Georgi Gospodinov

 4,2 Sterne bei 31 Bewertungen
Autor*in von Zeitzuflucht, Physik der Schwermut und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Georgi Gospodinov, geboren 1968 in Jambol im Südosten Bulgariens, studierte Bulgarische Philologie in Sofia. Gospodinov verfasst regelmäßig Kolumnen für die bulgarische Tageszeitung ›Dnevnik‹ sowie für die ›Deutsche Welle‹ und ist als Redakteur einer Literaturzeitschrift tätig. Er ist ein vielseitiger Autor, schreibt Romane, Erzählungen und Lyrik ebenso wie Drehbücher und Theaterstücke. Internationales Ansehen erlangte er mit seinem Debütroman ›Natürlicher Roman‹, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und Gospodinov damit zu einem der meistübersetzten bulgarischen Autoren seit 1989 macht. Sein Erzählband ›Und andere Geschichten‹ stand auf der Longlist für den Frank O'Connor Award. Sein zweiter Roman, ›Physik der Schwermut‹, war für verschiedene internationale Preise nominiert, darunter der Internationale Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt, der Brücke Berlin Preis, der Premio Strega Europeo sowie der American Pen Translation Prize. Zuletzt wurde Gospodinov für ›Physik der Schwermut‹ mit dem Prix Jan Michalski ausgezeichnet. Im Sommersemester 2015 hatte er die Siegfried-Unseld-Gastprofessur an der Humboldt-Universität Berlin inne. Georgi Gospodinov lebt und arbeitet in Sofia. 

Quelle: Verlag / vlb

Neue Bücher

Cover des Buches Zeitzuflucht (ISBN: 9783746639963)

Zeitzuflucht

 (13)
Erscheint am 14.11.2023 als Taschenbuch bei Aufbau TB.

Alle Bücher von Georgi Gospodinov

Cover des Buches Zeitzuflucht (ISBN: 9783746639963)

Zeitzuflucht

 (13)
Erscheint am 14.11.2023
Cover des Buches Physik der Schwermut (ISBN: 9783423145336)

Physik der Schwermut

 (11)
Erschienen am 11.11.2016
Cover des Buches 8 Minuten und 19 Sekunden (ISBN: 9783854209485)

8 Minuten und 19 Sekunden

 (4)
Erschienen am 05.02.2016
Cover des Buches Natürlicher Roman (ISBN: 9783854207283)

Natürlicher Roman

 (3)
Erschienen am 01.08.2007
Cover des Buches Kleines morgendliches Verbrechen (ISBN: 9783854207672)

Kleines morgendliches Verbrechen

 (0)
Erschienen am 29.01.2010

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Neue Rezensionen zu Georgi Gospodinov

Cover des Buches Zeitzuflucht (ISBN: 9783351038892)
Nicolai_Levins avatar

Rezension zu "Zeitzuflucht" von Georgi Gospodinov

Welches Jahrzehnt hätten'S denn gern?
Nicolai_Levinvor 2 Monaten

Nostalgie ist die unerfüllte - und unerfüllbare - Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Georgi Gospodinov behandelt das Thema mit viel klugem Witz in seinem Buch 'Zeitzuflucht'.

Der Icherzähler trifft auf einem Philologenkongress in Bulgarien den geheimnisvollen Gaustín, vielleicht hat er ihn auch nur erfunden, jedenfalls hat dieser Kerl ein seltsames Verhältnis zur Zeit, schreibt Briefe aus dem Herbst 1939 und findet sich dann in Zürich wieder, wo er in einer Klinik für Demenzkranke Zimmer im Stil bestimmter Jahrzehnte einrichtet. Die verwirrten Geister finden dort Ruhe und Geborgenheit in der Zeit, die ihren Gehirnen am ehesten vertraut ist. Aber auch die Angehörigen und das allgemeine Publikum sind begeistert, lassen sich anstecken. Bald bieten ganze Häuser, Viertel, Städte eine Art virtueller Zeitreise, ein Re-Enactment sozusagen an. Irgendwann wird der Sog so groß, dass die Staaten der EU ein Referendum abhalten, in welche Zeit sie zurückgehen wollen. Indes erleidet der Erzähler selbst immer gravierendere Gedächtnislücken, und am Ende gerät die Nostalgie aus den Schranken: Bei einer Nachstellung des Attentats von Sarajewo vom 28.6.1914 wird der Thronfolgerdarsteller von einer scharfen Kugel tödlich verwundet, und als der Beginn des 2. Weltkriegs mit dem Beschuss der Westerplatte gespielt werden soll und eskaliert, stellt sich endgültig die Frage, ob wir der Grausamkeit der Geschichte entfliehen können.

