Rezension zu "Innenansichten dissoziierter Welten extremer Gewalt." von Gaby Breitenbach
Mit großer Spannung habe ich die Veröffentlichung dieses Buches erwartet. Wie im Vorwort beschrieben, gibt es leider noch viel zu wenig wirklich gute Literatur zum Thema rituelle Gewalt.
Frau Breitenbach hat sich viel Mühe gemacht mit diesem Buch und damit mutig ein Thema auf den Tisch gelegt, dass von vielen lieber verschwiegen wird.
Dem Buch vorweg gestellt ist eine Kurzübersicht über die einzelnen Kapitel. Dies ermöglicht es allen eine schnelle Orientierung über das Gesamtwerk zu bekommen. Für selbst Betroffene kann es zudem hilfreich sein, zu prüfen in welche Themen sie mit einsteigen und was sie lieber überspringen.
Das erste Kapitel beschäftigt sich, ausgehend aus einer Perspektive persönlichen Erlebens, mit den unterschiedlichen Dissoziationsstrukturen. Es macht deutlich, dass Dissoziation uns alle betreffen kann und eine grundlegende Möglichkeit des Menschseins darstellt. Anhand des BASK Modells von Bennet Braun erläutert Frau Breitenbach (auch für Nicht-Fachleute verständlich) die verschiedenen Schweregrad der Dissoziation mit den dazugehörigen Auswirkungen.
Im zweiten Kapitel wird mit Fallbeispielen verdeutlich wie sich die unterschiedlichen Dissoziationsformen in der Praxis zeigen können, wie sie entstanden sind und welche Auswirkungen das auf den Alltag der Betroffenen hat.
Im dritten Kapitel werden, wiederum anhand der Fallbeispiele, die praktischen Folgerungen für die Psychotherapie aufgezeigt
Im vierten Kapitel erklärt die Autorin aus ihrer therapeutischer Perspektive wie die Strukturierung der Innenwelt mit der Strukturierung der Aussenwelt in Zusammenhang steht. Es zeigt klar die Notwendigkeit des Wissens über diese inneren Systeme der einzelnen Klienten, über die Struktur ihres Denkens und Handelns für Therapeuten auf.
Das fünfte Kapitel nimmt uns mit in die Innenansichten einer sadistischen Welt. Beispiele für all die Unmenschlichkeiten werden jedoch durchweg sachlich und klar dargestellt und können somit weder als Anleitungen für sadistische Gewalt herhalten, noch stellen sie eine über große Triggergefahr für Betroffene dar. Und trotzdem erschließt sich auch einem 'Nichteingeweihten' das große Maß an Horror und Gewalt. Es ist eine Welt die uns sonst meist verschlossen bleibt und die trotzdem mitten unter uns in unserer Gesellschaft existiert und ihr perfides Spiel treibt.
Das sechsten Kapitel lädt mit Auszügen aus der Geschichte "Traumtänzer" dazu ein, sich auf das Erleben und die Sichtweise der Betroffenen einzulassen.
Das siebte Kapitel widmet sich dann den Angehörigen. In gut verständlicher Kurzform wird für diese erklärt wie strukturellen Dissoziation funktioniert. Hilfreiche Tipps für das ganz praktische Miteinander runden den Teil ab.
Im achten Kapitel wird das BASK Modell nochmals aufgegriffen und anhand dieses Arbeitsmodells aufgezeigt, wie mit Betroffene hilfreichen Bindungen aufgebaut werden können. Es werden Kriterien genannt, die eine Orientierung ermöglichen können, um individuelle Lösungen zu entwickeln.
Im neunten Kapitel dreht sich dann alles um die Themen Wahrheit, Lüge, Täuschung und Erfindung. Es zeigt auf wie Widersprüchlichkeiten entstehen, ein Thema das sehr zentral auch in jeder Therapie auftaucht. Es rechnet ab mit der False-Memory-Bewegung und zeigt wie man histrionische und narzistische Klienten abgrenzen kann von hochdissoziativen.
Das zehnte Kapitel grenzt Dissoziation mit Hilfe von neurobiologischen und erkenntnistheoretischen Inhalten klar von Imagination und Phantasie ab
Kapitel elf widmet sich dem zentralen Thema "Macht und Ohnmacht". Es stellt unter diesem Gesichtspunkt die unterschiedlichen Welten einander gegenüber und zeigt die Auswirkungen. Es zeigt auf, wie viele Veränderungen an unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ebenen notwendig wären um dieser sadistischen Welt Einhalt zu gebieten.
Das zwölfte Kapitel zeigt die große Rolle der "Sprache". Frau Breitenbach schreibt dazu: "Sprache definiert Wirklichkeit, beschreibt Unterscheidungen, bietet Orientierung oder kann verwirren. Sprache kann authentische Sachverhalte beschreiben - und sie kann Absichten verbergen. Sprache kann verboten sein und verloren gehen. Sie kann Mitteilung und Kontakt ermöglichen, sie kann Barrieren definieren innen und außen."
Kapitel dreizehn fasst die in den vorangegangen Kapiteln erläuterten Unterscheidungen nochmals kurz und bündig zusammen
Das vierzehnte Kapitel ist ein dennoch optimitische Fazit aus der Sicht der Therapeutin und Autorin
Am meisten hat mich zwischen all den vielen Zeilen, die Wertschätzung der Autorin für die Betroffenen, wie auch ihr Mut und ihre Freude an der Arbeit mit ihnen berührt. Ich wünsche mir noch viele solcher Therapeuten für unser Land. Und ich wünsche mir, dass es mich auch in meiner Arbeit noch mehr ansteckt.
Mit diesem Buch erhebt Frau Breitenbach die Stimme für all die, die dazu selbst nicht in der Lage sind. Es ist ein mutiges und mutmachendes Buch! Ein sehr persönlich geschriebenes Buch, dem ich eine weite Verbreitung wünsche!