Rezension zu "Deutsche Meisterschaft" von Richard Birkefeld
„Ganz schönes Zigeunerlager hier. Ausländer überall. Ausländische Maschinen. Wer ist denn besser?“ Der Major steckte die leere Zigarettenspitze in seine Innentasche.
„Mal so, mal so. Hensch hat gerade auf einer Blackburne gewonnen.“
Falk zuckte die Achseln. „Wie du immer sagtest, nur das Beste setzt sich durch.
“Dann müssen wir arbeiten. Wir müssen besser werden in allen Bereichen. Wir müssen alles beherrschen! Dürfen uns nicht abhängen lassen!“ Der Major ließ kurz seinen Blick über das Stadionrund schweifen. „Ein Krieg der Motoren. Das scheint ja alles sehr interessant zu sein.“ (S. 125)
Das Rennen um die Deutsche Motorrad-Straßenmeisterschaft im Jahre 1926 ist im vollen Gange. Unter den aussichtsreichen Fahrern sind auch Arno Lamprecht und Falk von Dronte. Doch als in direktem Umfeld der Straßenrennen Leichen mit abgetrenntem Kopf gefunden werden und auch in einem Forst bei München eine kopflose Leiche auftaucht, geraten beide unter enormen Druck. Lamprecht wird wegen der Umstände des Todes seiner Frau vor einigen Jahren direkt von der Polizei verdächtigt und auch von Dronte wird durch den Leichenfund in München von seiner Vergangenheit eingeholt.
Die beiden Autoren Richard Birkefeld und Göran Hachmeister sind Historiker, mit ihrem Kriminalroman „Wer übrig bleibt, hat recht“ gelang ihnen 2002 ein vielbeachtetes Debüt (Glauser und Deutscher Krimi Preis). Schon in ihrem Erstlingswerk wahrten sie mit einem raffinierten Kniff in die Figurenkonstellation auf: Das vermeintliche „Opfer“, ein entflohener KZ-Häftling, wird zum Rächer und Mörder, ein SS-Mann soll ihn stoppen. In „Deutsche Meisterschaft“ wird die Geschichte abwechselnd durch zwei personale Erzähler vorgetragen und auch hier gibt es leicht vertauschte Rollen.
Der Protagonist, dem übel mitgespielt wird, ist Arno Lamprecht, Karacho-Lamprecht, tollkühner Außenseiter in der deutschen Motorradstraßenmeisterschaft. Er ist ein eher grober Kerl, ein Spieler, Trinker, hat nach dem Krieg nie wieder richtig ins Leben gefunden. Schließlich wachte er 1923 neben seiner toten, enthaupteten Frau auf. Er wurde des Mordes verdächtigt, brutal von der Polizei verhört, aber letztlich laufen gelassen, als festgestellt wurde, dass der Kopf seiner Frau post mortem abgetrennt wurde, nachdem sie an den Folgen einer illegalen Abtreibung gestorben war. Doch Lamprecht Ruf ist ruiniert und als am Rande der Rennen enthauptete Leichen auftauchen, ist klar, dass er direkt ins Visier der Polizei gerät. Unter Druck versucht er denjenigen zu finden, der seiner Frau den Kopf abgetrennt hat, denn dieser könnte nun auch der Serienmörder sein.
Auf der anderen Seite ist Falk von Dronte, auch er ein Motorrad-Ass. Ein junger Mann aus adligen Verhältnissen, gebildet, kultiviert, liiert mit Thea, einer modernen, clevernen Frau, die alle um ihren Finger wickelt. Und doch ist dieser Mann ein Mörder. Er kam als junger Soldat im November 1918 nicht mehr bis zur Front und geriet stattdessen in die Fänge rechter Freikorpsler, die in dem Jungspund einen willigen Abnehmer ihrer Dolchstoß-Legenden fanden und der sogar bereit war, in den Wirren vor den Hitler-Putsch einen vermeintlichen Verräter zu liquidieren. Danach brachte ihn die Begegnung mit Thea wieder auf die richtige Bahn. Doch nun, mitten in der Meisterschaftsserie, holt ihn die Vergangenheit wieder ein. Die Leiche des „Verräters“ wurde gefunden, „kopflos“, und der Auftraggeber ,Major von Groß, verlangt von ihm nachdrücklich, dass er die Sache ins Reine bringt. Somit ist auch von Dronte wie Lamprecht auf der Suche nach einem „Kopfabschneider“. Zwangsläufig kommen die beiden erbitterten Rivalen sich in die Quere – nicht nur auf der Rennstrecke.
Apropos Rennstrecke, das Rennen um die Deutsche Motorrad-Straßenmeisterschaft als Rahmen der Handlung haben Birkefeld und Hachmeister grandios und faszinierend in Szene gesetzt. Die verschiedenen Strecken, das Fahrerlager, aber vor allem die Rennen selbst. Tollkühne Fahrer, begeisterte Zuschauer. Man kann förmlich den Schweiß, den Benzingeruch und den Bremsabrieb riechen. Aber die Rennen sind damals auch ohne Serienmörder extrem gefährlich, Verletzte und Tote bei Fahrern und Zuschauern sind keine Seltenheit.
Abseits der Motorradrennen zeichnen die Autoren ein authentisches Bild Deutschlands im Jahre 1926. Die Republik ist ein wenig zur Ruhe gekommen. Der Reichstag setzt sogar einen Ausschuss ein, um die Fememorde der politischen Radikalen in den Anfangsjahren der Republik untersuchen zu lassen. Das kann jedoch nicht im Sinne der Braunhemden, Freikorps-Anhänger und Deutschnationalen sein, die sich nun (nach dem grandiosen Scheitern des Putsches vom 09.November 1923) anschicken, den Marsch durch die Parlamente anzutreten. Die Autoren lassen aber auch immer wieder weitere Kleinigkeiten als zeitgenössische Aspekte der damaligen Zeit einfließen: Der Kampf gegen den §218, die Anfänge des Rundfunks, ein Varietétheater.
„Deutsche Meisterschaft“ ist für mich ein echtes Highlight im Genre des historischen Kriminalromans. Spannend, temporeich, mit einem ungewöhnlichen Plot und ungewöhnlichen Hauptfiguren und dabei wird noch ein interessantes Bild der damaligen Zeit vermittelt.