Das ist amüsant zu lesen, gespickt mit Zitaten und Anspielungen auf Literatur und Film, eine intellektuelle Scharade, die mit den Mitteln von Fantastik und einer speziell osteuropäischen Art des magischen Realismus sehr ernste Themen höchst vergnüglich anreißt. Natürlich ist es ein Schuss gegen alle, die irgendwas great again machen wollen, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen, um ihre Privilegien zu wahren. Interessanterweise spricht Gospodinov das Problem der Technik explizit an: Wollen und könnten wir wirklich in eine Welt ohne Smartphones und Internet zurück? Aber gerade die Kernthemen der Rechtspopulisten lässt er ausgeblendet liegen: Die Welt von gestern wäre eine ethnisch und kulturell homogenere. Was soll in den Gesellschaften des Reenactments eigentlich aus den vielen werden, die seit damals hierher migriert sind? Was halten die Schwulen davon, sich wieder verstecken zu müssen - und die Frauen, dass sie wieder an den Herd sollen? Es braucht schon eine männlich-hetero-weiße Existenz, um so unbeschwert und vergnügt seine Nostalgien auszuleben. Die Marginalisierten aber, die lässt er hokuspokus in seinem magischen Zauberhut verschwinden!

Zur Vorsicht erwähnen sollte man auch, dass Gospodinovs Buch eigentlich kein Roman sein kann, aber es spricht für die Qualität des Werkes, dass es sich seine Schublade selbst schaffen muss. Vielleicht so etwas wie fiktional-magisch-realistischer Politik-Philosophie-Essay in der Kategorie intelligente Unterhaltung oder einfach: heitere Dystopie.

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Cover des Buches Zeitzuflucht (ISBN: 9783351038892)
esmerabelles avatar

Rezension zu "Zeitzuflucht" von Georgi Gospodinov

Georgi Gospodinov - Zeitzuflucht
esmerabellevor einem Jahr

„Ist diese Zugkraft der Vergangenheit letztlich ein Versuch, zu jenem heilen Ort zu gelangen, wie weit er auch zurückliegen mag, wo die Dinge noch ganz sind, es nach Gras riecht, du aus nächster Nähe die Rose und ihr Labyrinth betrachtest. Ich sage Ort, doch es ist eine Zeit, ein Ort in der Zeit. Ein Rat von mir, besucht nie, wirklich nie nach langer Abwesenheit den Ort, den ihr als Kinder zurückgelassen habt. Er ist ausgetauscht worden, von Zeit entleert, verlassen, gespenstisch. 

Dort. Ist. Nichts.“

(Kapitel III/4)

Gaustín, ein Bekannter des Ich-Erzählers, eröffnet in Zürich eine Klinik für Alzheimer-Patienten. Jedes Stockwerk ist thematisch einem bestimmten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gewidmet, so dass der Kranke in die Zeit zurückkehren kann, in der er sich mit seinen Erinnerungen noch zuhause fühlt. Das Projekt weitet sich schnell aus, es entstehen neue Kliniken in anderen Ländern, dann ganze Straßenzüge, Areale. Nicht lange, und auch Menschen ohne Erkrankung bitten um Aufnahme, um dem Stress der Gegenwart entfliehen, sich wieder in jener Zeit aufhalten zu können, in der sie am glücklichsten waren. Schließlich greifen die Staaten der Europäischen Union die Idee auf. Jedes Land hält ein Referendum ab, um zu entscheiden, in welches Jahrzehnt der Staat zurückkehren wird. Die Zeit wird plötzlich zu einem Ort, die Strukturen immer wirrer. Im Äußeren, aber auch in dem Kopf des Erzählers.

„Zeitzuflucht“ von Georgi Gospodinov gehört in eine ganz rare Kategorie von Büchern: jene, die mich verwirren, ratlos zurücklassen, aber die mir trotzdem gefallen haben. Ich gehöre zu der Sorte Leser, die es gerne klar haben. Klare Sprache, klare Strukturen, runde Geschichte. Gospodinovs Roman schert sich nicht darum. Von Anfang an stellt er den Leser vor Fragen, und je weiter man voranschreitet, um so mehr fällt alles in sich zusammen, verwirrt sich, wird ungreifbarer. Und das ist genial, weil das Buch damit auf seine Weise das nachzeichnet, was im Kopf eines an Alzheimer Erkrankten im Anfangsstadium passiert. Als Leser gehen wir den Weg mit dem Ich-Erzähler, für den die Grenzen zwischen Realität und eigener Fiktion immer mehr verschwimmen. Auch wir verlieren den Halt und die Orientierung.

