Bedenkenswert – und bezahlbar!
Der „Fair-Trade Fachmann“ Zervas und der Zukunftsforscher Spiegel (Gründer des Vision Summit) formulieren in diesem Werk ihre zunächst als „Vision-Vortrag“ vorgestellte Idee der nachhaltigen Mehrung des Wohlstandes für alle Bewohner des Planeten aus.
Im Kern fordern beide im Buch nichts anderes als einen „Mindestlohn“ (eine Idee, die meist umgehend auf hartnäckigen Widerstand der Industrie und Wirtschaft stößt). Einen Mindestlohn von einem Dollar. Dies allerdings (und natürlich) nicht in den hochentwickelten Industrienationen, sondern an all jenen Orten, an denen das Jahreseinkommen weiter Teile der Bevölkerung unter 5000 Dollar liegt.
„Aber all diese Fortschritte nützen uns am Ende nichts“, so formulieren die Autoren im Blick auf die im Buch durchaus weitgehend positiv eingeschätzte Globalisierung. Die eben daran hinkt, dass nicht zeitgleich zur Ausbreitung der menschlichen Gestaltungspotenziale auch eine ebenso wichtige und gleich starke Ausbreitung der menschlichen Gesamtverantwortung ihren Weg findet.
Dabei, das ist die feste Überzeugung, die im Buch vertreten, begründet und vielfach mit eindrucksvollen Beispielen belegt ist, ist der erste, zwingende und notwendige Schritt eine Beendigung der massenhaften (gewollten und erbittert verteidigten) Sklavenlöhne. Hier ist die Hauptursache nicht nur für Armut und Hunger, sondern für eine Vielzahl weiterer, globaler Probleme.
Rechnerisch hat sich der Wohlstand der Menschheit in den letzten 200 Jahren um etwa den Faktor hundert erhöht. Rein rechnerisch also stellt es überhaupt kein Problem dar, jedem Bürger ein würdevolles Leben zumindest als Chance zu ermöglichen. Wobei die Idee des Mindestlohnes für die Welt zudem noch die Wirkung der Freisetzung kreativer Entwicklungspotenziale mit sich bringt.
Nun ist auch jedem Laien klar, dass die ökonomischen Probleme der Welt nicht an den Bruttosozialprodukten festzumachen sind, sondern an der außerordentlich ungleichen Verteilung der „Fürchte“ des Wirtschaftens. Bei Weitem aber, und das ist etwas ganz anders als die üblichen Wahlkampfstrategien der professionellen Politiker mitsamt ihrer Diskussion um Vermögenssteuern, geht es den Autoren nicht um das „Schröpfen“ von Reichen oder Megareichen. Die Mittel für einen solchen Mindestlohn sollen durch einen Global Goals Fund in Höhe von ein Prozent der Wirtschaftsleistungen der Länder und Nationen gespeist werden.
Und die Zahlen überzeugen im Buch. Genauso, wie die argumentative Kette überzeugt, dass zu all dem nicht Spenden nötig wären, sondern ein sehr grundlegendes Umdenken, was den Wert sozialer Innovationen angeht. Diese stellen den wichtigsten Wert der Menschheit dar. Und die zerreißenden Probleme der Gegenwart finden ihre Ursache darin, dass diese Wahrheit aus Eigennutz, oft wider besseren Wissens, nicht umgesetzt, weitgehend sogar geleugnet wird.
Gleicher Zugang zu Wissen und Kompetenzen, Wohlstandsperspektiven als schärfste Waffe gegen Flucht und Terrorismus, Schlagworte, die im Buch mit Leben gefüllt werden und die zugleich, ohne polemisch zu werden, den Finger auf jene richten, die eben diesen gleichen Zugang nicht wollen. So, wie Nestle sich seit Jahrzehnten Wasserrechte sichert, um später damit Profit zu generieren, so handeln immer noch fast umfassend alle „Geschäftemacher“ und benötigen für dieses „Spiel“ die Abhängigkeit preiswerter Arbeitskräfte.
Ob, trotz der überzeugenden Kraft des Ansatzes und der Argumente sich dabei die Vereinten Nationen in dieses Konzept einbinden lassen und, wenn ja, ob das irgendwelche praktischen Auswirkungen in einer sich rasend ausschließlich um den Profit drehenden Welt hätte, darf in der Gegenwart zu Recht bezweifelt werden.
Das aber alle Veränderungen, Innovationen und Fortentwicklungen in der Geschichte der Menschheit immer mit kühnen Ideen begannen und dass die Stimmung an vielen Orten sich zunehmend kritisch gegen die herrschenden Ungleichheiten richtet, auch das ist wahr.
Eine interessante, durchdachte und lesenswerte Lektüre.
Bedenkenswert – und bezahlbar!