Das Dorf ist in Aufruhr: am Tag nach der Hochzeit wird der reiche Bürger Santiago Nasar auf dem Marktplatz von den Brüdern Pablo und Pedro Vicario mit mehreren Messerstichen brutal abgeschlachtet. Niemand weiß, warum diese Tat geschah, noch, was die genauen Umstände sind. Erst nach und nach eröffnet sich dem Leser das genaue Bild dieses Mordes, der, vom Ende der Geschichte aus betrachtet, eine schicksalsvolle Tragik besitzt und unabwendbar scheint. Durch eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände und Zufälle wird Nasar das Opfer einer auf Ehrsucht und Rache ausgerichteten Gesellschaft. Allein der Verdacht, dass die Braut durch Nasar ihre Ehre bereits vor der Heirat mit dem Lebemann und Dandy Bayardo San Román verlor, reicht aus, um ihre Brüder zu Mördern werden zu lassen.
Im Stil eines Chronisten, mit der Genauigkeit eines Journalisten und der Hartnäckigkeit eines Wahrheitsuchenden trägt der Erzähler, der selbst Zeuge des Mordes wurde, den genauen Hergang der Geschichte zusammen. Die Bewohner des Dorfes selbst liefern ihm die Informationen, aus denen sich die Chronik eines angekündigten Todes entwickelt. Vor dem Hintergrund einer tradtionellen, auf ihre Geschlechterrollen festgelegten Gemeinschaft im Südamerika des frühen 20. Jahrhunderts wird die Tragik der Geschichte offenbar: obwohl niemand die letztendliche Schuld Santiago Nasars endgültig beweisen kann, wird sein Tod als eine logische Folge seiner Anklage gesehen. Und obwohl die Brüder Vicario alles unternehmen, um die Dorfgemeinschaft von ihrem Vorhaben zu unterrichten, unternimmt diese nichts. Ein Ausbrechen aus den alten Konventionen ist damit nicht möglich. Zu starr, zu fest sind die Wertevorstellungen dieser Welt verankert. Jedes Abweichen von der Norm zieht eine schwere Strafe nach sich. So wird die Braut für den Rest ihres Lebens von der Familie verstoßen. Der gehörnte Bräutigam versucht, durch Alkohol den Tod zu finden. Doch das Leben innerhalb der Dorfgemeinschaft findet hierin nicht ihr Ende. Vielmehr wird die Tat der Brüder als notwendiges Übel verstanden, gemäß den Richtlinien der Tradition.
Das Buch besticht durch den einfachen, aber dennoch ansprechenden Stil. Darüberhinaus liegt in der Geschichte eine Spannung und Dramatik, die sich aus dem reziprok angeordneten Verlauf ergibt. Zu Beginn steht der Mord fest, erst im Lauf der Geschichte werden die genauen Umstände deutlich. Sie offenbaren das schicksalhafte, tragische Moment dieser reaktionären, auf überkommene Werte und Gesetze basierenden Gesellschaft, die nicht einmal vor einem Mord zurückschreckt, um ihre innere Festigkeit zu bewahren.
Die Chronik eines angekündigten Todes ist ein süffiges, stilistisch hervorragendes Buch, das ohne Aufregung und überspitzte Dramatik agiert, sondern durch die natürliche Spannung und Tragik des Sujets vollends funktioniert.


