Ich liebe Gabriele Wohmanns Kurzgeschichten.
Um ein ganzes Buch mit Erzählungen über die Krankheit und das Sterben ihrer Schwester zu lesen, muss man aber innerlich bereit sein, das geht nicht einfach so.
Über einen Zeitraum von 5 Jahren arbeitet Wohmann an diesem Buch. Sie stellt jeweils Kalendernotizen den Erzählungen voran, wodurch der Leser gut orientiert wird.
Im ersten Teil klingen die Geschichten noch, wie man sie von ihr kennt.
Klassische Kurzgeschichten, die weitgehend mit der Krankheit zu tun haben, in denen ihre Schwester und sie selbst oft fiktionalisiert vorkommen.
Kurzgeschichten, die sehr unterschiedlich sind, und die behutsam und schroff zugleich wirken.
Wohmann ist eben eine Meisterin, ob sie viele Worte benutzt oder wenige.
Mit dem zweiten Teil hatte ich dann große Schwierigkeiten.
Der Schmerz muss immens sein; er schimmert durch jede Zeile. Die Erzählungen werden fahrig, ich kann Zusammenhänge nicht finden. Das Schreiben über die sterbende Schwester verschwimmt mit dem Schreiben an sie, Wohmann wechselt Perspektiven, Zeiträume.
In der letzten Erzählung wird endgültig deutlich, dass der Verlust der Schwester unerträglich ist. Sie beschreibt die Beerdigung und entwirft ein sehr seltsames Szenario, denn über diese Erfahrung möchte sie sich austauschen, aber eigentlich nur mit ihrer Schwester – also tut sie das, indem sie sie beide in Romanfiguren aus ihrer Vergangenheit verwandelt und das Furchtbare besprechen lässt.
Auch hier wechselt sie das Schreiben an ihre Schwester und über ihre Schwester, wechselt sie vom Ist in das Wäre, scheint sie die eingebildeten Gespräche wie Rettungsanker zu nutzen, um Haltung zu bewahren.
Durch diese Erzählung habe ich mich zunächst etwas gequält, doch zum Schluss habe ich verstanden:
Einen Abschied von der Schwester kann man nicht üben, und ihn zu verarbeiten, genauso wenig.
Das zeigt dieses Buch. Am Ende ist die Autorin so nah am Geschehenen, dass es nicht mehr ein Geschehen im Buch ist. Sie steckt ohne Abstand darinnen.
Das wird nicht jeder Leser ertragen können.
Mich hat das Buch trotzdem sehr beeindruckt.