Vollständige Rezension: queerbuch.wordpress.com
Die Ausgangssituation gleicht einem immer wiederkehrenden Muster im Bereich Lesbian Fiction: Zwei Frauen müssen so tun, als ob sie eine Beziehung führen, und verlieben sich letztendlich doch ineinander. Muster Nr. 2 ist der Ice-Queen-Charakter Sams: die Undurchschaubare, Distanzierte mit einem Herz aus Eis, wie es scheint; die nur langsam auftaut und nach und nach Einblicke in ihr Inneres gibt, das dann doch voll ist von Wärme und zu einem guten Menschen gehört. Wer nun also diese beiden Elemente lesbischer Romanzen liebt, landet einen Volltreffer.
Nun ist das allerdings nicht alles, was Von wegen versprochen* ausmacht. Auf den zweiten Blick ist eben doch nicht alles so, wie es scheint, und die Figuren gewinnen über die Seiten immer mehr an Tiefe. Die Geschichte beschäftigt sich viel mit dem Thema Familie und was passiert, wenn ein Familienmitglied pflegebedürftig wird. Wie viel Verantwortung nimmt man selbst auf sich, und wann ist der Punkt erreicht, an dem man sich Hilfe von außen suchen muss? Ist die Pflege der Lieben Familiensache oder können wir sie guten Gewissens in die Obhut von Fremden geben? Ebenso geht es um grundlegende Werte, um Akzeptanz und nicht-Akzeptanz von Sexualitäten und Geschlechtern, die von der bekannten Norm abweichen und darum, was Eltern eigentlich zu tun haben: ihr Kind zu lieben, egal wie es ist und was es tut.
Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten und lässt nur wenig Raum für Interpretation. Der Leser erfährt die Dinge genau dann, wenn er sie erfahren soll – versteckte Hinweise werden kaum gestreut. Das macht das Lesen sehr angenehm und leicht, wodurch das Buch wunderbar als Zwischendurchlektüre funktioniert. Besonders viel Spaß hat das Vorlesen gemacht, denn G Benson bedient sich einer unschlagbaren Situationskomik. Trotz all der schweren Themen im Krankenhaus und in den Familien bleibt die Stimmung größtenteils locker luftig und trieft nur so vor Sarkasmus.
Als letzten und wichtigsten Punkt möchte ich die Einbindung eines nicht-binären, also enby (von non binary) Charakters nennen. Seit Ende 2018 kann in Deutschland das dritte Geschlecht divers in offiziellen Dokumenten eingetragen werden. Die Geschlechterdualität von Mann und Frau war schon immer ein soziales Konstrukt, denn neben intergeschlechtlichen Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig zu einem der vorherrschenden Geschlechter zuordenbar sind, gibt es auch Menschen, deren Gender (= soziales Geschlecht) nicht eindeutig weiblich oder männlich ist. Auch wenn diese rechtliche Erkenntnis in Deutschland aus meiner Sicht lange überfällig war, freut es mich doch, dass wir durch solche Entscheidungen immer weiter vorwärts kommen.
Und jetzt mal ehrlich: Wie viele Bücher habt ihr gelesen, in denen enby Personen vorkommen? Ja. Bei mir war es, vor diesem, keins. Von wegen versprochen ist eines der ersten deutschsprachigen Bücher, die eine enby Person inklusive passender geschlechtsneutraler Pronomen einführt: Haydens beste_r Freund_in Luce. Völlig selbstverständlich wird das Pronomen »sier« für Luce verwendet, dier Hayden bedingungslos in allem unterstützt. Am Anfang waren diese neuen Pronomen ungewohnt zu lesen, doch nach etwa einem Drittel des Buchs sind sie mir gar nicht mehr aufgefallen. Man gewöhnt sich eben an alles. Mit viel Feingefühl beschrieben gibt es sowohl ein Vor- als auch ein Nachwort darüber, was enby bedeutet und was die Schwierigkeit der Übersetzung ins Deutsche ausgemacht hat: dass es in unserem Sprachgebrauch noch nicht »die eine« Lösung für geschlechtsneutrale Pronomen gibt. Mit diesem Buch sorgt der Ylva Verlag für mehr Normalität und Sichtbarkeit von enby Personen in der Literatur, was ich einfach großartig finde.
Fazit
Von wegen versprochen ist vieles: wiederkehrende Muster der Lesbian Fiction durch gespielte Zuneigung, die in reale Gefühle mündet und der Ice Queen, die nur langsam auftaut. Zwischendurchlektüre durch einen einfachen, leicht lesbaren Schreibstil. Trotzdem voll Tiefgründigkeit und schwerer Themen, die auf lockere Weise behandelt werden. Bauchmuskeltrainer durch den intensiven, sich durchziehenden, von Sarkasmus triefenden Humor. Und letztendlich Vorreiter der deutschsprachigen Literatur in Sachen gendergerechte Sprache und selbstverständliche Einbindung eines nicht-binären Charakters.