Rezension zu "Labyrinth der unerhörten Liebe" von Gabriele Göbel
Während eines sintflutartigen Unwetters wird in Florenz, im Jahre 1478, die schöne Selvaggia Salvestrini geboren - als vierte Tochter anstelle des langersehnten Sohn und Erben der Familie. Die anfängliche Enttäuschung weicht aber schnell der Freude, denn Selvaggia verfügt über die Gabe, alle durch ihr einnehmendes Wesen zu bezaubern! Auch ihren nichtsnutzigen Adoptivbruder Tribolo.
Die ersten Kapitel des Romans widmen sich dem Heranwachsen der Protagonistin. Sie entwickelt sich zu einem neugierigen und unternehmungslustigen Kind, fürwitzig und phantasiebegabt. In ihren Tagträumen erschafft sie sich ihr persönliches magisches Universum, das fasziniert und den Leser auf die Reise mitnimmt. Diese sympathischen Züge wird sie im Laufe ihres Heranwachsens ablegen, zunehmend sich in eine etwas befremdliche Passivität begeben. Das ist schade.
Vor allem zersplittert sich die Geschichte nach den ersten Kapiteln in etliche Nebenhandlungen. In deren Zentrum steht der siebzehn Jahre ältere Adoptivbruder, der die Rolle Bösewichtes einnimmt. Tribolo ist ein Lebemann und Wüstling, Spieler, Trinker und Frauenverführer, gleichzeitig arbeitet er anscheinend durchaus erfolgreich als Kunstagent und gewinnt die Gunst der Medici. Er verkehrt viel in der Florentiner Künstlerszene und trifft dabei auch auf stadtbekannte Originale. Was von der Autorin wohl als "Griff ins pralle Leben" gedacht war, wirkt eher aufgesetzt und zusammenkompiliert aus den Geschichten des von ihr sehr geschätzten Decamerone, die Figuren bleiben dabei eher blass. Dialoge geraten nicht selten in gelehrte Dispute über Neuplatonisches und drohen sich über die Länge zu ziehen.
Die Protagonistin Selvaggia gerät dabei ein wenig aus dem Fokus. Als Heranwachsende entdeckt sie für sich die Geisteswelt der Renaissance und die Liebe zur Philosophie, während ihre Freundin den Gegenpol verkörpert, ganz dem Leben zugewandt. Der Handlungsbogen schwächelt jedoch bedenklich - ausgerechnet an zwei Stellen, die eigentlich dramatische Höhepunkte sein sollten: erst stirbt Selvaggias heißgeliebter Vater. Nach einer langen Periode des Schmerzes trifft sie auf den Künstler Claudio Ghiribizzo und ihre große Liebe erwacht! Wie jedoch der Titel bereits vorwegnimmt, sie bleibt unerwidert beziehungsweise beruht auf einem Missverständnis, denn Claudio sieht in ihr zwar das perfekte Modell für das Meisterwerk, das ihm im Geiste vorschwebt, aber verkennt ihre Gefühle.
Nur einmal gelingt der Autorin in dieser Liebesgeschichte ein Moment von wunderbarer Intensität: Selvaggia steht nackt, nur in einen Schal gewickelt, hinter dem Maler an der Leinwand und sehnt sich danach, dass er sie begehrt. Doch es geschieht nicht. Im Scheitern zieht sie sich immer mehr in sich zurück und man wünschte sich als Leserin, dass sie mehr unternehmen würde: weder kämpft sie um ihre Liebe, noch gegen wehrt sie sich gegen die zunehmend begehrlichen Avancen von Tribolo.
Fazit: "Ein opulenter Roman, der das freizügige Leben der glorreichen Epoche der Medici beschreibt und das eindruckvolle Panorama der Stadt Florenz", so verheißt der Klappentext. Im großen und ganzen schwelgt der Roman jedoch in nicht immer schlüssigen Schilderungen von Lokalkolorit, während die Hauptfigur sich zunehmend aus der Handlung verliert. Wobei sich vor allem in der ersten Hälfte des Buches einige Szenen finden, die durch viel Einfühlsamkeit brillieren. Daher drei Sterne.