Cover des Buches Ohne Leib, mit Seele (ISBN: 9783711000347)
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Rezension zu Ohne Leib, mit Seele von Georg Fraberger

"Wie kann ich werden, wer ich sein will?"

von HeikeG vor 9 Jahren

Rezension

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HeikeGvor 9 Jahren
Cogito ergo sum - "Ich denke, also bin ich." Dieser erste Grundsatz des Begründers der neuzeitlichen Philosophie - René Descartes - wird oft zitiert, um auf etwas bei aller Skepsis zweifellos Richtiges hinzuweisen: die eigene Existenz denkender Menschen. Menschen, die seit jeher nach dem Kern ihres Wesens suchen. Die sich fragen, was ihre Essenz ausmacht? Ist es tatsächlich die Fähigkeit zu denken und Schlussfolgerungen zu ziehen? Seit Tausenden von Jahren versuchen nicht nur Philosophen zu ergründen, warum wir so ticken wie wir ticken, wie wir handeln sollten und was unser Glück befördert. Stellt man die Aussage einmal um und fragt sich, ob ich auch bin, was ich denke, muss dies allerdings ganz klar mit NEIN beantwortet werden. Denn nicht nur der Verstand und der Körper machen einen Menschen in seiner Gesamtheit aus, sondern etwas tief in uns. Etwas, das bis heute nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, aber dennoch da ist. Erst wenn man die Bedürfnisse dieser geheimnisvollen, aber wirkungsmächtigen Essenz, "dieses Selbst, dieses Ich, diesen Kern des Menschen, das, was ihn ausmacht und dem Leben erst Sinn verleiht", berücksichtigt, "kann man Ideen, Aufgaben, Projekte und Ziele verwirklichen, die jenseits körperlicher, materieller und verstandesgemäßer Grenzen liegen." Aber gerade diese sind es, die dem Leben von uns Konsumenten und Kriegern, Selbstdarstellern und Herdentieren, Glücksrittern und Freiheitskämpfern einen Sinn verleihen. Und zwar auch dann, "wenn Körper und Verstand dem natürlichen Entwicklungs- beziehungsweise Alterungsprozess folgen."

Der österreichische Psychologe, der ohne Arme und Beine geboren wurde, möchte mit seinem Buch "eine grundlegende Diskussion über zahlreiche Anforderungen, die an den modernen Menschen gestellt werden", neu ermöglichen. Aus autobiografischer Perspektive, durch Erfahrungen aus seinem klinischen Alltag und auf Basis psychoanalytischer Strukturen von Sigmund Freud zeigt er auf, dass es zukünftig unabdingbar sein sollte, "die Seele neben dem Unbewussten und Bewussten in einem [wissenschaftlichen] Modell" zu verankern. Schrittweise entwickelt er in neun Kapiteln die notwendige Begründung. Fraberger beginnt damit, aufzuzeigen, dass es so etwas wie die Seele gibt, wie man seelische Bedürfnisse erkennt und im Alltag berücksichtigen kann und soll. Er erläutert deren Orientierung an Tugenden und Werten wie zum Beispiel der Liebe - der er einen eigenen, großen Abschnitt einräumt - und den Zusammenhang zwischen Schönheit, Krankheit, Geld und Glück. Einen großen Raum gibt er seinen Ausführungen zu gesellschaftlichen Werten, Normen und Regeln und deren Auswirkungen. Denn vielfach orientieren wir uns unbewusst und ohne sie wirklich zu hinterfragen an ihnen. Auch auf die Wechselwirkungen zwischen Gedanken, Gefühlen und Körper geht er umfassend ein.

Als Quintessenz seines gut verständlichen, mal philosophischen, dann wieder psychologischen Einblicks in unseren "Wächter" stellt sich der Wiener immer deutlicher die Frage, warum man zwar "von Intelligenz, Leistung, lernen, Konzentration, Verhalten als auch von Begriffen wie Persönlichkeit, Bewusstsein, Ich oder Selbst" liest, aber dennoch außerhalb von theologischen Diskursen nie von einem Begriff wie Seele? "Kann es denn ohne die Berücksichtigung des Sinns im Leben, ohne das Warum, Wozu, Wofür überhaupt zu einer optimalen Entwicklung des Verstandes und der Persönlichkeit kommen?", fragt sich nicht nur Georg Fraberger.

Fazit: "Ohne Leib, mit Seele" gestaltet sich als tiefsinniger, zuweilen philosophischer Diskurs über gute Lebensführung und das Erreichen eines erfüllten Daseins. Ein Buch, das eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Theorien und praktischen Lebenserfahrungen des Autors oder seiner Patienten schlägt. "Wir müssen wieder lernen, das, worauf es ankommt, zu erkennen und zu entwickeln: Das seelische Bedürfnis, als der- oder diejenige erkannt und geschätzt zu werden, der oder die man ist - unabhängig davon, ob der Körper groß, klein, stark, schwach, jung oder alt ist. (...) Nicht aber mit dem Ziel, aufgrund dessen gesund oder glücklich zu werden, sondern um ein wertvolles und grundsätzlich sinnvolles Leben führen zu können." (Georg Fraberger)
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