G. E. Trevelyan

 4,5 Sterne bei 2 Bewertungen
Autor*in von Appius und Virginia.

Lebenslauf

G. E. [Gertrude Eileen] Trevelyan (1903–1941), geboren in Bath, Somerset, besuchte das Princess Helena College und die Lady Margaret Hall in Oxford. Als Freigeist lebte sie in einer Frauenresidenz in Bermondsey, später in Kensington, und konnte sich dank eines kleinen Erbes aufs Schreiben konzentrieren. Als erste Frau wurde sie mit dem Newdigate-Preis ausgezeichnet. 1932 erschien mit «Appius and Virginia» ihr Debüt, sieben weitere Prosawerke folgten. Im Oktober 1940 erlitt sie während der deutschen Bombardements in ihrem Appartement in Notting Hill lebensgefährliche Verletzungen, denen sie wenige Monate später in einem Pflegeheim in Bath erlag.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von G. E. Trevelyan

Cover des Buches Appius und Virginia (ISBN: 9783717525578)

Appius und Virginia

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Erschienen am 27.03.2024

Neue Rezensionen zu G. E. Trevelyan

Cover des Buches Appius und Virginia (ISBN: 9783717525578)
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Rezension zu "Appius und Virginia" von G. E. Trevelyan

MarcoL
Ein Pageturner! Trauriges und gut erzähltes „Experiment“, das an Abgründen des menschlichen Wissensdurstes kratzt.

Das Original erschien 1932 und liegt nun als deutsche Erstübersetzung vor.
Die Soziologin Virginia Hutton startet ein Experiment, das sehr schnell zeigt, wie verstörend und egoistisch ihr Grundgedanke im Prinzip ist. Sie möchte einen Orang-Utan wie ein Menschenkind erziehen, ihm denken, sprechen, lesen und all die sonstigen Dinge beibringen, die Menschen vorbehalten sind. In ihren Visionen träumt sie sogar davon, ihre Studien soweit zu bringen, dass ihr Zögling, der den Namen Appius bekommt, sogar ein weltberühmter Akademiker wird.
Schnell stellt sich heraus, dass Virginia so etwas wie Muttergefühle für Appius entwickelt. Um ihr „Experiment“ ungestört durchführen zu können, kauft sie sich ein kleines Cottage und kapselt sich völlig ab. Sie pflegt keinerlei soziale Kontakte, sperrt sich und Appius quasi komplett von der Gesellschaft aus. Ein kleiner Garten mit einer hohen Mauer grenzt ihr Exil ab.
 Was als (pseudo)wissenschaftlicher Versuch beginnt, rutscht sehr bald in eine Absurdität ab. Das Gespann Viriginia-Appius rückt in den Vordergrund, die frommen Wünsche, sich in den Akademikerkreisen zu behaupten, sehr bald ins Abseits.

Appius lernt im Laufe der Zeit tatsächlich ein paar Worte, scheint auch Lesen zu können. Manchmal bekommt man allerdings den Eindruck, dass er nur Gehörtes nachplappert, und Gesehenes aus Büchern wiedergibt, weil Virginia es ihm minutiös eingetrichtert hat. Aber er kann denken, und entdeckt, was vor ihm hätte verborgen werden sollen.
 Er wird angezogen wie ein Mensch, mit Hosen und Schuhen. Er mag das nicht, es stört ihn in seinen Bewegungsabläufen, aber er duldet es. Denn Virginia kann sehr streng und herrisch sein. Sie redet Appius ständig ein, er sei ein Mensch. Doch Bilderbücher zeigen ihm etwas anderes … und ein großer Konflikt, der sich durch den ganzen Roman zieht, nimmt Gestalt an.

Trotz Virginias Wunsch, Appius als Menschen zu erziehen, behandelt sie ihn dennoch wie eine Sache. Sie möchte von ihm geliebt werden, zieht ein abstruses Mutter-Sohn Gespann heran, erklärt ihm pausenlos, nur Menschen sind gut, und Tiere böse …

 Die Autorin zieht die Leserschaft gekonnt in ihren Bann. Man möchte mehr als hundert Mal in die Erzählung eingreifen, die Protagonistin wachrütteln. Allein die Beschreibungen, wie sich Appius entwickelt, was er fühlt und in ihm vorgeht, ist eine Lektüre dieses Romans wert.

Sein Ausflug durch die Bäume des Gartens, als sich seine Instinkte melden und er sich voller Freude von Baum zum Baum schwingt, sind derart lebendig und authentisch beschrieben, dass man sich richtig gut in Appius‘ Gefühle hineinversetzen kann (Seite 54, die Zeilen eine Wucht).
 Sprachlich ist der Roman ein Genuss, und mutiert sehr schnell zu einem richtigen Pageturner. Und ich ziehe auch in einem gewissen Rahmen Vergleiche mit Mary Shelleys „Frankenstein“. Beide Bücher vereinen für mich die Grundthematik Mensch versus Schöpfung.

