Cover des Buches Heldenangst (ISBN: 9783312004416)
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Rezension zu Heldenangst von Gabriel Chevallier

Rezension zu "Heldenangst" von Gabriel Chevallier

von Mr. Rail vor 14 Jahren

Kurzmeinung: Lesen - zur Seite legen - "Im Westen nichts Neues" von Remarque lesen - dann wiederlesen - und Verknüpfungen wirken lassen. Große Bücher....

Rezension

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Mr. Railvor 14 Jahren
"Das Feuer schwelte bereits in den Tiefen Europas, das sorglose Frankreich aber trug noch helle Kleider, Flanellhosen und Strohhüte, und packte die Koffer für die Sommerferien." Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wird der 19jährige Student Jean Dartemont im Rahmen der allgemeinen Mobilmachung Frankreichs zur Armee eingezogen. Still und schicksalsergeben beobachtet er eine Nation, die in aller Unwissenheit und doch voller Euphorie auf die dramatischen Ereignisse eines Jahrhundertkrieges zusteuert. Binnen Stunden verändert sich das gesamte gesellschaftliche Leben eines Landes und Pazifisten werden zur Randgruppe der Republik. "Innerhalb weniger Tage ist die Kultur ausgelöscht. Innerhalb weniger Tage haben die Staatschefs Bankrott gemacht. Denn ihre Aufgabe, die einzig wichtige, bestand darin, genau das zu verhindern. ... Ein Mensch hat das Recht, auf eigene Rechnung dumm zu sein, aber nicht auf die Rechnung der anderen." Jean geht nicht auf eigene Rechnung in den Krieg, er wird zum Massenteilchen eines Systems und wie willenloses Vieh an die Front - und damit in den Kampf gegen das Deutsche Kaiserreich geschickt. Blumenbekränzt und umjubelt, mit Begriffen wie Vaterland und Sieg übersättigt, betritt er das größte Schlachtfeld Europas. Und dieses Feld hat den Namen Schlacht - von Schlachten - wahrlich verdient. Die Kriegsführung zwingt zum Eingraben, zum Kampf aus dem Schützengraben heraus und bedeutet eine nie nachlassende Bedrohungssituation für jeden einzelnen Soldaten. Ständig in Lebensgefahr zu sein, den Feind nicht zu sehen und jederzeit einer Granate, einem Schuss oder einer Bombe zum Opfer fallen zu können gehört zur Charakteristik dieses Krieges. Jean will jedoch nur eines: Leben, Überleben, unverletzt nach Hause und dies lässt ihn in den Augen der Anderen zum Feigling, zum von Vorsicht dominierten Drückeberger werden. "Wenn ich jetzt sterben müsste, dachte ich, würde ich nicht sagen, es ist schrecklich oder furchtbar, ich würde sagen, es ist ungerecht, es ist absurd, denn ich habe noch nichts versucht, ich habe nur auf meine Stunde, auf meine Chance gewartet, ich habe meine Kraft gespart und mich geduldet. Mein Leben... wird erst beginnen." Jean kämpft einen einsamen inneren Kampf gegen die Angst und gegen den Schrecken des Krieges, er rettet sich in Aufträge, die ihn vom Kampfgebiet entfernen - verzweifelt sucht er nach scheinbarer Sicherheit inmitten des Gemetzels. Er entfernt sich dabei nicht nur vom Idealbild des Soldaten, sondern auch in den Augen seines Vaters von dem eines perfekten Sohnes, da er nicht befördert und nicht ausgezeichnet wurde. Frei nach dem Motto: "Was sollen da nur die Nachbarn denken?" Aller Vorsicht zum Trotz wird Jean Dartemont verwundet und muss nach kurzer Rekonvaleszenz wieder zurück an die Front. Seine fatalistische Sicht der Dinge und die Tatsache, dass er mit seinem Leben abgeschlossen hat, lassen ihn in den Augen seiner Kameraden für einen Moment als mutig erscheinen. Mut, der aus Angst geboren wurde - eine ungesteuerte Übersprungsreaktion des Verstandes - ein Zeichen von totaler Verzweiflung - das ist der Mut und die Tapferkeit, von der Gabriel Chevallier erzählt. Einen Hintergrundbericht zum Autor und zur Neuauflage des Buches finden sie in meinem Artikel im LiteraturBlog dieses Forums unter: http://blog.lovelybooks.de/category/buecher/neuerscheinungen/ "Alles hier ist auf das Töten ausgerichtet. Die Erde ist bereit, uns aufzunehmen, die Geschosse, uns zu treffen, die Einschlagstellen sind schon in Zeit und Raum festgelegt, genau wie die Bahn unseres Schicksals.... Dennoch wollen wir leben..." Ein wichtiges Buch... es ist mutiger sich seiner Angst zu stellen, als tapfer vor seiner Feigheit zu fliehen...
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