Cover des Buches Der Schüler Gerber (ISBN: 9783423195225)
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Rezension zu Der Schüler Gerber von Friedrich Torberg

Der Willkür reife Leistung

von buchwanderer vor 6 Jahren

Rezension

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buchwanderervor 6 Jahren

„…: es gibt ein großes, gräßliches Nie, gegen das wir nicht anrennen sollen, sonst senkt es sich, eine riesenhafte Wand, auf uns herab und zwingt uns zu Boden, und wenn wir gar zu nahe waren, zermalmt es uns…“ (S.115)

Zum Inhalt:


Kurt Gerber steht in seinem letzten gymnasialen Jahr, dem lange ersehnten und ebenso gefürchteten Abschlussjahr, dessen Krönung für die Würdigen das Zeugnis ihrer Reife bereithält. Vorausgesetzt – und daran scheint der Wert eines Schullebens gemessen zu werden – man wird in den Augen der Lehrerkollegiums für reif befunden.

Prof. Artur Kupfer ist Teil dieses Kollegiums und „er wußte, daß er, sowie er aus dem Machtbereich der Schule draußen war niemandem und mit nichts imponieren konnte.“ (S.31) Umso mehr lebt er diese schulische Macht über die ihm ausgelieferten Schüler aus, verteilt nicht nachvollziehbar Erfolg und Misserfolg, und genießt jedes (Schul-)Jahr aufs Neue die Leiden deren Ursache er in nicht unerheblichem Maße darstellt.

Gerber, der mit Abstand Begabteste der Klasse, wird in diesem achten Schuljahr noch von anderen schicksalshaften Zugkräften zerrissen: Sein Vater, dem er stets ein guter Sohn zu sein versucht, wird von einem Herzleiden getroffen, die große Liebe in seinem jungen Leben, Lisa Berwald, zerrinnt zwischen seinen Fingern, einen schalen Geschmack des Nicht-ernst-genommen-werdens hinterlassend und zu guter Letzt stellt sich die bohrende Frage ein: Wofür das Ganze? Wo lag letzten Endes der Sinn? „Man bangte sein tägliches Pensum herunter“ (S.61), aber wozu?

Dieses Wozu, diese Sinnfrage, deren inhaltlich schlüssige Beantwortung ihm letztendlich alle schuldig blieben, setzt sich in Gerbers Kopf, in seiner Seele fest. Solange bis in Stein gemeißelt fest stand: „Kupfer war Kismet.“ (S.21) und „Ich, Kurt Gerber, bin maßlos nebensächlich.“ (S.253) Dass diese lebensphilosophische Einstellung gepaart mit jugendlichem Sturm und Drang kein gutes Ende finden konnte, dessen wurden sich die Akteure, die Einfluss darauf gehabt hätten, erst zu spät bewusst.

So kulminiert und endet Kurt Gerbers Leben in den wenigen Zeilen einer Zeitungsmeldung: „Wieder ein Schülerselbstmord…“

Fazit:


Friedrich Torbergs Roman „Der Schüler Gerber hat absolviert“ erschien erstmals 1930, den literarischen Durchbruch des Autors markierend. Über weite Strecken mit unschwer erkennbaren autobiografischen Reminiszenzen stellt Torberg eine Maschinerie in die Anklagebank, die nach außen den getünchten Anschein pädagogischen Handelns zur Schau trägt, innerlich jedoch in mannigfaltiger Weise marode ist. Nicht die Vorbereitung junger Menschen auf ein Leben nach der Schule ist hier Ziel und Programm, sondern „neben der Vermittlung von Wissen auch die Brechung der Persönlichkeit der Schüler“1). „Die Maschinerie der Pein funktionierte selbständig und mit unentrinnbarer Präzision, ließ den zu Verarbeitenden nicht zur Besinnung kommen…“ (S.192)

Nicht selten erinnert der Grundtenor des Textes an Hesses „Unterm Rad“. Die stets aufs Neue aufkommende Hoffnung doch noch durch Leistung oder zumindest durch Ducken vor der Obrigkeit, durch Anpassung an ein längst als sinnentleert entlarvtes System persönlicher Pfründe, Animositäten und mehr als fragwürdiger Machtspiele, sein schulische soziales Überleben bis nach der Reifeprüfung zu sichern, wird ebenso schnell wie sie keimte erstickt.

Nicht wenige Leser dürften sich in den Zeilen Friedrich Torbergs wiederfinden – auf die eine oder andere Art. Und solange es „Pädagogen“ wie „Gott Kupfer“ gibt, solange ein Schulsystem sie duldet, wird es auch die Enden für junge Menschen geben, wie sie im „Schüler Gerber“ verstörend und leider keinesfalls unrealistisch elaboriert werden.

Zum Buch:


Die Beurteilung des Buches als Rahmen für Torbergs bewegenden Text muss für den vorliegenden Band ambivalent ausfallen: Zum einen ist die grafische Gestaltung der Buchdeckel – für die der schweizer Künstler Celestino Piatti firmiert –, sowie deren Stabilität, berücksichtigt man, dass es sich um ein Paperback handelt, durchweg gut gelungen resp. von angemessener Qualität.

Was jedoch die Verleimung der Seiten anbelangt und die saubere Ausführung des Drucks müssen doch erhebliche Abstriche gemacht werden, was schade ist und auch nicht nur auf das Alter des Buches zurückzuführen sind (Beispiele siehe hier). Typografisch bleibt der Text in einer klaren Linie, was das Lesen angenehm gestaltet. Auch der Bedruckstoff ist seitens der Haptik durchweg gut gewählt, mit dem Manko, dass er leicht zum Vergilben neigt.

Quelle:

1.) „Kindlers Neues Literaturlexikon“, Bd. 16, 1988/1998, S.707)

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