S.266: „Ich wollte, dass du etwas bist, was sogar mehr wäre als ein Kind, etwas, was ich durch meinen eigenen Geist aus dem Nichts erschaffen und nach meinem Willen geformt und dem ich beim Wachsen zugesehen hätte.“

Der Roman vermittelt sehr gut die Anmaßung der Menschen, alles beherrschen zu wollen. Auch spielen andere gesellschaftskritische Aspekte eine Rolle im Buch, wie zum Beispiel die Unterdrückung der Frauen in der Wissenschaft. Das umfangreiche Nachwort von Ann Cotten und die editorische Notiz der Übersetzerin Renate Haen (ganz großes Lob für ihre Arbeit) 

Cover des Buches Appius und Virginia (ISBN: 9783717525578)
B

Rezension zu "Appius und Virginia" von G. E. Trevelyan

BettinaR87
Man kann sehr viel darüber nachdenken und reden

Ein Buch zu rezensieren und damit zu beurteilen, das fast 100 Jahre alt ist. ist immer eine etwas absonderliche Situation. Allein, weil sich der Zeitgeist und der Sprachgebrauch enorm gewandelt haben, wird es da immer einen kleinen Abgrund geben, der in seiner Dunkelheit einiges gnädig verhüllen muss.

1930er Jahre: Virginia kündigt ihr Zimmer in dem Haus für alleinstehende Frauen und zieht von London aufs Land. Im Gepäck: Ein junger Affe namens Appius, den sie von Anfang an ganz selbstverständlich als Mensch erziehen möchte. Ihr Experiment soll zeigen, dass die Menschwerdung durch Erziehung und elterliche Prägung geschieht – ausgelacht von ihren Kolleg:innen geht sie in einem kleinen Cottage ihrer Wunschvorstellung nach.

Tatsächlich beginnt Appius, zu reden und hält sich für einen Mensch, doch es gibt immer wieder Stolpersteine und allein gelassen mit ihren Gedanken mutiert auch Virginia selbst immer mehr zu einer eher schrulligeren Persönlichkeit …

Der Leser:innen-Eindruck

Virginia und die Autorin sind Kinder ihrer Zeit: Das Buch wurde zuerst 1932 veröffentlicht und wir wissen alle, welche Themen damals in Sachen Biologie an der Tagesordnung standen – allein die Eugenik machte noch bis in die 2000er Jahre eine steile Karriere. Es ist also äußerst cringy, aber eben dem Zeitgeist entsprechend, dass unsere Protagonistin Virginia die Begriffe „Über-“ und „Untermenschen“ benutzt.

Ihre eigene Bildung hält sie für vollkommen und sich für wissenschaftlich so perfekt aufgestellt, dass sie sich in ihr Experiment mit Appius stürzt. Sie bemerkt  selbst in einem Halbsatz, dass im Unterricht für Frauen so manche Themen überflogen oder gleich gar nicht unterrichtet wurden. Auf die Idee, dass ihr damit sehr relevante Informationen oder Kenntnisse fehlen könnten, kommt sie indes nicht. In ihrem Vorgehen ist Virginia maximal egozentrisch und das so pointiert, dass es perfekt in die Kritik passt: Sie kommt gar nicht auf die Idee, dass sie falsch liegen könnte. Was auch immer Appius macht, muss direkt mit ihr in Verbindung stehen. White Privilege, Rassismus, Kolonialismus und seine Hintergründe/Konsequenzen in a Nutshell.

Natürlich ist es immer leicht, aus der „Zukunft“ zurückzublicken und den Finger zu erheben – aber in diesem Falle geht es nicht um wissenschaftliche Forschung, die sich ergeben hat, sondern das menschliche Miteinander. Wäre das Buch ein Tweet, würde man sagen: Nicht gut gealtert. Es sei denn, man erkennt genau darin die Kritik an den damaligen Gegebenheiten – und kann so vielleicht etwas Positives für die Gegenwart daraus ziehen.

Die Menschwerdung des Appius beruht bspw. nicht darauf, dass er als Mensch erzogen wird, obwohl als Affe geboren. Die Autorin macht ganz deutlich, dass hinter der Kooperation von Appius keine Menschwerdung steckt, sondern ein Gefallenwollen. Er sagt, was Virginia hören will und hat dann seine Ruhe und seine ganz eigene Gedankenwelt, in die er abdriftet. Wie sich ein Affe fühlen würde et cetera, das ist in diesem literarischen Experiment natürlich reine Fiktion – und damit ein von der Autorin sehr bewusst genutztes Mittel, um Virginia und damit die geradezu wahnsinnige Hybris des Weißen Menschen in die Schranken zu weisen: Wir sind nicht die Krönung der Schöpfung, wir sind Teil der Natur und des natürlichen Kreislaufs. Und wer anders denkt / unterdrückt, ist ein ganzes Stück schlechter.

Ein Buch, das so simpel wie äußerst geschickt seine Statements liefert, sollte öfter gelesen werden. Gut, dass Manesse sich dessen annimmt und dabei nicht einfach ein kleines Taschenbuch auf den Markt bringt, sondern ein hochqualitatives Juwel in Sachen Bindung, Papier, Handling – es ist ein Genuss, der noch in jede Handtasche gepasst hat.

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