Spannend fand ich auch, dass der Roman einen zu Gedankenspielen reizt. Welches Jahrzehnt würde ich auswählen, wenn ich die Wahl hätte (wobei man bedenken muss, dass man nicht wieder als derjenige dorthin zurückkehrt, der man war, sondern als der, der man jetzt ist)? Was würde passieren, wenn tatsächlich ganze Staaten die Zeit zurückdrehen und jedes in einer anderen Ära leben würde? Und natürlich drängt sich auch die Vorstellung auf, dass man selbst eines Tages zu denen gehören kann, die an dieser schrecklichen Krankheit leiden.

Zu guter Letzt habe ich mich auch gefreut, mal etwas von einem bulgarischen Schriftsteller zu lesen. Die Passagen, die in Gospodinovs Heimatland spielen, haben mich dazu animiert, mehr über diesen Staat zu erfahren, an den wir normalerweise allenfalls wegen seiner Badestrände und der hohen Armutsrate denken.

 Für mich war „Zeitzufluchten“ ein sehr spannender, wenn auch nicht greifbarer Roman. Er ist sicher nicht nach dem Geschmack der großen Masse, aber wenn man sich drauf einlässt und loslässt, kann man viel Individuelles daraus mitnehmen, weil es einen Teil dessen, wer wir sind und was wir fürchten auf uns zurückwirft. Beeindruckend!

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Cover des Buches Zeitzuflucht (ISBN: 9783351038892)
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Rezension zu "Zeitzuflucht" von Georgi Gospodinov

Ein geniales Experiment
_leserin_vor einem Jahr

Zu Beginn dieser Dystopie steht das Altern im Zentrum, und zwar das Altern mit Demenz.

Es wird ein Experiment versucht, in dem Kliniken mit Stationen errichtet werden, in denen jedes Zimmer bezogen auf den Demenzzustand der Patient*innen ausgestattet ist. Ziel dieses Experiments ist nicht nur ein „schöner Tod“, sondern dass die Menschen glücklich altern. Befindet sich zB ein*e Demenzpatient*in im Jahr 1968, wird das Zimmer mit typischen Möbeln jener Zeit eingerichtet, alte Zeitungen werden aufgelegt (der Wetterbericht ist auch heute unzuverlässig), moderne Drinks der Zeit werden bereit gestellt und vieles mehr.

„Wissenschaftlich“ anmutend wird argumentiert, dass Demenz und Alzheimer in den kommen Jahren wie ein Virus um sich greifen und viele Menschen in Europa und der westlichen Welt daran erkranken werden. Dies werde Unsummen verschlingen. Man rechnet mit einer hohen Dunkelziffer, denn nicht bei allen Menschen werden diese Erkrankungen diagnostiziert werden und es gibt bis dato kaum Behandlungsmöglichkeiten. 

Diese Einrichtungen, die sich über Europa ausbreiten, finden jedoch nicht nur Anklang bei Erkrankten, sondern immer mehr Gesunde wollen in die Vergangenheit zurück, in das 20. Jahrhundert, an das heute mit Melancholie gedacht wird und das doch so verheerend war: zwei Weltkriege und der Kommunismus in den Oststaaten.  

Im zweiten Teil des Romans wird offensichtlich, dass gehandelt werden muss. Immer mehr Menschen wollen der Gegenwart (2021) und der unbekannten, nicht erfreulichen Zukunft fliehen. Die EU-Staaten entschließen sich zu einer Abstimmung in ihren Ländern, in welches Jahr der Staat zurückkehren möchte. Ein Referendum wird beschlossen und „Parteien“ stehen für eine bestimmte Zeit oder Jahreszahl: besonders amüsant fand ich, dass Großbritannien wieder in die Zeit vor dem Brexit zurück möchte, darf aber nicht mitabstimmen, weil es kein EU-Mitgliedsland mehr ist.

 

Ich war sehr begeistert von diesem Buch - dieses Experiment hat schon was für sich. Besonders spannend fand ich die Gedanken des Autors, warum das 20. Jahrhundert aus heutiger Sicht so viel besser sein soll, mit seinen beiden Kriegen und dem Eisernen Vorhang.

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