Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich eine lange Zeit Geister- und Gruselgeschichten nur müde belächelt habe. Das hat sich nun nach der Lektüre der bereits zweiten Kurzgeschichtensammlung von Algernon Blackwood radikal geändert.
Der mittlerweile völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratene Autor zeigt einmal mehr sein Können und belegt, dass das Schaudern nicht mit Kitsch verbunden sein muss, eine spannende, unheimliche Szenerie keine billigen Effekte benötigt. Meisterhaft beherrscht Blackwood das Spiel mit der Angst und setzt die Menschen in seinen Geschichten in stets fesselnder Atmosphäre dem Einfluss andersweltlicher Phänomene aus. Und auch der Leser fühlt sich, meist schon ob der bildreichen Beschreibungen, als Teil der Erzählung, wobei der Autor jedoch darauf achtet, nicht einfach nur zu erschrecken, sondern uns quasi nötigt, sich mehr mit dieser Materie zu beschäftigen. Das Grauen wird nicht auf ein durchsichtiges Gespenst reduziert, sondern ist vielmehr allgegenwärtig, nicht fassbar, und gerade deswegen so unheimlich. Es scheint, als ob Blackwood nicht unterhalten, sondern belehren wollte, was sich auch in der Wahl seiner Figuren verdeutlicht.
Als Beispiel sei da John Silence erwähnt, der vom Autor mehrfach benutzt wurde und in diesem Sammelband unter anderem seinen großen Auftritt in der Geschichte "Griff nach der Seele" hat. Der etwas oberlehrerhafte, parapsychologische Seelendoktor wirkt, wahrscheinlich nicht ganz ungewollt, wie eine Reminiszenz an Doyles Sherlock Holmes. Auch er ist in beratender Funktion tätig und bearbeitet nur Fälle die ihn interessieren. Das in dieser Geschichte auch noch der Drogengebrauch als Auslöser für die Verbindung zur Geisterwelt skizziert wird, ist eine weitere augenzwinkernde Parallele. "Griff nach der Seele" ist dann auch eines der Highlights dieses Sammelbands, der eigentlich keine schwache Geschichte aufweist und in der Zusammenstellung äußerst abwechslungsreich geraten ist. Obwohl tendenziell die meisten davon ein gutes Ende nehmen, sind sie allesamt von der Grundstimmung sehr düster, ist die irgendwo lauernde Gefahr stets allgegenwärtig.
Neben der titelgebenden Story "Besuch von Drüben" enthält der Sammelband noch folgende Kurzgeschichten:
Der Horcher
Die Spuk-Insel
Gestohlenes Leben
Kein Zimmer mehr frei
Ein gewisser Smith
Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York
Griff nach der Seele
Besonders in "Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York" tritt dies zutage, welche, für Blackwood eher ungewohnt, sehr actionreich daherkommt und mit einem Grusel-Ende im Stile Poes aufwartet. Ein Schauergenuss zum mithorchen und Zähne klappern, der beinahe prädestiniert für eine Erzählung am Lagerfeuer ist. Derart handlungsreich sind die meisten anderen Werke hier nicht. Blackwood lässt die Protagonisten oder Erzähler oft viel erklären, wobei es erstaunlich ist, inwieweit es der Autor vermag, Gefühle, Eindrücke und Wahrnehmungen schriftlich zu Papier zu bringen. Gutes Beispiel hierfür ist "Die Spuk-Insel", in der ein einsamer Bewohner einer kleinen Insel des Nachts Besuch von Indianern bekommt. Unwillkürlich hält man hier den Atem an, meint man selbst die Schweißperlen im Nacken fühlen zu können, derart detailliert und präzise wird die Angst des Protagonisten geschildert, der sich in der Dunkelheit der Blockhütte seinen Angreifern hilflos ausgesetzt sieht. Das Ende raubt dann den Atem und sorgt für wohltuende Gänsehaut. Jede für sich hier näher zu beschreiben, würde jedoch den Geschichten ihre Faszination nehmen, weshalb man sie lieber selbst lesen sollte.
Insgesamt erweist sich Algernon Blackwood auch in der von Suhrkamp zusammengestellten Sammlung "Besuch von Drüben" einmal mehr als Meister der Atmosphäre und der gruseligen Schauplätze. Ein absolutes Muss für alle Freunde von stimmungsvollen Gruselgeschichten aus dem guten, alten viktorianischen England und ein Titel der eine gleichsam schön gestaltete Neuauflage ohne Frage verdient hätte.