horizont, und Sie werden freier atmen.“ Lesen, um zu leben. Flauberts Anruf ist eine bemerkenswerte Grundlage für Friedrich Kröhnkes Neuerscheinung „Ein Geheimnisbuch“. Dem Lesen gefrönt wird in diesem Roman ohne Ausnahme. Abel und Sascha (Alexander) Amelung sind zwei buchbegeisterte Brüder, für die Literatur Lebensraum, haptisches, erotisches Vergnügen und unausweichliche Erinnerung an die Kindheit ist. „Sie haben jeder eine Farbe, die Eltern haben sie ihnen zugeteilt. Abel Amelung hat Rot, Alexander Amelung hat Blau. […] Vater und Mutter melden sie auch, als sie Zehnjährige sind, als Mitglieder von Buchklubs an. […] Abel ist der mit der Deutschen Buchgemeinschaft. Sascha ist bei der Büchergilde.“ Beide tauschen und leben die Bücher, sie erfahren andere Welten, listen Autoren auf, deren Namen ihnen unklare Gebilde sind, aber sie lesen sie, auch ohne die Werke zu verstehen. Sie wachsen mit den Büchern, mit den verschiedenen Bücherreihen der unterschiedlichsten Verlage, wägen deren Vor- und Nachteile ab. Die Mutter ist Schriftstellerin und schreibt für den Maximilian Dietrich Verlag Memmingen. Nicht nur das prägt die Kinder. Vor allem schwärmen sie von den Krimireihen ihrer Jugend, Enid Blyton, Die drei ???, die der Vater aus der Bibliothek der Chemiefabrik mit nach Hause bringt. Dann ist da noch Karl May, besonders der. „Über Bücher reden und zugleich. die Welt meinen, wie sie sie von jeher gemeinsam erleben.“ Das Geheimnisbuch wird aus der retrospektiven Perspektive Abels geschildert. Er ist auf der Suche nach der Ordnung in der eigenen Erinnerung und lässt so die Leseerlebnisse der Kindheit und Jugend wieder aufleben. Biographische Parallelen sind im Geheimnisbuch durchaus zu finden. Friedrich Kröhnke wuchs zusammen mit seinem Zwillingsbruder Karl auf, der dem Sascha wohl sehr nahe kommen könnte. Auch Kröhnkes Vater arbeitete als Chemiker, die Mutter veröffentlichte unter dem Pseudonym Margarete Kubelka vornehmlich Kinderbücher. Doch dies sei einmal dahingestellt. Die unglaubliche, interessante Nuance ist die Bibliomanie, die Bibliophilie, die zwischen den Zeilen liegt, die man als Leser wohl kaum gänzlich erfassen kann, dafür sind die intertextuellen Verweise und Nennungen der geliebten, begleiteten und prägenden Bücher zu vielseitig, sehr zeitverhaftet natürlich; aber doch sind die gelebten Gefühle der Brüder erspür- und nachvollziehbar. Und findet sich zwischen den Aufzählungen ein für den Leser gut Bekanntes, eine eigene Erinnerung wieder, dann wirkt Kröhnkes Schreiben doppelt und lässt enthusiastisch werden. „Friedrich Kröhnke erzählt vom Glück, jung zu sein und noch so viel zu lesen vor sich zu haben“, schreibt der Amman Verlag auf dem Buchumschlag des Buches. Der Erzähler schildert die genau hinzurückenden Gedanken Abels, der für seinen Bruder und sich beispielsweise eine rororo-Monographie erstellt, in Gedanken und so Leben ordnet. Die biographischen Fakten der Protagonisten finden sich nur vage und zurückhaltend zwischen den Huldigungen der Bücher. Sie, die Huldigungen, formen beider Leben aus. So liest sich das Büchlein von Friedrich Kröhnke mit dem Wissen um die im nächsten Jahr bevorstehende Schließung des Amman Verlages auch wie eine Hommage an die ‚relevante‘ Literatur. Am 10. August 2009 war in der Presse-Mitteilung in eigener Sache des Amman Verlages unter anderem zu lesen: „Die Gründe für diesen Entschluss liegen im fortgeschrittenen Alter der Verleger und in einer Marktsituation, die für Literatur zunehmend schwieriger wird. Ein Verlag mit dem Profil des Ammann Verlags ist eng an die verantwortlichen Personen gebunden und kann ohne sie nicht fortbestehen. Marie-Luise Flammersfeld und ich haben gegeben, was wir zu geben hatten. – »Alles hat seine Zeit.« “ Man kann dem Verleger-Team für diese mutige Entscheidung nur Glück wünschen für das kommende Jahr und auch zu dieser Neuerscheinung Friedrich Kröhnkes ausschließlich gratulieren. Dies ist ein warmherziges, wiederlesenswertes Buch. Ein Aufruf anderer Art, um zu sagen: Lies, um zu leben. Denn, so im Text, „[gut] ist, da man nichts braucht als Bücher.“
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks