Prolog: a1) Kap. 2: "Die kosmopolitische Perspektive des Smarten Amerikas deckt sich an manchen Stellen mit den libertären Ansichten des Freien Amerikas. Beide glauben an Kapitalismus und Meritokratie: die Überzeugung, dass Talent und Leistung über den Lohn entscheiden sollen. Im Narrativ des Smarten Amerikas bilden Meritokratie und Demokratie die beiden Grundpfeiler des amerikanischen Systems. Beide brauchen Kritik, um ihre Leistung verbessern zu können. An diesem Punkt unterscheidet sich das Smarte Amerika vom Freien Amerika. Libertäre glauben, dass allein der Markt über Werte entscheidet und jeder Versuch, hier lenkend einzugreifen, die Marktgesetze durcheinanderwirbelt und die Freiheit [Profit-Maximierung!] gefährdet. Die Meritokraten dagegen halten bestimmte regulierende Eingriffe für notwendig, damit jeder eine Chance auf den Aufstieg hat."
a2) S. 238 "Alexis de Tocquevilles Werk Über die Demokratie in Amerika (München 1976) hat mir tiefe Einsichten vermittelt und ist aus meiner Sicht das klügste Buch zum Thema"
a3) "Packer: Ihr werdet uns ja nicht retten (lacht). Wir haben diese lange Tradition zu glauben, es sei unsere Aufgabe, andere Länder zu retten, einschließlich Deutschland. Unsere Bilanz dabei ist durchwachsen. Wir sind nicht mehr das Leuchtfeuer der Welt. Wir sind für uns selbst die letzte Hoffnung, weil wir von der Idee der Selbstbestimmung abhängen. Wenn das nicht mehr funktioniert oder wir die Idee aufgeben, dann ist das weg, was das Land zusammenhält....
Packer: [Joe] Bidens Helden gehen zurück auf die Roosevelt- und Truman-Jahre. Seine Politik ist die des durchschnittlichen Amerikaners, der eine faire Chance haben will. Es ist eine ziemlich einfache und überhaupt nicht theoretische Politik." Rieke Havertz im Interview mit Packer, 2021: zeit.de :
a4) Zu "Eskalation" von Herman Kahn, lovelybooks
RAND-Abschreckungstheoretiker Herman Kahn "fordert den Leser auf, sich den Schrecken einer Welt, die durchaus zum Selbstmord fähig ist, emotionslos zu stellen und die Alternativen zu einem solchen Weg sorgfältig zu erwägen." https://book8.de/uber-eskalation-metaphern-und-szenarien
a5) „Das Undenkbare denken.“ Dieser Satz steht wie kein anderer für den US-amerikanischen Strategen und Politikberater Herman Kahn, der im Kalten Krieg mit den Mitarbeitern seines Think-Tanks verschiedene Szenarien eines Atomkriegs durchspielte und so der Politik wie auch der Gesellschaft die Folgen möglicher Kampfhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion vor Augen führte. Gedankenexperimente, Rollenspiele und Simulationen dienten ihm und seinen Mitarbeitern als Methoden, um die Folgen eines „begrenzten“ oder gar „wahnwitzige[n]“1 Atomkriegs zu erforschen. Die Politik der Abschreckung trieb Kahn im Gedankenspiel auf die Spitze, indem er das Konzept einer „Doomsday Machine“ 2 entwarf, welche im Falle einer Zündung von fünf sowjetischen Atombomben über amerikanischem Gebiet computergesteuert und automatisert den gesamten Planeten zerstören sollte." Tobias Nanz & Johannes Pause „Das Undenkbare filmen: Atomkrieg im Kino“, 2013; siehe auch: Jerome F. Shapiro Atomic Bomb Cinema: The Apocalyptic Imagination on Film
b1) „Geld reicht nicht aus, um den Durst und die Gier der Superreichen [& Supermächtigen] zu stillen. Viele von ihnen verwenden deshalb ihren großen Reichtum und den Einfluss, um noch mehr Macht zu erwerben. Macht in einer Größenordnung, von der die Tyrannen und Despoten früherer Zeitalter nicht einmal träumen konnten. Macht im Weltmaßstab! Macht über Völker [& Regierungen]! Ich bin überzeugt, dass ein solches Komplott ["Weltverschörung"] besteht, international in seinen Ausmaßen, seit Generationen geplant und unglaublich böse in seiner Zielsetzung.“ US-Kongressabgeordneter Lawrence P. McDonald, aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
b2) „Die wahre Bedrohung unserer Republik stellt die unsichtbare Regierung dar, die wie ein gigantischer Krake ihre schleimigen Arme über unsere Stadt, unseren Staat und unsere Nation ausbreitet. Ganz oben befindet sich eine kleine Gruppe von Finanzinstituten, die man im Allgemeinen als internationale Bankiers bezeichnet. Dieser kleine exklusive Zirkel machtvoller, internationaler Bankiers beherrscht tatsächlich unsere Regierung, um eigene egoistische Ziele zu erreichen.“ John F. Hylan (Rede während seiner Amtszeit als Bürgermeister von New York), aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
c) „Die supranationale Souveränität einer Elite aus Intellektuellen und internationalen Bankern ist sicher besser als die nationale Selbstbestimmung der letzten Jahrhunderte.“ David Rockefeller, aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
d) „Die herrschende Elite wird gezwungen, zu ihrem eigenen Schutz Privatarmeen zu unterhalten. Um ihre Herrschaft zu sichern werden diese Eliten frühzeitig den totalen Überwachungsstaat schaffen, eine weltweite Diktatur einführen. Die ergebenen Handlanger dieses Geldadels sind korrupte Politiker … Haben wir das so gewollt?“ Carl Friedrich von Weizsäcker, aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
e) „Der Drang der Rockefellers und ihrer Verbündeten ist es, eine Weltregierung zu kreieren, welche Kapitalismus und Kommunismus vereint – unter ihrer Kontrolle. Meine ich eine [Welt]Verschwörung? Ja, das tue ich. Ich bin überzeugt davon, dass so ein Plan [der Weltverschwörer] existiert – [die Eliten] planen es und ihre Absichten sind unglaublich bösartig.“ Larry P. McDonald, aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
f) „Wir werden eine Weltregierung haben, ob wir es wollen oder nicht. Die einzige Frage ist nur, ob die Weltregierung durch Eroberung oder durch die Zustimmung der Menschen erreicht werden wird.“ Paul Warburg, Architekt des Federal Reserve Systems (FED), aus „Wir töten die halbe Menschheit“ von Eileen DeRolf & Jan van Helsing (JvH)
1) Fazit
a) (Absichtlich?) Realitätsfremder, verdummender & irreführender Abgesang auf den "American Way of Life" mit ebensolchen Kategorisierungen von 4 (erstrebenswerten) (US-)"Amerikas":
freies, wahres, smartes, gerechtes!
b) Keine Register!
