Bereits 2016 erschien diese Buchvorlage, in der Conley von seiner Zeit in einem »Ex-Gay«-Programm mit dem Namen »Love in Action« berichtet, also einer Einrichtung, in der man von Homo- oder Bisexualität zu Heterosexualität »umerzogen« werden soll. Ein stetiges Herunterbeten von sündigen Gedanken vor anderen Gruppenmitgliedern und Verbote von so mondänen Beschäftigungen, wie Lesen (wenn es nicht gerade die Bibel ist), standen hier an der Tagesordnung. Zusammenfassen lässt sich sein Erleben innerhalb des »Seminars« als eine einzige Selbstkasteiung. Für Conley hatte das Tradition, fügte es sich schließlich in seine eigene Geschichte als Heranwachsender ein, die ohnehin von Scham, Verleugnung und Selbstbestrafung geprägt war. Als Kind eines angehenden Baptisten-Prediger stand für ihn mit dem Zeitpunkt, in der er seine Homosexualität als Teil von sich begriff, fest, dass er gegen sie (und damit gegen sich selbst) würde angehen müssen.
Gerade dieser Teil seiner Geschichte nimmt in Boy Erased: A Memoir einen sehr breiten Platz ein; der kultivierte Selbsthass, der auf der anerzogenen Vorstellung eines strafenden, statt eines liebenden Gottes basiert und auf einer Erziehung, die nicht sagt, dass man gut ist, wie man ist, sondern die mahnt hart an sich zu arbeiten um Gott zu gefallen.
Für mein Empfinden war es gerade deswegen umso erstaunlicher, dass Boy Erased: A Memoir verfilmt worden ist, geht es wirklich unglaublich viel um das Innenleben des Autors Garrard Conley. Er verbringt letztlich auch »nur« zwei Wochen bei »Love in Action«. Das ist nicht relativierend gemeint, man bekommt schon einen ziemlich klaren Eindruck davon, wie schwerwiegend bereits diese Zeit Selbstwertgefühl und Selbstverständnis nachhaltig beeinträchtigt haben. Da ich das Buch jedoch vor genau diesem Hintergrund las (dass es verfilmt worden ist), fragte ich mich, wie gut es sich überhaupt filmisch adaptieren ließe, da viele Vorgänge, die bei »Love in Action« stattfinden auch nicht in dem Sinne sensationell erscheinen. Erst durch die Perspektive der detaillierten Monologe und Gedankengänge offenbart sich der vollständige Schaden, den Conley genommen hat.
Einen Hinweis darauf, wer als potentielle Adressat*innen infrage kommt, hat Conley selbst gegeben. Zu seinem Buch sagte er in einem Interview mit queer.de, er habe es bewusst nicht in sarkastischem Ton eines homosexuellen Mannes schreiben wollen, der über Conversion Therapy ablästert. Er sieht eine Diskrepanz zwischen einer »akademischen linken Blase« und Menschen des evangelikalen Amerikas. Um das Eingangs eingebrachte Zitat aus Boy Erased: A Memoir noch einmal aufzugreifen, so repräsentieren Buch und Film nicht nur schwule Heranwachsende, sie rücken auch dieses evangelikale Amerika in den Mittelpunkt, dass vielleicht für das »liberale Hollywood« nicht so besonders interessant ist und trotzdem seine damalige Lebensrealität (und das vieler Amerikaner*innen) darstellt.
Alles in allem war das Buch für mein Empfinden trotzdem in dem Sinne stärker, da es dem »Protagonisten« die reichere, komplexere Storyline gibt. Denn gerade die Einsicht in das Innenleben Conleys macht Boy Erased: A Memoir so stark.