Cover des Buches Valentina (ISBN: 9783765512377)
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Rezension zu Valentina von Fritz Stiegler

Rezension zu "Valentina" von Fritz Stiegler

von mecedora vor 12 Jahren

Rezension

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mecedoravor 12 Jahren
"Eine banale Bemerkung, eine harmlose Feststellung reichten aus, um aufzufallen. Das war gefährlich, erst die Masse schaffte ein wenig Sicherheit, genau wie ein Fisch im Schwarm, ein Vogel unter vielen Vögeln oder ein einzelnes Schaf in der Herde sich verstecken konnte. Das zu schnelle, das zu langsame, das schwarze, das blökende Schaf jedoch ragte heraus und wird angreifbar. Überleben im Lager hieß: nicht auffallen." (145) Doch Valentina fällt auf in der Masse, sie ist zu jung, zu hübsch, zu begabt, zu willensstark, um in der grauen Herde unsichtbar zu werden. Valentina wird zum Individuum in der schrecklichen Masse, die der Krieg und seine Gräuel aus den Menschen machten. Und um sie, um Valentina, geht es in diesem Buch, das der fränkische Mundartautor Fritz Stiegler auf einer wahren Geschichte basierend geschrieben hat, um ein Stück der deutschen Geschichte zu beleuchten, das in all der Dokumentation der NS-Zeit nur wenig beachtet wird: die Geschichte der Zwangsarbeiter aus dem Osten, in Lagern zusammengepfercht und "durch die Arbeit kaputt gemacht und durch langsames Verhungern. Sie gehen ein wie Blumen in der Vase, langsam, aber sicher. Haben ihre Wurzeln draußen gelassen." (128) Fritz Stiegler erzählt von Valentina, einer jungen Ukrainerin, die nach Deutschland verschleppt wurde und 1944 im Arbeitslager in Langenzenn, in der Nähe von Nürnberg, gefangen gehalten und zum Arbeitseinsatz gezwungen wird. In eine Rahmenhandlung eingebettet, die einen Besuch der gealterten Valentina im Jahr 2010 an den Schauplätzen der Kriegsgräuel in Franken erzählt, wird das Leben im Arbeitslager und vor allem das bei einer mutigen und standhaften Bauernfamilie in Gonnersdorf beschrieben, die Valentina nach deren Flucht beim Ernteeinsatz aus gottgefälliger Nächstenliebe aufnimmt und in den letzten Kriegsmonaten vor dem Zugriff und der Bestrafung durch die NS-Schergen beschützt. Sehr dokumentarisch berichtet Fritz Stiegler vom Leben und Erleben der jungen Frau und eröffnet dem Leser einen Bereich der Zeitgeschichte, der in der Literatur nicht gar so präsent ist. Sein Stil ist angenehm zu lesen, gut umgesetzt finde ich die sprachliche Annäherung an die bäuerliche Sprache der fränkischen Landbevölkerung. Was mir ein wenig fehlt, das ist der emotionale Zugang zu den Figuren und Geschehnissen. Zumindest mir fiel es bei der distanzierten und dokumentarischen Erzählweise schwer, ein emotionales Mit(er)leben oder ein Eintauchen bei der Lektüre verspüren. Das, die in meinen Augen unnötige und nicht gänzlich ausgearbeitete Liebesgeschichte, die in die Geschehnisse eingebettet wird, und der in meinen Augen nicht ganz abgerundete Schluss - gerne hätte ich erfahren, wie Valentina nach Kriegsende in ihre ukrainische Heimat zurückkehren konnte und wie sich wieder Fuß gefasst hat - all das lässt mich am Ende der Lektüre einen Stern für "Valentina" abziehen. Ein gutes Buch, ein interessantes Thema - nicht optimal umgesetzt, aber auf alle Fälle lesenswert. Vier Sterne für "Valentina".
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