Rezension zu "George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika" von George Soros
Irgendwo in diesem Text steht die Bemerkung, dass seine Philosophie dem Autor half, sein riesiges Vermögen anzuhäufen. Man mag darüber lächeln, aber George Soros meint das sehr ernst. Denn eigentlich wollte er lieber Philosoph werden, anstatt sich mit den Finanzmärkten herumzuschlagen. Doch leider war ihm das nicht vergönnt. Und dafür gibt es Gründe, die sich auch aus diesem Buch herauslesen lassen.
Einst entwickelte Soros seine Theorie der Reflexivität. Sie behauptet grob gesagt, dass nicht nur die sogenannten Fundamentaldaten die Märkte beeinflussen, sondern, dass dies auch umgekehrt gilt. Soros hält das für eine große Entdeckung und wundert sich, dass kaum jemand das so sieht wie er. Nun glaubt er sich durch die Finanzkrise wieder einmal bestätigt und macht erneut Werbung für seine Theorie.
Und er schimpft über die konkurrierende Theorie von der Effizienz der Märkte, der er eine wesentliche Schuld am Finanzunheil gibt, das die Welt gerade heimsucht. Und in der Tat handelt es sich bei dieser linearen Theorie um ein akademisches Produkt, das die Realität völlig falsch widerspiegelt, weil es auf weltfremden Annahmen beruht, die jedoch erst dafür sorgen, dass man überhaupt eine Theorie mit quantifizierbaren Ergebnissen erhält.
Eine lineare Theorie kann niemals Vorgänge mit Rückkopplungen beschreiben. Und Märkte wären keine Märkte, wenn sie nicht gerade auf Rückkopplungen beruhen würden. Deshalb ist die Reflexivitätstheorie von Soros sicher richtig. Aber natürlich stellt sie keine grandiose Entdeckung dar, sondern beschreibt eher qualitativ und auf elementarem Niveau das, was eben Märkte charakterisiert.
Will man Marktmechanismen wirklich adäquat mathematisch modellieren, dann würde das auf nichtlineare Modelle führen. Damit steht man vor zwei Schwierigkeiten. Erstens weiß man nicht, wie man das tatsächlich anstellen sollte, und zweitens könnte man ein solches Modell wahrscheinlich nicht quantifizierbar machen, wäre also wegen dessen Komplexität nicht in der Lage, etwas auszurechnen und brauchte folglich auch das Modell nicht.
Aber natürlich hat Soros recht, wenn er der Theorie von der Markteffizienz eine gewisse Schuld am gegenwärtigen Finanzdebakel gibt. Wegen dieser und verwandten Theorien glaubten offenbar viele Leute, sie würden das Risiko von Finanztransaktionen gottgleich beherrschen. Dass Risiko zwar verteilt werden kann, aber natürlich nicht verschwindet, sondern systemisch erhalten bleibt, hat die Subprimekrise wohl mit aller Deutlichkeit bewiesen.
Das Buch besteht aus einem langen Vorspann und zahlreichen Zeitungsartikeln, mit denen Soros von 2008 bis 2011 Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen glaubte. Vier Jahre, vier Teile im Buch und vier verschiedene Schwerpunkte sowie zahlreiche Wiederholungen, weil schließlich die einzelnen Artikel nicht aufeinander aufbauen und dem jeweiligen Leser die Sichtweise von Soros immer wieder aufs Neue erklärt werden muss.
Soros ist Teil des Systems. Und deshalb scheint er außerstande zu sein, die Situation einigermaßen objektiv zu betrachten. Immer wieder gibt er einer mathematischen Theorie und ihrer Fehldeutung die Schuld am Desaster. Kein Wort über kriminelle Machenschaften, kein Wort über die unheilvolle Asymmetrie zwischen Realwirtschaft und der "Finanzindustrie", kein Kommentar über die politischen Voraussetzungen, die erst zu dieser Krise führten.
Dafür fällt jedoch eine gewisse Schizophrenie ins Auge. Soros schreibt, dass die Blase, die letztlich nun geplatzt ist, bereits von 1980 an aufgeblasen wurde. Ob man das nun so sehen muss, ist hier nicht der Punkt, sondern sein Vorwurf, dass sich die "Behörden" immer wieder durch "Rettungen" hervortaten und dadurch diese Blase immer größer werden ließen. Doch was der Autor dann als Lösung der jetzigen Krise vorschlägt, stellt genau wieder dieses Verfahren dar.
Auf diesen Vorwurf wird er antworten, dass es nun ums Ganze ginge und eine Depression verhindert werden müsse. Aber genau so argumentierten die "Behörden" auch vorher immer.
Diese Krise ist eine Schuldenkrise. Und Schulden können genau wie das Risiko zwar neu verteilt werden, vorzugsweise natürlich auf Deutschland, doch sie verschwinden nicht. Irgendwer muss sie am Ende bezahlen. Leider findet diese elementare Erkenntnis keinen Eingang in die Gedankenwelt des Autors.
Dass Soros Teil eines von gewissen Eliten ausgedachten Systems ist, sieht man auch an seiner Argumentation in der Eurokrise. Obwohl er sehr genau beschreibt, wie die sehr verschiedenen Ausgangssituationen in den Euroländern mit der Einführung der Einheitswährung zu genau den Verwerfungen führten, die später in die Krise mündeten, ist seine einzige Schlussfolgerung nicht etwa, dass man diese Währung niemals hätte einführen dürfen. Nein, der Fehler bestand darin, kein europäisches Finanzministerium mit dem Euro installiert zu haben.
Auf die Idee, dass kaum jemand in den europäischen Nationen die damit verbundene faktische Abschaffung der Nationalstaaten möchte, kommt er nicht, denn er ist ein "wahrer Europäer", wie er schreibt.
Liest man also dieses Buch, so hat man die Gelegenheit, das Gedankengut von Leuten kennenzulernen, die sich um den Willen von Völkern nicht viel scheren und die uns diese Krise erst eingebrockt haben.
Auf die Lösungsvorschläge zur Eurokrise, die man in diesem Buch findet, lohnt es sich nicht im Detail einzugehen. Sie laufen ganz einfach darauf hinaus, dass Deutschland zahlen muss. So oder so. Schließlich ist Deutschland mit seiner ökonomischen Stärke und seiner relativen Haushaltsdisziplin an allem Schuld.
Die Punkte gibt es für die manchmal auch ungewollten Einblicke in die nicht untypische Geisteshaltung bestimmter Kreise und die Informationen, die dieses Buch enthält, nicht jedoch für die gelegentlich sonderbaren Schlussfolgerungen des Autors. Immerhin enthält der Text auch einige vernünftige Vorschläge, etwa zur Standardisierung von gewissen Derivaten. Insgesamt jedoch geht es Soros um die Rettung eines fehlerhaften Systems und nicht um eine grundlegende Sanierung.