Kein Literaturverzeichnis!
Wenige kurze Anmerkungen als reine Literaturreferenz-Angaben!
c) Er ignoriert & verschweigt den extrem egomanen, menschenfeindlichen Wahn der "terroristischen USA" (Noam Chomsky)
bzw. der West- & USA-/GB-"Eliten" (Bilderberger, FED, "City of London"-Banken, WWF/WEF...)
n Richtung NWO, Totalitarismus, USA-Weltherrschafts-Politik, Genozid ([Corona-/Polio]Impfstoffe, Georgia-Guide-Stones)!
c2) Top: Ullrich Mies, Michael Lüders, Rainer Mausfeld, Jens Wernicke, Wolfgang Gehrcke, Thomas Röper, Jonas Tögel, Jürgen Wagner, Benjamnin Abelow...!
2) Hilfreiches
a) 27 S. Leseprobe on-line https://www.book2look.com/book/9783498002190 aus
https://www.rowohlt.de/buch/george-packer-die-letzte-beste-hoffnung-9783498002190
b) Rieke Havertz im Interview mit Packer, 2021: zeit.de : Zitat siehe unten
c) Inhalt: siehe bei Rezensionen Punkt 3)
d) Zitate aus dem Rezensionsbuch siehe unten
3) Rezensionen
a) https://www.perlentaucher.de/buch/george-packer/die-letzte-beste-hoffnung.html
Zitat siehe unten
b) Rieke Havertz im Interview mit Packer, 2021:
https://www.zeit.de/kultur/literatur/2021-07/george-packer-die-letzte-beste-hoffnung-usa-corona-pandemie
c) Nana Brink, 2021 https://www.deutschlandfunkkultur.de/george-packer-die-letzte-beste-hoffnung-die-usa-sind-nicht-100.html
Die USA sind nicht gespalten – sondern gevierteilt
Politisch und literarisch meisterhaft beschreibt George Packer den Niedergang der USA. Das Land sei nicht nur gespalten, sondern in vier Amerikas zersplittert. Der Ausweg, den Packer vorschlägt, ist enttäuschend – aber völlig richtig.
Es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt, um George Packers Buch über die Zukunft Amerikas in die Hand zu nehmen, als diesen August 2021. Mit dem schmählichen und überstürzten Abzug aus Afghanistan ist das Image der Großmacht USA an einem Tiefpunkt angelangt. Die älteste Demokratie der Welt, Heimat von Microsoft, Apple und Amazon, gedemütigt durch eine Moped-Bande bärtiger Islamisten aus der Steinzeit. Und das Schlimmste: "Wir sind selbst schuld daran."
Das Schweigen als Symptom einer Niederlage
Wie es dazu kommen konnte, schildert Packer in seinem luziden und glänzend formulierten Essay schon schlaglichtartig zu Beginn. Während der Pandemie im Sommer letzten Jahres, in der seine Familie von New York aufs Land zieht, fährt er jeden Tag an einem Schild mit der Aufschrift "Trump" vorbei.
Es steht plötzlich im Garten seiner Nachbarn, die er gut kennt und schätzt. Und er fragt sich: Wie kann das sein? Es sind doch vernünftige Leute? Aber anstatt zu fragen, meidet er den Kontakt und – schweigt. "Aber dieses Schweigen löst einfach gar nichts. Es ist vielmehr Teil des Verfalls. Die Amerikaner wissen es, die ganze Welt weiß es."
Das Schweigen ist für Packer das Symptom für diese "seltsame Niederlage" der amerikanischen Demokratie – so der Titel des ersten Kapitels. Was folgt, ist eine schonungslose Anamnese dieser "Krankheit des Schweigens", die im Covid-19-Virus beste Bedingungen gefunden hat. Wie in einem Brennglas habe die Pandemie alle Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ans Licht gebracht: "eine korrupte politische Klasse, eine sklerotische Bürokratie, eine herzlose Wirtschaft und eine polarisierte und gedankenlose Öffentlichkeit".
Vier Amerikas kämpfen um Vorherrschaft
Nun gibt es Bücherregale voll mit Erklärungsversuchen über die zerrüttete amerikanische Gesellschaft der Trump-Ära, aber was Packer hier unternimmt, ist eine – auch literarisch – meisterliche Analyse der "vier Amerikas", die das Land prägen. Ihre Überschriften wie das "freie Amerika" oder das "gerechte Amerika" zeugen von feinsinniger Ironie, ohne je selbstgerecht zu werden. Sein Resümee allerdings ist ernüchternd: "Ich möchte in keiner Republik leben, die von einem dieser Narrative regiert wird".
Das "freie Amerika" etwa – es hat in der Reagan-Ära seine Wurzeln und ist geprägt von weißen Unternehmern und Arbeitern, die gegen den Sozialstaat und jede Einmischung der Regierung in ihre Individualrechte zu Felde ziehen. Stramm konservativ und republikanisch.
Oder das "smarte Amerika" – es reflektiert die Babyboomer-Generation mit Bill und Hillary Clinton als Heldenfiguren, eine neue sozialliberale, individualistische Leistungsgesellschaft, eher demokratisch und kosmopolitisch, grundsätzlich skeptisch gegen jede Form des Patriotismus.
Ohne den, so Packer, ginge es aber leider nicht, denn "wer das Ziel hat, den Klimawandel zu verlangsamen oder die Ungleichheit zu bekämpfen, der braucht die nationale Solidarität, die auf dem Patriotismus aufbaut" – der aber schon mal sein hässliches Gesicht zeigen kann im "wahren Amerika": weiße Nationalisten mit Verachtung fürs Establishment, ein "uralter Ort" des anti-intellektuellen Amerikas, stockkonservative Evangelikale, isolationistisch – und die eigentliche Basis von Trump.
