Cover des Buches Lassen Sie es mich so sagen ... (ISBN: 9783896673480)
Rezension zu Lassen Sie es mich so sagen ... von Georg Schramm

Rezension zu "Lassen Sie es mich so sagen ..." von Georg Schramm

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 13 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 13 Jahren
"Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht" Papst Gregor - zitiert von Dombroski Seit September ist Georg Schramm mit seinem neuen Programm auf den Bühnen unterwegs. Und seine altbekannten Figuren Dombrowski, Sanftleben und August wirken nach wie vor wie ein Überraschungsei - Spannung, Spiel und Schokolade. Was Schramm da abliefert, geht erneut weit über Kabarett hinaus. Nach wie vor schneidet er so elegant, scharf und gekonnt ins seelische Fleisch der Zuhörer, dass dieser oft gar nicht merken, wie sehr es blutet. Ganz ähnlich einem Schnitt mit dem Skalpell, dass die Wundränder so glatt entstehen lässt, dass erst deutlich wird wie tief die Wunde ist, wenn man an ihr zieht. Zölibat, Kriegeinsatz der Bundeswehr in Afganistan, Altersdemenz, Zwangsernährung per Magensonde, Übersicht modernster Waffentechniken zu Bekämpfung Aufständischer und Demonstranten, tiefe Einblicke in die Motive der Habgier und Gedanken um Vorbereitung und Durchführung des Freitodes sind Themen, die dem Zuhörer um die Ohren fliegen und in ihrer Wirkung einigen Zuschauern ob ihrer fast brutalen Logik nur deshalb eträglich bleiben könnten, weil Schramm es versteht, immer wieder Pointen einzubauen, die wie kleine Oasen Atem verschaffen. Erneut ist Schramms Programm in gewissem Sinne zeitlos. Tagesaktuelle Politik kommt darin zwar vor und es fallen auch die üblichen Namen, wie Merkel, Brüderle, Westerwelle, jedoch werden sie von Dombrowski mit der Aussage: "Sind alle nur Furunkel am Arsch des Bösen" abgespeist und schlafen gelegt. Schramms Themen sind andere, größere, ältere, wesentlichere. Er stellt die Fragen nach dem Wesen des Menschen, seiner Motivlage, seinen Abgründen, seiner selbst gewählten und mit Grimm verteidigten Unmündigkeit und dabei streift und tigert er durch die Jahrhunderte. Er jongliert das Publikum durch das Programm. Sein Spiel ist von hoher schauspielerischer Präsenz und die 3 klassischen Rollen des August, Sanftleben und Dombrowski sind mit gewohnt großer Souveränität gegeben und ausgearbeitet. Sie sind ganz die Alten, Bekannten und doch haben sie sich verändert. Wenn der Berufssoldat Sanftleben über die Situation der deutschen Soldaten in Afganistan referiert, treten für ihn ungewohnte Töne hervor. Da wird Sinnlosigkeit deutlich, Schrecken und Verzweiflung. Zu Spitze getrieben an dem Punkt, an dem Sanftleben unseren Verteidigungsminister zitiert, der auf einer Trauerfeier gefallener Soldaten von der Frage seiner 7 jährigen Tochter berichtet, die von ihrem Vater wissen wollte, ob sie auf die toten Soldaten stolz sein könne, was dieser bejahte. Sanftlebens Kommentar: "Sei nicht stolz, Kind, sei doch lieber traurig" Auch der nörgelnde Rentner Dombrowski verändert sich. Noch ganz der Alte zwar, der nun einen Verein alter Menschen als Vorsitzender übernommen hat, dessen Mitglieder er Vorträge über ihre Rolle im Sytem und in der Gesellschaft hält und die er mit dem flammenden Schwert der Erkenntnis und der Aufklärung gewohnt gekonnt, unerbittlich und zwingend ihre Naivität austreibt, wie ein Exorzist den bösen Geist - jedoch zeigt sich auch ein anderer Dombrowski, den die Angst nicht nur treibt, sondern der auch von ihr spricht. Angst vor der Demenz. Angst vor dem Altersheim. Angst vor der Sinnlosigkeit seiner Herzensthemen. Schramm arbeitet durch Dombrowski diese Dinge in einer Intensität und Wucht aus, dass das intensive Zuhören und Verdeutlichen für den Zuschauer gar nicht ohne Wirkung bleiben kann, so er sich auch nur Reste von Verwundbarkeit bewahrt hat. Hier erleben wir den studierten und langjährigen Psychologen Georg Schramm, der schonungslos die Dinge anspricht, die dort liegen, wo wir so lange nicht hinschauen, so lange wir es nicht unbedingt müssen. Und wenn es ausgerechnet das Schlachtschiff aufklärerischer Gedanken im Kantschen Sinne, der tapfere Preusse Lothar Dombrowski ist, der inbrünstig Adorno mit der Aussage zitiert: "Die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils" Dann könnte es dem interessierten Zuschauer in Gedanken an die Person Dombrowski (so sie denn real exisitierte) ganz unwohl werden, denn dieses Zitat stammt aus einer Arbeit Adornos, die gerade Dombrowskis oberste Maxime - die Aufklärung - in einer gewissen Sinnlosigkeit zurücklässt. Dombrowski beginnt diese Sinnlosigkeit zu ahnen und scheint an der Schwelle zu ihrer Akzeptanz und in Verbindung mit der ungheuer eindringlichen Verdeutlichung seiner tiefen Angst vor der Demenz, der er in einem langen Monolog Ausdruck verleiht, berichtet er dem Zuhörer besorgniserregend detailreich von den Vorbereitungen zur Durchführung eines Suizids, bevor er sich abwendet und die Bühne das letzte Mal verlässt. Ähnlich wie in dem Vorgänger Programm "Thomas Bernhard hätte geschossen", hätte Schramm an dieser Stelle den Abend mit einem tief beunruhigten Publikum Enden lassen können, aber er schickt noch einmal den im besten Sinne "naiven" Sozialdemokraten August auf die Bühne, der mit einigen lustigen Geschichten den Zuhörer ein Stück weit zurückholt, aus einer Welt, die real ist und deshalb nochmal gesteigert grauenhaft. Im Gegensatz zum Vorgängerprogramm scheint sich Schramm seinem Publikum gegenüber "versöhnlicher" zu zeigen. Meister Yodas Ende ist erneut ein regelrechtes Filetstück des Kabaretts und der Abend vergeht wie im Fluge. Hinsetzen, die Sinne öffnen und ab geht die wilde Fahrt. Tiefsinnige Einsichten, gekonntes Schauspiel und eine Achterbahnfahrt an Gefühlen. Spannung, Spiel und Schokolade. Und es ist so typisch Schramm, weil man nicht weiss, ob man lachen soll, oder den Blick senken, wenn er Dombrowski (vielleicht zum letzten Mal) abtreten lässt und ihn sinngemäß sagen lässt: "Ich muss mich wohl daran gewöhnen, dass sich in der modernen Zeit abendländische Philosophie in den Aussagen eines Doktor von Hirschhausen niederschlägt, wenn er uns wissen lässt: ´Hast Du eine Zitrone - Mach Limonade daraus´ "
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