Cover des Buches Tagebücher 1982 - 2001 (ISBN: 9783499258992)
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Rezension zu Tagebücher 1982 - 2001 von Fritz J. Raddatz

Rezension zu "Tagebücher" von Fritz J. Raddatz

von Lysander vor 11 Jahren

Rezension

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Lysandervor 11 Jahren
Ein Eintrag vom 23.10.2000 hat mich am meisten berührt. Raddatz sinniert über die Liebe und über die Beziehung zu seinem Lebenspartner: "Das Streicheln nimmt ab, das Streicheln in Gedanken nimmt zu, es ist eine andere Zärtlichkeit, und ich weiß nicht, welche die 'ehrlichere' ist." Tagebücher haben etwas Voyeuristisches. Was für ein Erlebnis, 20 Jahre aus dem Leben eines so interessanten Menschen mitverfolgen zu dürfen, wie großartig und gebildet sind die Reflexionen Raddatz' im Vergleich zu dem, was Millionen Menschen heutzutage täglich auf Facebook posten - auch das sind ja "Tagebuchnotizen", aber sie sind meistens so unendlich banal im Vergleich zu denen des "Großkritikers", der letztlich immer auch ein enfant terrible der deutschen Kulturszene war. Die veröffentlichten Aufzeichnungen beginnen 1982, bald nach Raddatz 50. Geburtstag. Oft beschäftigt er sich auch zu dieser Zeit bereits mit dem Tod. Seine Eintragungen sind getrieben von dem Wunsch, etwas zu bewahren; vielfach packt ihn die Furcht, das Leben könne so nicht mehr weiter gehen - so: d. h. ein Leben mit einem gewissen Luxus (große Wohnung in Hamburg, Ferienwohnung auf Sylt, später auch in Nizza), und immer wieder die Reisen, um auf den Spuren berühmter Schriftsteller (z. B. Hauptmann, Faulkner) zu wandeln oder diese persönlich zu treffen (z. B. Garcia Marquez, Baldwin). Raddatz schreibt schonungslos. Er lässt uns teilhaben an seinen zahlreichen persönlichen Begegnungen mit seinem Freund Günter Grass, mit Walter Kempowski, Thomas Brasch und vielen anderen. Er lästert über die Gräfin Dönhoff, über Gerd Bucerius, über Marcel Reich-Ranicki und Rudolf Augstein. Auch Details über einige seiner sexuellen Affären und Phantasien werden nicht ausgelassen. All dies ist zutiefst menschlich und über weite Strecken sehr melancholisch. Immer wieder fragte ich mich beim Lesen, wie der heute 81jährige jetzt wohl lebt, was ihn umtreibt, ob er bei guter Gesundheit ist. Und immer wieder fragte ich mich auch, wie viele solcher Persönlichkeiten es heute überhaupt noch geben mag. Raddatz hat als Journalist und Buchautor Kulturgeschichte geschrieben. Seine Tagebücher sind Teil davon: Ein spannender Rundumschlag zur Geschichte der deutschen Kultur von 1982 bis 2001.
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