Dagegen hat sich das "gerechte Amerika" der Millennials aufgelehnt, und zwar nicht nur gegen die "White Supremacists", sondern auch gegen das "smarte Amerika" ihrer Eltern – zu denen sich Packer durchaus selbst zählt – und deren Selbstgerechtigkeit. Das "gerechte Amerika" hat die Identitätspolitik aus den Hörsälen in die Feuilletons gebracht: "Der Kampf um Identität – er bot jungen Menschen Sinnstiftung und Gemeinschaft, einen Weg aus der Anomie der digitalen Konsumwelt. Etwas, was ihnen das liberale, kapitalistische Amerika nicht zu geben vermochte."
Und dann schreibt Packer etwas Unerhörtes: Das "gerechte Amerika" ähnele dem "wahren Amerika" – ausgehend von komplett entgegengesetzten Positionen – in der Skepsis gegenüber der Idee von Amerika als einer Demokratie für alle.
Die Lösung ist so enttäuschend wie wahr
Was also ist dann die "letzte beste Hoffnung"? Seine Antwort darauf ist so enttäuschend wie wahr und scheinbar von ewiger Gültigkeit – und kann nur von einem Amerikaner gesagt werden: "Uns wird niemand retten. Die letzte beste Hoffnung sind tatsächlich wir selbst".
Darin spiegelt sich der Mythos von Amerika, das sich nach jedem Schicksalsschlag – sei es der Bürgerkrieg, Vietnam oder 9/11 – immer wieder selbst neu erfinden. Zu allererst jedoch müssten "wir Amerikaner" das Schweigen überwinden.
Wer Amerika wieder zu einem geeinten Land machen will, "sollte Twitter- und Facebook-Accounts abschalten" und zu seinem Nachbarn gehen, um ihn zu fragen: Warum hast du Donald Trump gewählt? Oder Joe Biden?"
zu 3a) https://www.perlentaucher.de/buch/george-packer/die-letzte-beste-hoffnung.html
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2021
Rezensent Friedemann Bieber findet George Packers Essay zur Lage der USA beachtenswert, aber mit Einschränkungen. Hilfreich und realistisch findet er die Einteilung der US-amerikanischen Gesellschaft in vier Lager. Packers Kritik an dieser Lagerbildung (weil sie keine Idee einer Gemeinschaft zulässt), die der Autor mit Hintergrundinformationen zu den sozialen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ausstattet, lassen Bieber die großen Linien der amerikanischen Geschichte erkennen. Was dem Buch fehlt, ist für Bieber indes die Authentizität von Packers Bestseller "Die Abwicklung", der die Menschen zu Wort kommen ließ. Der analytische Gestus des neuen Buches befriedigt Bieber nicht, zumal er auf ihn allzu pathetisch und "phrasenhaft" wirkt. Konkrete Lösungsvorschläge, wie die gesellschaftliche Integration und der wirtschaftliche Umbau vorangetrieben werden könnten, macht der Autor auch nicht, kritisiert der Rezensent.
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.09.2021
Mit Sympathie, aber nicht mit voller Zustimmung liest Rezensent Peter Gilgen diese Zustandsbeschreibung Amerikas durch den bekannten Journalisten George Packer. Wie ist es zu der "abgrundtiefen Spaltung Amerikas" gekommen? Gilgen gibt Packer recht, das bloße Koordinatensystem von konservativ versus progressiv reicht nicht aus, um eine Diagnose zu treffen. Man müsse auf die "maßgeblichen politischen Leitideen" blicken. Der von Packer vorgeschlagenen Kategorisierung dieser Ideen in Diskurse vom "freien", "wahren", "smarten" und "gerechten" Amerika folgt Gilgen mit Interesse. Mit diesen Schlagwörtern lassen sich für ihn bestimmte, in Amerika einflussreiche Ideologien gut beschreiben. Folgen mag Gilgen aber nicht auf dem Ausweg, den Packer vorschlägt, der "fünften Erzählung". Packer sehne eine Rückkehr zu Amerika als "Land der Gleichen" herbei. Eine fromme Vision, so Gilgen, aber weltfremd. Gilgen ist pessimistisch und glaubt nicht an eine mögliche Versöhnen der konträren Fraktionen
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2021
Rezensent Claus Leggewie hat sich von George Packers Essay über den politischen Niedergang fesseln lassen, die mit ihrem Titel an ein geflügeltes Wort von Abraham Lincoln anknüpfen. Leggewie leuchtet ein, wie der amerikanische Journalist die Demontage des amerikanischen Staates und der Zivilgesellschaft durch die Republikaner beschreibt, aber auch die Polarisierung des Landes durch die linke Identitätspolitik, die bisher zu keinen Verbesserungen, sondern nur zur "Verschärfung der politischen Tribalisierung" geführt habe. Packer setzt auf eine Wiederbelebung des zivilgesellschaftlichen Engagements aus der Bildung kommunaler Gemeinschaften. Klingt vielleicht ein bisschen naiv, räumt Leggewie ein: "Aber hat gerade jemand eine bessere Idee?"
Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 23.08.2021
Rezensentin Nana Brink hält den Zeitpunkt für gekommen, um George Packers Kritik an seiner Heimat zu lesen. Die Pandemie und der Abzug aus Afghanistan lassen die Defizite der USA für jedermann sichtbar werden, findet sie. Glänzend formuliert legt der Autor ihr dar, wie es dazu kommen konnte und identifiziert das Schweigen als zentrales Motiv der Misere, Schweigen über die korrupte politische Klasse, die herzlose Wirtschaft und die polarisierte Öffentlichkeit, so Brink. Packers auf vier Amerikas (darunter das freie und das gerechte) abzielende Analyse ist laut Brink von feiner Ironie, gleichwohl ernüchternd. Was tun? Auch darauf weiß Packer eine Antwort, staunt die Rezensentin.
Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 31.07.2021
Nach George Packers "fabelhafter" Richard Holbrook-Biografie und der differenzierten Reportage über den kulturellen und wirtschaftlichen Mainstream der USA vor Trump hat Rezensent Lennart Labarenz mit dem nun vorgelegten Essay über die politische Spaltung der USA weniger Freude. Vier Strömungen setze der Journalist hier kritisch auseinander (ein freies, ein smartes, ein wahres und ein gerechtes Amerika, zählt Labarenz auf) und bewege sich dabei in den Gefilden eines "lebenssatt reflektierenden Common Sense" - ein bisschen mehr theoretische Unterfütterung hätte da gutgetan, findet Labarenz, Packer belasse es aber weitgehend bei Behauptungen. Wo diese letztlich hinführen, nämlich in Richtung eines Plädoyers für einen liberalen, kommunalpolitisch organisierten "Kapitalismus plus Sozialstaat", reißt den Rezensenten nicht vom Hocker und scheint ihm auch etwas realitätsfremd.
zu 3b) Rieke Havertz im Interview mit Packer, 2021:
https://www.zeit.de/kultur/literatur/2021-07/george-packer-die-letzte-beste-hoffnung-usa-corona-pandemie
"Read the English version of this article here.
