Auf der ganzen Welt leiden die Menschen bereits unter den Auswirkungen der Klimaveränderungen. Nachdem schwere Tornados den Großteil Portugals zerstört haben, wird EU-weit der sogenannte Energiepass eingeführt, der den persönlichen CO2-Verbrauch durch ein Punktesystem streng regulieren soll. Dieser hat massive Auswirkungen auf das Leben jedes einzelnen. Aber das ist momentan gar nicht das Wichtigste, das der fast 60-jährigen Martha durch den Kopf schwirrt, denn ihr Familienleben gerät völlig aus den Fugen, während sich ein unheilbringender Orkan ihrer Heimatstadt nähert.
In diesem Klimaroman konfrontiert uns Gabriele Kiefer mit einer möglichen, sehr nahen Zukunft, in der die Menschheit weltweit mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert ist. Wirbelstürme, Überschwemmungen und aus dem Rhythmus gekommene Jahreszeiten mit all ihren Folgen verbreiten auch unter der Bevölkerung Deutschlands Angst und Schrecken. Die Einführung des Energiepasses sorgt für gespaltene Meinungen in der Gesellschaft. Die einen freuen sich, dass die Politik sich endlich zu einem derart radikalen Schritt entschließen konnte, um einer weiteren Erderwärmung entgegenzuwirken und eine Energiewende zu erzwingen, die anderen sehen es als dramatische Beschneidung ihrer Freiheitsrechte, denn sie sind dazu gezwungen, ihr Privatleben nach ganz neuen Maßstäben auszurichten, ob sie wollen oder nicht.
Unsere Hauptperson Martha ist Ende 50, und seit 20 Jahren mit Eduard verheiratet, der sich jedoch seit seinem Ruhestand sehr zum Negativen verändert hat und ein richtiger Griesgram geworden ist. Sie war bis vor kurzem Restauratorin in allen erdenklichen Ländern und ihre Leidenschaft gilt den Farben und Formen dieser Welt. Nachdem sie bereits gedacht hat, sie hätte sich endgültig vom Berufsleben zurückgezogen, ist sie nun doch wieder auf der Suche nach einer Aufgabe, in die sie ihre überschäumende Lebensenergie kanalisieren kann und freut sich, als sich überraschend auch beziehungstechnisch etwas verändert. Sie wird für eine Frau ihres Alters als besonders attraktiv und charismatisch beschrieben und kann ihrer Schwiegertochter Chantal ohne weiteres Konkurrenz machen. Auch in vielen anderen Lebensbereichen zeigt Martha Talente, die sie, von einem tragischen Schicksalsschlag angespornt, dazu benutzt, sich für den Kampf gegen den Klimawandel stark zu machen.
Martha entpuppt sich als wandlungsfähiger Mensch, und auch in ihrem Alter ist sie noch bereit, sich der rasant verändernden Situation anzupassen und das Beste daraus zu machen.
Die ganze Geschichte wird getragen von starken Frauen jeder Generation, Martha als Großmutter, Chantal als Mutter und Marie und Sarah in der Generation der Kinder bzw. Jugendlichen. Wir erhalten tiefreichenden Einblick in ihr Leben und ihre Beweggründe. Die Männer der Familie sind ebenfalls sehr individuell gezeichnet, tragen jedoch nicht annähernd soviel zur Weiterentwicklung der Handlung bei und werden auch nicht so eingehend beleuchtet, es ist also eher ein Buch, das sich an den Frauen orientiert.
Die turbulente Zeit, in der dieser Roman spielt, sorgt für Dramen in allen Familien, für radikale Veränderungen und vom Schicksal gezeichnete Menschen. Dennoch erleben wir vor allem die Hauptcharaktere mutig und stark. Sie brechen zwar unter großem Druck auch einmal zusammen, richten sich aber doch immer wieder auf, um mit einer positiven Sicht auf die Dinge weitermachen. Vom Gefühl her ist das Buch also trotz der verworrenen Lage optimistisch und weltoffen.
Die Autorin bringt in die Geschichte ihr umfangreiches Wissen über erneuerbare Energien ein, und während unsere Hauptfiguren lernen, sich auf die neuen Zeiten einzustellen, lernen wir Leser ganz nebenbei eine Menge technischer Fakten und Wissenswertes über Solar- und Windenergie. Auch der Schreibstil ist sehr passend, abwechslungsreich und hat mir gefallen, und doch ruft dieses Buch zwiespältige Gefühle in mir hervor.
Einerseits fand ich es inspirierend, auf derart starke und kluge Frauen in der Geschichte zu treffen, die wissen, was zu tun ist und auch mutig genug sind, sich dem nicht zu verschließen. Es war auch interessant, viel über alternative Energien zu erfahren und zu sehen, wie es möglich wird, dass diese in großem Stil die althergebrachten Arten der Energieerzeugung tatsächlich ersetzen.
Andererseits hat mich auch einiges gestört. Bei Martha sind Sex und immer neue Partner, ein ständiges Thema und nehmen einen für mein Gefühl übertrieben hohen Stellenwert in ihrem Alltag ein. Dabei habe ich den Eindruck bekommen, dass ihre Beziehungen eher oberflächlich sind und es ihr meist nur um die sexuellen Aspekte geht. Das hätte die Geschichte meiner Meinung nach gar nicht gebraucht, um spannend zu sein und für mich war das auch ein wenig unrealistisch und im Ansatz hat es sich auch männerverachtend angefühlt.
Der andere Punkt ist, dass ich es etwas beunruhigend finde, wie positiv in dieser Geschichte von der Beschneidung der Freiheitsrechte gesprochen wird. Der Energiepass, der den Leuten bei vielen Dingen des täglichen Lebens gar keine Wahl mehr lässt, wird als ultimative Lösung gepriesen, um den Problemen der Wetterveränderungen entgegenzutreten. Stimmen dagegen werden pauschal als dickköpfige, starrsinnige Menschen angeprangert, die nicht mit der Zeit gehen wollen und sich Veränderungen entgegenstellen. Martha und ihre Familie leben in einem System, in dem eine Obrigkeit den Handlungsspielraum der Individuen nach ihrem Ermessen sukzessive immer weiter einschränkt, und alle finden das prima. Ich kann mich der Meinung nicht anschließen.
Im Prinzip finde ich es toll, dass sich dieses Buch so intensiv mit dem Klima und dessen Auswirkungen auf uns auseinandersetzt, und die Geschichte ist wirklich schön geschrieben, aber mit den konkreten Inhalten kann ich mich in diesem Fall nicht anfreunden. Nichts desto trotz hat mich diese Lektüre dazu angeregt, mich wieder intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen, sie sollte meiner Meinung nach aber unbedingt mit einem kritischen Blick gelesen werden.