…steht in Geir Gulliksens Geschichte einer Ehe klar im Vordergrund. Denn es ist der Mann, der erzählt, wie er und seine Frau sich kennengelernt haben, wie sie die Jahre miteinander verbracht haben und wie sie sich schließlich nach zwei Kindern, einem Haus und so vielen gemeinsamen Erinnerungen trennen. Der Grund für die Trennung ist dabei so simpel wie altbekannt: ein Dritter erscheint auf der Bildfläche, die Frau verliebt sich, erkennt ein Leben, das sie auch noch haben könnte und sieht daher keinen Grund mehr darin, für die gemeinsame Liebe zu kämpfen. Es ist keine schöne Geschichte, aber, wie gesagt, eine altbekannte und damit auch für alle Leser:innen eine vertraute Geschichte – ob man sie nun schon einmal selber erlebt hat oder nicht.
Meine Hoffnung war – geweckt durch den Titel, den Tonfall des Klappentextes und die Kürze des Buches, die eine komprimierte Erzählweise erfordert – in Geschichte einer Ehe eine Analyse über den Zerfall einer Liebesbeziehung zu finden, einen Zerfall, den niemand will und der doch unausweichlich ist. Und tatsächlich beinhaltet der nur knapp 220 Seiten lange Roman einen scharfen Blick auf den Alltag eines lang verheirateten Paares ebenso wie das vorsichtige Sezieren der wandelnden Gefühle der Ehefrau. Dabei ist die Sprache wirklich immer on point, lakonisch, fokussiert und beinhaltet doch so viel mehr. Man könnte in diesem Buch beinahe jeden Satz zitieren, fast jeder schafft es, die Beziehungsdynamik des beschriebenen Paares perfekt einzufangen und dabei die Leser:innen mit etwas zu konfrontieren, dass sie dunkel wiedererkennen:
Sie war dabei, sich weiterzubewegen, hinaus aus der Welt, die ich und sie teilten, hinein in etwas anderes. Aber sie wusste noch nicht, dass ich sie nicht mehr erreichen konnte. (S. 30)
Sie wollte von ihm erzählen, um sich selbst reden zu hören, um zu hören, was sie selbst über ihn sagen würde. Sie verstand nicht, wer er war, eher sie mit mir über ihn redete, und sie wollte nicht, dass ich etwas erwiderte. (S. 108)
Sie erinnert sich an einen Abend am Ende dessen, was unser gemeinsames Leben gewesen war, kurz bevor wir einander nicht mehr kannten. (S. 175)
Leider wird der analytische Ton des Romans in seinem Verlauf immer mehr vom – man kann es nicht anders sagen – Gejammer des männlichen Erzählers durchdrungen, sodass schließlich der Eindruck entsteht, dass der 200 Seiten lange Bericht nicht dazu dient, zu klären, zu sortieren, zu verstehen, sondern sich im Selbstmitleid zu suhlen und die Leserschaft auf seine Seite zu ziehen. Auch das ständige Referieren über die sexuelle Komponente der Affäre und die Rückkopplung zur eigenen sexuellen Beziehung mit seiner Frau nehmen einen immer größeren Raum ein und reduzieren die Beziehungsgeflechte im Roman stark auf die körperlichen Aspekte, ohne die Frage zu stellen, was Menschen neben Sex und Anziehung in einer Beziehung mit anderen suchen.
Mein persönlich größtes Problem mit Geschichte einer Ehe war jedoch tatsächlich die rein männliche Erzählinstanz, die dezidiert versucht – in meinen Augen eher anmaßt – die Gefühlswelt der Frau zu durchdringen. Selten geht es darum, wie der Erzähler sich selber fühlt, immer jedoch, wie er glaubt, was seine Frau gefühlt hat und warum sie so agiert und entschieden hat, wie sie es letztlich tat. Die Frau selber kommt dabei kein einziges Mal zu Wort, die Geschichte über die gemeinsame Zeit, über ihre Rolle in der Beziehung und die tatsächliche Trennung erfolgt ausschließlich aus seinem Blickwinkel; er hat die Deutungshoheit über die gemeinsame Geschichte. Am Ende habe ich mich gefragt: Ist das wirklich so passiert? Oder würde die Frau das gemeinsame Leben ganz anders erzählen?
Man kann Freunde an diesem literarischen Spiel haben – und normalerweise habe ich das auch. In diesem Fall – in Kombination mit den ständigen Erzählungen von sexuellen Begegnungen und dem Ausschlachten des eigenen Leides, ohne dabei die Leser:innen doch wirklich an der eigenen Gefühlswelt teilnehmen zu lassen – stieß es mir jedoch sauer auf. Für mich ist Geschichte einer Ehe der Bericht eines alten weißen Mannes, der versucht, die Macht über das einstige Wir zu erlangen und die Frau dabei mundtot macht. Das hat es in der Geschichte der Literatur schon zu häufig gegeben, als dass ich als Frau im 21. Jahrhundert ein weiteres Zeugnis des male gaze benötige. 2 Sterne.