George Packer, 60, ist Schriftsteller und Autor beim Magazin "The Atlantic". Sein neues Buch "Die letzte beste Hoffnung" (Rowohlt) schrieb er während der Pandemie. Es beschreibt, was das Jahr 2020 aus den Vereinigten Staaten gemacht hat. Während des Gesprächs wollte Packer dem Homeoffice entfliehen und spazieren gehen. Nach fünf Minuten fing es derart an zu regnen, dass er schließlich doch wieder mit dem Telefon am Schreibtisch saß.
ZEIT ONLINE: Vor einem Jahr war Donald Trump Präsident, und Masken waren das sichtbarste Zeichen einer polarisierten USA. Es gab diejenigen, die sie trugen, und diejenigen, die sich weigerten. Heute ist Joe Biden im Amt, Masken vielfach verschwunden. Wer sind die US-Amerikaner im Sommer 2021?
George Packer: Im vergangenen Jahr schien das ganze Land in einem Zustand des Zusammenbruchs zu sein, wir fühlten uns von unserer Regierung im Stich gelassen und haben uns gegeneinander gewandt. Jetzt haben wir eine kompetente, normale, demokratische Führung, und mit den Impfstoffen gibt es ein gewisses Vertrauen, dass die Amerikaner zumindest im technischen Bereich noch Einiges zuwege bringen. Aber politisch sind wir dieselben geblieben, mit derselben Spaltung. Wir haben unseren Niedergang gestoppt, aber wir können leicht wieder straucheln.
ZEIT ONLINE: Joe Biden spricht gern von einer geeinten Nation, aber die gab es schon lange vor Trump nicht mehr. In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie vier Ideen von Amerika: das freie, das kluge, das wahre und das gerechte. Wofür stehen diese?
Packer: Das freie Amerika ist Ronald Reagans Amerika: ein freier Markt, das Land als Anführer der freien Welt, niedrige Steuern, eine schwache Regierung, starker Freihandel. Es ist die Politik der Globalisierung und technologischen Entwicklung, von der Reagan dachte [???], sie würde Wohlstand für alle schaffen. Hat sie aber nicht. Sie hat uns auf extreme Weise in wirtschaftliche Gewinner und Verlierer unterteilt. Es ist ein gescheitertes Versprechen, dass der Markt leisten wird, was die Regierung nicht vermocht hat.
George Packer: "Wir haben uns entschlossen, uns jetzt noch nicht umzubringen"
...
ZEIT ONLINE: Im Gegensatz dazu steht das kluge Amerika.
Packer: Dort ist Bildung der Weg zum Erfolg. Das war Bill Clintons Idee. Das kluge Amerika entstand in den Neunzigerjahren mit dem Aufstieg einer gebildeten Elite, die die Basis der Demokratischen Partei wurde. Das war eine große Veränderung, denn die Arbeiterklasse – weiße und schwarze Bürger – war bis dahin deren Basis. Unter Clinton begann die weiße Arbeiterklasse, die Partei zu verlassen. Das kluge Amerika glaubt an die Meritokratie, den Erfolg der Begabten und Intelligenten. Die Menschen werden aufgrund ihrer eigenen Leistung belohnt, nicht danach, wo sie geboren oder wer ihre Eltern sind. Das ist eine faire Idee. Aber in der Praxis ist sie zu einer Form von Aristokratie geworden, weil heute Kinder in diese Klasse hineingeboren werden. Der Aufstieg in die Meritokratie wird immer schwieriger.
ZEIT ONLINE: Und wer es nicht schafft, wird im Stich gelassen.
Packer: Der Absturz von der gebildeten Berufswelt in die Arbeiterklasse ist tief. Und mit der schrumpfenden Mittelschicht wird er noch tiefer. Es gibt in den USA kein sicheres, komfortables Leben mehr, wenn man keinen Universitätsabschluss besitzt. Das ist die entscheidende Veränderung, die die Informationsökonomie brachte. Das kluge wie auch das freie Amerika machte den Menschen ein Versprechen von Wohlstand, aber in der Realität wurde es zu einer Form von Ungleichheit, die immer weiter wuchs, egal wer Präsident war.
ZEIT ONLINE: Und das ebnete Wege für weitere Ideen von Amerika?
Packer: Diese Misserfolge führten zu einer populistischen Gegenerzählung auf der Rechten. Ich nenne es das wahre Amerika. Das repräsentieren die Amerikaner, die sich selbst als das Rückgrat des Landes betrachten. Sarah Palin nutzte den Ausdruck 2008. Sie meinte damit weiße Christen, Kleinstädter auf dem Land, hart arbeitend, patriotisch. Dieses Narrativ erfasste die Basis der Republikanischen Partei. Freiheit bekam eine neue Bedeutung. Gemeint war nicht mehr so sehr die Freiheit der Wirtschaft, sondern die Freiheit des Einzelnen, sich jeder Art von staatlicher Einschränkung zu widersetzen. Das wurde zu Trumps Erzählung, und es ist bis heute die Antriebskraft der Republikaner, auch wenn ihre Eliten weiterhin über Steuern und Regulierungen reden. Das wahre Amerika ist dort, wo das Herz der Partei schlägt und wo ihre Wähler sind.
ZEIT ONLINE: Sarah Palin, die gescheiterte Politikerin, über die sich so viele lustig gemacht haben, war ihrer Zeit voraus?
Packer: Sie war eine Prophetin für das Erscheinen von Trump. Sie repräsentierte etwas Authentisches. Sie gehörte zur Arbeiterklasse, drückte deren Einstellungen, Werte und Stil aus, sogar in der Art, wie sie sich kleidete und wie sie sprach. Sie hob das alles zum ersten Mal auf die Ebene der nationalen Politik. Plötzlich waren Experten und Eliten der Feind. Palin hat ihnen nicht getraut. Wahre Amerikaner trauen ihnen nicht. Wir haben das im Kampf um die Maskenpflicht und die Impfungen erlebt.
"Wir sind hoffnungslos festgefahren und gespalten"
ZEIT ONLINE: Trump hat das perfekt für sich genutzt, obwohl er eindeutig nicht zur weißen Arbeiterklasse gehört.
