Cover des Buches Chronik eines angekündigten Todes (ISBN: 9783596162536)
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Rezension zu Chronik eines angekündigten Todes von Gabriel García Márquez

Kollektive Schuld

von Herbstrose vor 10 Jahren

Rezension

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Herbstrosevor 10 Jahren

Die Hochzeit war ein rauschendes Fest, zu dem das ganze Dorf geladen war. Die Kosten dafür auszurechnen war das letzte, das Santiago Nasar in seinem kurzen Leben zu tun blieb. Bereits in der Hochzeitsnacht brachte der Bräutigam seine Braut, Angela Vicario, ins Elternhaus zurück, als er feststellte, dass sie keine Jungfrau mehr war. Der vermeintlich Verantwortliche für diesen Eklat ist Santiago Nasar. Um die Ehre der Familie wieder herzustellen bleibt Angelas Brüdern, den Zwillingen Pedro und Pablo, keine andere Wahl als Santiago Nasar zu töten. Keine leichte Aufgabe, denn schließlich ist er ihr Freund und man hat vergangene Nacht noch zusammen gefeiert …

Bereits von Anfang an ist klar, dass Santiago Nasar getötet wird. Ebenso klar ist auch wer die Täter sind, sie haben es schließlich jedem im Dorf, ob er es hören wollte oder nicht, erzählt. Alle wissen Bescheid – nur einer nicht, das Opfer. Dadurch bezieht die Geschichte ihre Spannung. Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum niemand diesen Mord zu verhindern sucht oder zumindest Santiago Nasar warnt. Nichts geschieht heimlich, nein, auf der Suche nach Santiago Nasar zeigen die Brüder Vicario offen ihre Schlachtermesser. Keiner nimmt ihnen diese ab, keiner versucht sie aufzuhalten. Es scheint für die Bewohner des kleinen Nestes irgendwo an der Karibikküste eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass die Ehre der Familie Vicario nur durch einen Mord wieder hergestellt werden kann.

„Chronik eines angekündigten Todes“ ist der Versuch einer nachträglichen Aufarbeitung des Falles. Gabriel García Márquez lässt die Geschichte fünfundzwanzig Jahre später von einem ehemaligen Dorfbewohner, der den Fall damals als kleiner Junge nur am Rande mitbekommen hat, rekonstruieren. Er befragt alte Dorfbewohner, Zeugen und Beteiligte - so entsteht einem Puzzle gleich nach und nach ein Bild der Tat, die nicht nur die Tat der beiden Brüder, sondern durch Toleranz und Ignoranz ein kollektives Verbrechen ist. Wie Santiago Nasar letztendlich zu Tode gekommen ist, erfährt der Leser erst ganz zum Schluss – und ob er tatsächlich Angela Vicario entehrt hat bleibt offen.
Fazit: Ein Kabinettstück der Erzählkunst, ein Feuerwerk südamerikanischen Lebens, ein Kleinod für den Bücherschrank. Man kann dieses Büchlein getrost mehrmals lesen, man wird immer wieder neue und bisher unbemerkte Facetten entdecken.

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