Rezension zu "Eine Violine für Adrien" von Gary Victor
Port-au-Prince, Haiti. Es ist der Beginn der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Duvalier, genannt „Papa Doc“ hat das Land fest im Griff, seine Militärdiktatur beutelt das Land, Spione und Denunzianten finden sich an jeder Straßenecke.
Adrien ist 14 Jahre jung, wächst in relativ behüteten Verhältnissen auf, und ist gut in der Schule. Er wohnt bei seiner Mutter, der Vater kommt hin und wieder vorbei, pflegt noch andere Liebschaften. Das Geld ist knapp, aber es reicht auch für den ein oder anderen Theater- oder Konzertbesuch. Und so nimmt ihn seine Mutter zu einem Violinkonzert von Monsieur Benjamin mit. Adrien ist so begeistert, dass er selbst Violine spielen lernen möchte. Er bekommt die Gelegenheit, wird in seinem ersten Jahr der beste Schüler von M. Benjamin, der nebenbei noch gute Kontakte zu der Regierung hat. Doch ab dem zweiten Jahr darf Adrien nur mehr am Unterricht teilnehmen, wenn er selbst ein Instrument besitzt. Adriens großer Traum, Violinenvirtuose zu werden, zerbröselt vor seinen Augen ins Nichts, denn eine Geige ist in Haiti nicht erhältlich, kann nur importiert werden, und kostet ein Vermögen. Seine Mutter beteuert ihm, zu sparen, und Adrien nimmt neben der Schule selbst einen Job bei Herrn Nino an. Er versucht mit allen möglichen Mitteln, an Geld zu kommen, aber es wird kaum reichen. Bis eines Tages der Vater seiner Freundin Nadine, ein hochgestellter Offizier der Tonton Macoutes ihm einen Vorschlag macht … mehr wird nicht verraten, es lohnt sich sehr, die Geschichte selbst zu lesen.
Der Autor spielt in diesem Roman mit Hoffnung und Schuld vor dem Hintergrund der Militärdiktatur und der Machtübergabe nach dem Tod Duvaliers an dessen Sohn „Baby Doc“ und der omnipräsenten Geheimpolizei. Das Land ist im Chaos, niemandem kann getraut werden, und gut geglaubte Strukturen und Ehen spiegeln wider, wie es in Haiti aussieht.
Die Sprache ist flüssig, schnell zu lesen. Der Inhalt bewegend, manche irrationale vom Voodoo geprägte Szenen fügen sich ins Ganze harmonisch ein und verstärken den Zwiespalt, der dem jungen Adrien innewohnt.
Sein inniger und wahrhafter Wunsch, eine Geige zu bekommen kann hier sicherlich stellvertretend für ein freies Haiti gesehen werden. Gary Victor zeichnet mit diesem berührenden Coming-of-age Roman, dem eine tiefe Tragik nicht abgestritten werden kann, eine gutes Abbild der Gesellschaft des Landes. Die Menschen lebten in einem Gefängnis, degradiert zu Staatsmarionetten, deren Wünsche, Sorgen und humane Ziele in der Gesellschaft nichts verloren hatten.
Sehr gerne gebe ich für diesen fein gezeichneten Roman eine große Leseempfehlung.