Packer: Das tut er nicht, aber Trump teilt einige ihrer typischen Einstellungen. Sein Ressentiment gegenüber der moralischen Überlegenheit seiner Kritiker, sein Rassismus und seine Fremdenfeindlichkeit. Er war schon immer einwanderungsfeindlich und misstrauisch gegenüber dem Freihandel. Und das sind die großen politischen Veränderungen, die das wahre Amerika mit sich bringt. Trump hatte ein reptilartiges Gespür für die Gefühle vieler Amerikaner, die kein anderer Politiker je zum Ausdruck gebracht hat. Er nahm ihnen die Scham. Jeder konnte Dinge fühlen und sagen, die vorher Tabus waren.
ZEIT ONLINE: Und das produzierte ein weiteres Amerika, das gerechte Amerika?
Packer: Das vierte Narrativ ist eine Reaktion auf die Versäumnisse der Eliten. Das gerechte Amerika repräsentiert den sozialen Gerechtigkeitssinn der jüngeren Amerikaner, vor allem in den Städten und an den Universitäten. Es ist eine Rebellion der Jungen gegen die Meritokratie, die ihre Eltern forciert haben. Die Kinder halten sie für eine Lüge, weil sie keinen wirklichen Fortschritt sehen. Sie denken, dass wir von Beginn unserer Geschichte an ein rassistisches und unterdrückendes Land sind, das eine Kastengesellschaft hervorgebracht hat mit einigen Gruppen ganz oben und den anderen als Unterdrückten. Das ist eine sehr pessimistische und starre Sicht auf unsere Geschichte. Das gerechte und das wahre Amerika haben Gemeinsamkeiten, aber sie befinden sich auch im Kulturkrieg miteinander. Das gerechte Amerika ist in unseren kulturellen Institutionen dominant geworden. Und es fängt an, auf die Demokratische Partei einzuwirken.
ZEIT ONLINE: Joe Biden scheint in keine dieser Kategorien zu passen.
Packer: Bidens Helden gehen zurück auf die Roosevelt- und Truman-Jahre. Seine Politik ist die des durchschnittlichen Amerikaners, der eine faire Chance haben will. Es ist eine ziemlich einfache und überhaupt nicht theoretische Politik.
ZEIT ONLINE: Kann ihm das helfen, das Land wieder näher zusammenzubringen?
Packer: Kurioserweise könnte er der richtige Mann für den Moment sein. Das hätte ich vor einem Jahr noch nicht vorausgesagt. Aber er ist es, und wir können uns glücklich schätzen, ihn zu haben. Doch er ist verwundbar, körperlich und politisch. Ich mache mir keine Illusionen darum, wie leicht es sein könnte, ihn zu stoppen.
ZEIT ONLINE: Die Parteien in Washington können sich nicht einmal auf ein überparteiliches Infrastrukturgesetz einigen. Sind das Zweiparteiensystem und die politische Zeit, für die Biden steht, für das heutige Amerika nicht mehr geschaffen?
Armut den USA
Film: Ohne Geld sind die USA kein schönes Land
Packer: Wir sind hoffnungslos festgefahren und gespalten. Die Republikaner werden bei allem, was Biden versucht, einen Weg finden, es zu verhindern. Die alltägliche deprimierende Politik Washingtons wird uns noch lange Zeit erhalten bleiben. Spannend ist der Spielraum, der sich zu öffnen scheint. Biden spricht viel über Arbeitsplätze für die Arbeiterklasse, und er tut es auf eine Art und Weise, die die Kluft zwischen der weißen und nicht weißen Arbeiterklasse überbrücken kann. Er redet nicht über Gruppenidentität. Er spricht über Menschen, die keinen Uniabschluss haben und die das Gefühl haben, dass die Regierung schon lange nicht mehr auf ihrer Seite ist. Er sagt: Ich bin es. Das ist neu, denn die Demokraten waren bis vor kurzem die Partei der Gebildeten.
ZEIT ONLINE: Seit dem Tod von George Floyd diskutiert Amerika mit einer Intensität und Wut über Rassismus, die das Land seit der Bürgerrechtsbewegung nicht mehr erlebt hat. Gleichzeitig offenbarte die Pandemie eine Ungleichheit, die sowohl mit Hautfarbe als auch mit sozialer Klasse zusammenhängt. Wie lässt sich beides ansprechen?
Packer: Die Proteste des vergangenen Sommers haben uns dazu gezwungen, nicht länger so zu tun, als ob es Gerechtigkeit bereits gebe. Die gerechte amerikanische Erzählung sagt, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist, sondern dass von ihr eine direkte Linie zur Gegenwart führt. Das stimmt, und dem müssen wir uns stellen. Aber die Richtung, die die Proteste eingeschlagen haben, führte in eine Sackgasse. Sie definiert US-Amerikaner nur noch nach race und Geschlecht. Es wird über Politik gesprochen, als ob die Gruppenidentität das Wesen der Menschen ist, uns auf immer definieren wird und unveränderlich ist. Ich glaube, dass die meisten die Gesellschaft als fließender betrachten, bestehend aus Individuen mit unterschiedlichen Ideen, Lebensstilen und Wünschen.
ZEIT ONLINE: Wie passt da Klasse hinein?
Packer: Die soziale Schicht hängt damit zusammen, aber die Medien sprechen nicht über Klassen. Wir wissen, dass Schwarze und People of Color in der Arbeiterklasse überrepräsentiert sind. Aber die Pandemie hat uns gezeigt, wie groß die Kluft ist, nicht nur zwischen schwarzen und weißen US-Amerikanern, sondern auch zwischen systemrelevanten Arbeitern und anderen. Die Unverzichtbaren waren die, die zur Arbeit gingen und riskieren mussten, krank zu werden und zu sterben, damit der Rest von uns weiterhin zu Hause bleiben und vor dem Laptop sitzen konnte. Diese extreme Kluft hat uns gezeigt, wie ungerecht unsere Wirtschaft in Richtung der intellektuellen Elite und der Wohlhabenden gekippt ist.
ZEIT ONLINE: Sollte anders über Rassismus debattiert werden?
Packer: Ich wünschte, dieses Land könnte über race in Verbindung mit sozialen Schichten sprechen, statt der falschen Idee verhaftet zu bleiben, dass es einen immerwährenden Unterschied in Bezug auf Hautfarbe gibt, der uns definiert. Diese Theorie scheint vor allem gebildeten Menschen zu gefallen. Wenn man sich hingegen die Arbeiterklasse anschaut, scheint es wahrscheinlicher, dass sie Politiker wählt, die diese Idee nicht vertreten. Im Rennen um das Amt des New Yorker Bürgermeisters wurde die Kandidatin Maya Wiley, die wie das gerechte Amerika klingt, Dritte im Vorwahlkampf der Demokraten. Der Kandidat, der Joe Biden ähnelt, Eric Adams, wird die Wahl gewinnen. Vor allem aufgrund der Stimmen der People of Color und der Weißen aus der Arbeiterklasse. Das ist eine Koalition, die vielversprechend ist. Und das wird untergraben durch das Beharren einiger Mitglieder der Elite, dass alles, was zählt, die Hautfarbe ist.
"Der Spielraum des Sagbaren wird enger"
ZEIT ONLINE: Ist es beinahe unmöglich geworden, in den USA über Rassismus zu sprechen, ohne Angst zu haben, gecancelt zu werden?
Packer: Das ist der andere Teil der Sackgasse, in die sich das gerechte Amerika begeben hat. Es ist immer intoleranter, illiberaler und sogar autoritärer geworden. Bestimmte Gedanken, Ideen, Worte und Standpunkte sind inakzeptabel geworden. Und man sollte sie besser für sich behalten, wenn man seinen Job behalten will. Das ist sicherlich nicht überall so. Aber es trifft immer mehr zu, vor allem in kulturellen Einrichtungen, wo man sich seiner Macht bewusst ist. Die Atmosphäre ist dadurch eisig und stellt im schlimmsten Fall eine Bedrohung für liberale Werte wie die Idee der Individualität, der intellektuellen Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Objektivität dar. All diese aufklärerischen Werte werden geschwächt.
ZEIT ONLINE: Beeinflusst das Ihre Arbeit? Es gab einige Kritik von links an Ihrem Konzept des gerechten Amerikas und dass Sie darin die Wut und Ungerechtigkeit der Betroffenen nicht genug betonten.
Packer: Ich schreibe, was ich denke, und ich habe das Glück, dass ich das tun kann. Ich habe einen Verlag und arbeite bei einem Magazin, die mich unterstützen und die keine Angst vor dem zu haben scheinen, was ich schreibe. Das gilt nicht für alle. Menschen mit weniger professionellem Standing als ich haben Angst, dass sie sich das nicht leisten können. Es geht nicht darum, einfach alles zu leugnen, was die Protestbewegung sagt. Natürlich nicht. Aber es geht darum, es zu hinterfragen und andere Ideen anzubieten. Und in der Lage zu sein, Lösungen zu finden, denn Wut ist keine. Sie führt eher zur falschen Lösung.
Cancel Culture
Liberalismus: Widerstand darf kein Dogma werden
ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?
Packer: Vergangenen Sommer war ich einer der Verfasser des Harper-Briefes, der international veröffentlicht wurde, unter anderem in der ZEIT. Es war ein sehr simples, sogar langweiliges Statement für freie Meinungsäußerung. Dass Autoren sich frei fühlen müssen, um zu denken und zu schreiben. Ob der wütenden Reaktion der Linken hätte man meinen können, wir hätten die Rückkehr von rassistischen Jim-Crow-Gesetzen gefordert. Es scheint keine gemeinsamen Werte mehr zu geben, über die wir diskutieren können. Ein anderes Beispiel ist das renommierte Journal of the American Medical Association. Ein Redakteur sagte in einem Podcast, dass sozioökonomische Faktoren für die Aufrechterhaltung von Ungleichheit in unsere Gesellschaft entscheidender seien als Rassismus. Das war so inakzeptabel, dass nicht nur er seinen Job verlor, sondern auch der Chefredakteur. Noch vor ein paar Jahren wäre das ein ganz normales Diskussionsthema gewesen, jetzt darf es nicht einmal als Möglichkeit erwähnt werden.
ZEIT ONLINE: Was ist die Konsequenz daraus?
Packer: Es ist ein Zeichen dafür, dass der Spielraum des Sagbaren enger wird. Und die Botschaft kommt an. Es ist fast wie eine Aufklärungskampagne: Pass lieber auf, was du über dieses Thema sagst. Und obwohl es in keiner Weise koordiniert ist, hat es den Effekt einer Kampagne zur Einschränkung der Redefreiheit. Und genau das passiert.
ZEIT ONLINE: Ist die Macht des Moralisierens auf beiden Seiten ein Problem?
Packer: Es ist dieses Gefühl von absolut richtig oder falsch, das keinen Raum für Nuancen und Komplexität lässt. Ein Problem im gerechten wie im wahren Amerika. Wobei das wahre Amerika bei Weitem die größere Gefahr ist, weil dort Millionen die Lüge über die gestohlene Wahl akzeptiert haben und bereit zu sein scheinen, normale demokratische Regeln und Prozesse aufzugeben. Bei der Linken ist das noch nicht der Fall. Aber es gibt diese Tendenzen auch dort, eher auf einer intellektuellen Ebene. Sie zeigt sich nicht so sehr in der Politik, aber in unserem kulturellen Leben wird sie stärker.
Donald Trump - Der Mythos vom Wahlbetrug Donald Trump wollte seine Wahlniederlage kippen – und stand in seinem zweiten Amtsenthebungsverfahren unter Anklage. Wie es dazu kam, erklärt unser Video.
ZEIT ONLINE: Sie schreiben in ihrem Buch, dass die USA beharrend seien. Wird das Land jemals seinen Kurs ändern, kann die Gesellschaft all das überwinden?
Packer: Wir sind wie ein riesiges Schiff. Der Motor ist die Demokratie. Aber wenn sie anfängt zu versagen, hören wir dennoch nie auf, uns vorwärts zu bewegen. Weil wir so groß sind. Veränderung wird nicht durch eine Wahl allein eintreten. Es wird auch keine Offenbarung vom Himmel fallen, und plötzlich ändern Millionen ihre Meinung. Aber wir haben uns vergangenes Jahr selbst gerettet. Wir haben über Suizid nachgedacht und uns entschieden, uns noch nicht umzubringen. Das war ein großer Sieg für die Demokratie. Aber es ist sehr schwer, weil die gleichen Kräfte immer noch im Spiel sind. Meine Hoffnung ist, dass die Bürger sehen, dass ihre Regierung daran arbeitet, ihr Leben besser zu machen, und dann die Intensität des Kulturkampfes und der politischen Polarisierung ein wenig nachlässt. Dass es sich nicht mehr so sehr wie ein Kampf auf Leben und Tod anfühlt. Ich weiß nicht, ob das passieren wird. Aber es erscheint mir der beste Weg zu sein, um die Menschen aus ihren apokalyptischen Positionen herauszuholen.
ZEIT ONLINE: Also ist "We the People", die ersten Worte der US-Verfassung, die letzte beste Hoffnung für die USA?
Packer: Ihr werdet uns ja nicht retten (lacht). Wir haben diese lange Tradition zu glauben, es sei unsere Aufgabe, andere Länder zu retten, einschließlich Deutschland. Unsere Bilanz dabei ist durchwachsen. Wir sind nicht mehr das Leuchtfeuer der Welt. Wir sind für uns selbst die letzte Hoffnung, weil wir von der Idee der Selbstbestimmung abhängen. Wenn das nicht mehr funktioniert oder wir die Idee aufgeben, dann ist das weg, was das Land zusammenhält.
ZEIT ONLINE: Die Republikaner scheinen diese Idee mit antidemokratischen Maßnahmen wie Wählerunterdrückung verwerfen zu wollen. In einem Zweiparteiensystem könnte es in Zukunft für Wählerinnen und Wähler nicht mehr viele Optionen geben.
Packer: Das stimmt. Ich verfolge zwei Gedanken gleichzeitig: Ich möchte die Versuche der Republikaner bekämpfen, die Demokratie einzuschränken, und möchte zugleich Wege finden, wieder eine nationale Idee zu gestalten, mit der wir alle irgendwie leben können, selbst wenn wir uns nicht mögen. Das mag widersprüchlich sein, aber man muss beides versuchen.
ZEIT ONLINE: Sie haben sich während des Schreibens Ihres neuen Buchs von Walt Whitman inspirieren lassen, dem Journalisten und Dichter aus dem 19. Jahrhundert. Was würde der den heutigen USA sagen?
Packer: Ich glaube, er würde die Amerikaner einfach daran erinnern, dass dieses Land auf einem Gefühl der Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit beruht: Ich möchte, dass jeder das hat, was ich habe. Whitman würde sagen: Ohne Demokratie und Gleichberechtigung sind wir verloren. Und er würde uns mit seiner Großzügigkeit anstecken. Aber das ist lange vorbei. Wir sind vielleicht nicht mehr diese Art von Mensch."
4) Zitate aus dem Rezensionsbuch
a) Für Die letzte beste Hoffnung habe ich mich von politischen Streitschriften aus anderen Krisenzeiten inspirieren lassen:
Whitman, Walt, Demokratische Ausblicke, Freiburg i.Br. 2005.
Lippman, Walter, Drift and Mastery: An Attempt to Diagnose the
Current Unrest, Madison 1914.
Bloch, Marc, Die seltsame Niederlage, Frankfurt a.M. 1992.
Orwell, George, The Lion and the Unicorn. Socialism and the English
Genius, London 1941.
Baldwin, James, Nach der Flut das Feuer, München 2020.
Alexis de Tocquevilles Werk Über die Demokratie in Amerika (München 1976) hat mir tiefe Einsichten vermittelt und ist aus meiner Sicht das klügste Buch zum Thema.
Zwei Essays von Bryan Garsten haben mein Denken über Gleichheit und Selbstregierung beeinflusst: «Will Tocquevilles Dilemma Crash
America?», in: Tablet vom 16. April 2019; und «How to Protect
America from the Next Donald Trump», in: The New York Times vom 9. November 2020.
Wichtige Anstöße entnahm ich auch den Klassikern zum Thema:
Hofstadter, Richard, Anti-Intellectualism in American Life, New York 1963.
Potter, David M., The Impending Crisis: America Before the Civil War, 1848–1861, New York 2011.
Rorty, Richard, Stolz auf unser Land. Die amerikanische Linke und der Patriotismus, Frankfurt a.M. 1999.
Westbrook, Robert B., John Dewey and American Democracy, Ithaca 1991.
Das Kapitel «Vier Amerikas» hat von folgenden Texten profitiert:
Nash, George H., The Conservative Intellectual Movement in America Since 1945, Wilmington 2008.
Markovits, Daniel, The Meritocracy Trap: How America’s Foundational Myth Feeds Inequality, Dismantles the Middle Class, and
Devours the Elite, New York 2019.
McGhee, Heather C., «The Way Out of America’s Zero-Sum Thinking on Race and Wealth», in: The New York Times vom 13. Februar 2021.
Sandel, Michael J., Vom Ende des Gemeinwohls, Frankfurt a.M. 2020.
Huntington, Samuel P., Who Are We? Die Krise der amerikanischen Identität, München 2006.
Turchin, Peter, «How ‹Elite Overproduction› and ‹Lawyer Glut›
Could Ruin the U.S.», in: Bloomberg View vom 14. November 2016.
...
b) Kapitel 5: "Make America again
Wir waren an diesem Punkt schon einmal. Diese Geschichten sollten also bekannt klingen: ein gespaltenes Land, Monopole, Korruption, fest
zementierte Klassen von Reichen und Armen, rassistische Ungerechtigkeit. Greeley, Perkins und Rustin sahen sich ähnlichen Versionen amerikanischer Probleme gegenüber wie wir: Ungleichheit zerstört den Gemeinsinn [?] und mit ihm die Selbstregierung. Wir werden
zur Aristokratie und unregierbar noch dazu. Natürlich können wir den
Experten mehr Macht geben, damit die Regierung besser wird, doch
das machte uns noch unfähiger, uns selbst zu regieren, und letztlich
würden wir dann nur einem anderen Demagogen aufsitzen. Wir haben
schon viel zu lange tatenlos zugesehen, wie die Dinge in diese Richtung
treiben, und nun ist das Tosen des Wasserfalls schon bedenklich gut zu
vernehmen. Den Sturz in die Tiefe noch zu verhindern ist eine
schwierigere Aufgabe, als Sie vielleicht denken.
Heute hört man überall vom kranken Amerika, vom sterbenden
Amerika, vom Ende Amerikas. Auch mir sind ähnliche Gedanken mehr
als einmal durch den Kopf gegangen. Doch solche Prophezeiungen gab
es schon 1861, 1893, 1933 und 1968. Die Krankheit, der Tod sind immer
moralische Zustände. Vielleicht hat das mit unserem puritanischen
Erbe zu tun. Sollten wir sterben, so hat dies keine natürlichen
Ursachen. Todesursache ist vielmehr eine Art langsamer Selbstmord,
und da steckt das Wort «Mord» ja drin.
c) S. 233 "Nachwort
Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, standen die Amerikaner in langen Schlangen vor den Wahllokalen, und es gab noch keinen
Impfstoff. Jetzt, wo ich es beende, ist Trump fort, und die Menschen bilden wieder lange Schlangen – um sich impfen zu lassen. Trump hat uns weniger frei zurückgelassen, ungleicher, gespaltener, verrückter, isolierter, ärmer, versumpfter, dreckiger, gemeiner, kränker und toter.
Aber er ist weg, und wir sind immer noch hier.
Den ersten Tagen des Jahres 2021 haftete unverkennbar die Atmosphäre des Jahres 1861 an. Präsident Joe Biden und
Vizepräsidentin Kamala Harris leisteten ihren Amtseid unter starker Bewachung in einer Zeremonie, die aus Sicherheitsgründen für die
Öffentlichkeit gesperrt war. 25000 Polizisten und Soldaten schützten das Kapitol vor einem möglichen Aufstand der Aufrührer. Gewählte
Volksvertreter versuchten, mit Waffen in den Kongress zu gelangen.
Abgeordnete sind sich fast gegenseitig an die Kehle gegangen und
fühlten sich im Parlament nicht mehr sicher. Wir wissen, wer in
diesem Konflikt die Konföderation und wer die Union bildet. «Der
einen [Gruppe] war der Krieg wichtiger als das Überleben der Nation»,
sagte Lincoln bei seiner zweiten Antrittsrede 1865, als er an die
Umstände seiner ersten erinnerte. «Die andere nahm den Krieg hin,
damit die Nation nicht unterging.»
Zwei Tage nach dem Sturm auf das Kapitol erwachte ich morgens
mit einem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel, verursacht
durch Calciumcarbonatkristalle im Innenohr. Bei jedem Schritt
verzerrte sich mein Blickwinkel. Die Stufen unter mir wirkten, als
stünde ich an einem 15 Meter tiefen Abhang. Und ich ermüdete schnell,
ich durchmaß einen langen, dunklen Gang, an dessen Ende nur ein
kleiner Lichtpunkt schimmerte, der sich nie zu vergrößern schien. All
das war durchaus logisch.
Ich fragte mich, ob ich die Grundfertigkeit für zwischenmenschliches Zusammenleben eingebüßt hatte. Wir
orientieren uns ja an anderen Menschen, und offensichtlich wurde mir
ohne menschliche Gesellschaft schwindelig. Ich kann mir gar nicht
mehr vorstellen, dass die Zeit der Isolation je aufhört, aber tatsächlich
wird sie bald vorüber sein. Wir machen uns bereit, ins Leben
zurückzukehren. Wenn wir endlich wieder unsere Gesichter zeigen
können, werden wir da einander erkennen? Werden wir den Mut
haben, uns zu umarmen? Was wird von den Banden zwischen uns
noch übrig sein? Werden wir dann überhaupt noch zusammen sein
wollen?
In einer der dunklen Stunden Ende der 1960er bat ein Mitarbeiter der Schulbehörde in Cleveland Bayard Rustin, einen Brief für eine
Ausstellung zu verfassen, die den Schulkindern der Stadt zeigen sollte,
«dass wir in großartigen Zeiten leben». Das war 1969. Cleveland litt
unter schweren Unruhen, dem massenhaften Verlust an
Arbeitsplätzen, der Wut der Schwarzen und dem Abzug der Weißen. In
diesem Jahr war der Cuyahoga River, der durch Cleveland fließt, so
verseucht, dass sein Wasser Feuer fing. Der berühmte
Vergnügungspark am Eriesee schloss für immer, und die Innenstadt
von Cleveland verödete. Die Stadt steckte tief in einer Krise, von der sie
sich auch ein halbes Jahrhundert später noch nicht erholt hat.
Rustin setzte sich hin und schrieb:
Liebe Kinder von Cleveland:
Zwei Ideen, die dem edelsten Part unseres amerikanischen Erbes
entspringen, erklären die Hoffnungen der Armen und Unterdrückten in
diesem Land und weltweit. Diese Ideen heißen Demokratie und Gleichheit.
Demokratie steht für das Recht, an der Entscheidung über das
politische Schicksal eurer Gemeinde, eurer Stadt, eures Landes und
eurer Nation teilzuhaben.
Nachdem er auf diese Weise die Kunst der Selbstregierung erklärt
hatte, fuhr Rustin fort: «Die Demokratie ist also politisch, die Gleichheit
aber ist wirtschaftlich und sozial zu verstehen.
» Gleichheit bedeutet das Recht auf ein Leben ohne Armut und ihre vielen Übel, ohne
Diskriminierung, damit alle «ihr volles Potenzial und ihre Würde als
menschliches Wesen ausleben können».
Am Ende des Briefes erläuterte er, dass die Mittel zum Erreichen dieser Ziele sich von den Zwecken nicht unterscheiden durften:
«Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass wir Demokratie und Gleichheit nie auf eine Weise
erreichen können, die ebenjene Gesellschaft zerstört, welche wir eigentlich aufbauen wollen.»
Rustin versicherte den Kindern nicht, dass ihre Nation schon zu
diesem gelobten Land geworden war, oder warnte sie, dass dies gar
nicht möglich sein könnte. Demokratie ist ein fortwährendes Experiment, das keine Vollendung und daher auch kein Ende kennt. Es
gibt für sie keine ewigen Wahrheiten jenseits des menschlichen
Handelns. Diese Wahrheiten, die wir für ausgemacht halten, die Rustin
den Kindern von Cleveland erklärt hat, werden nur dann überleben,
wenn wir sie durch unsere Bemühungen verwirklichen. Die
Selbstregierung legt alle Verantwortung in unsere Hände. Kein starker
Mann, kein Experte, keine noch so privilegierte Klasse, kein
Algorithmus kann dies für uns übernehmen. Sobald wir dieser Aufgabe
keine Energie mehr widmen, fällt das gemeinsame Knochengerüst
auseinander und wird zum Beinhaufen.
Für uns heißt das, dass wir uns selbst und unseren Mitmenschen
mehr vertrauen müssen, als wir mitunter ertragen können. An
manchen Tagen scheint dieses Projekt grotesk und der Aufwand
erschöpfend. Aber ich bin Amerikaner, und es gibt keinen anderen
Ausweg. Wir haben nie eine andere Art von Leben gekannt. Und mit
diesem müssen wir es hinbekommen."