Gerald Kersh

 4,2 Sterne bei 9 Bewertungen
Autor*in von Die Toten schauen zu, Hirn und zehn Finger und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Gerald Kersh wurde 1911 in Teddington-on-Thames, London, geboren und verstarb 1968 mittellos als amerikanischer Staatsbürger in Kingston, New York. Im Alter von 2 Jahren wurde er bereits für tot erklärt, lebte dann aber noch lange genug, um über 1000 Artikel, 400 Kurzgeschichten und 19 Romane schreiben zu können. Während des Zweiten Weltkrieges avancierte er zum Bestsellerautor und startete eine schillernde Karriere, doch Steuerschulden, Krankheiten und persönliche Problememachten ihm im Verlauf seines weiteren Lebens einen Strich durch die Rechnung.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Gerald Kersh

Cover des Buches Die Toten schauen zu (ISBN: 9783927734746)

Die Toten schauen zu

(5)
Erschienen am 28.01.2016
Cover des Buches Hirn und zehn Finger (ISBN: 9783927734975)

Hirn und zehn Finger

(2)
Erschienen am 30.04.2024
Cover des Buches Ouvertüre um Mitternacht (ISBN: 9783927734890)

Ouvertüre um Mitternacht

(2)
Erschienen am 18.03.2016
Cover des Buches Nachts in der Stadt (ISBN: 9783929010800)

Nachts in der Stadt

(0)
Erschienen am 01.10.2002

Neue Rezensionen zu Gerald Kersh

Cover des Buches Hirn und zehn Finger (ISBN: 9783927734975)
MarcoLs avatar

Rezension zu "Hirn und zehn Finger" von Gerald Kersh

MarcoL
Heftige Bilder einer kurzen Episode im Jugoslawischen Widerstand von 1943

Ohne Triggerwarnung kann ich diese Rezension nicht starten, denn es werden Gräuel von Menschen an Menschen erwähnt, wie sie nur Menschen erfinden und ausüben können. Ob Krieg oder nicht ist da beinahe schon irrelevant.
Eine Gruppe von Widerstandskämpfern macht sich 1943 im ehemaligen Jugoslawien auf, um den verfeindeten italienischen Faschisten ein Waffendepot mit Dynamit zu plündern. Im Schutze des Regens und der Nacht scheint der Coup zu gelingen, doch sie werden entdeckt, erleiden bittere Verluste und müssen fliehen. Die anhaltenden Regenfälle ließen den Fluss Bistrica anschwellen, die rettende Brücke wurde fortgerissen. Die verbliebenen neun Männer saßen in der Falle, hatten maximal eine Stunde Vorsprung. Klemen, der zwar nicht das Kommando hatte, forderte seine Mitstreiter auf, mit ein paar Baumstämmen einen Behelfsübergang zu bauen.
S.77: „Es war eigenartig, wie Klemen uns von seinem Platz aus über den Strom hinweg zu verstehen gab, wie die Sache nach seiner Vorstellung angepackt werden sollte. Alles arbeitete mit ihm zusammen. Ein Hirn und zehn Finger, das kam einem in den Sinn.“
Obwohl sich alle sicher waren, dass dies wohl die einzige Rettung sein dürfte, regte sich in manchen Gemüter der Wille trotz des Überlebenskampfes, bis zum bitteren Ende zu kämpfen und noch ein paar der verhassten Faschisten mit in den Tod zu reißen. Was wird wohl gelingen?
Was teilweise wie ein Abenteuerroman anmutet, ist bitterster Ernst mitten im Gewimmel des Zweiten Weltkrieges. Ganze Dörfer wurden in Jugoslawien von den Italienern ausradiert. Menschen, ob Greise oder Babys, niedergemetzelt.
Die Widerstandskämpfer hatten schon genug gesehen und erlebt, waren allesamt stark traumatisiert, aber sie waren eine Truppe von Slowenen, Serben, Kroaten, die für eine einzige Sache wie ein Mann einstanden.
Kersh lässt abwechselnd mehrere Männer der Truppe erzählen. Der junge, siebzehnjährige Andrej erzählt, genauso wie der erfahrene Klemen. Oder Jeriza, eine junge Frau, die auf der anderen Seite der weggespülten Brücke auf die Truppe wartet.
Trotz all der schwere des Themas, der Brutalität des Krieges (und ja, manchmal muss man tief durchatmen dabei) kommt die Erzählung leicht, flüssig daher, und vor allem sehr bildhaft. Die Ansichten der verschiedenen Charaktere mit all ihren Ängsten, Sorgen, Nöten, aber auch Hoffnungen und Blicke auf ihre Vergangenheit sind stilistisch ein perfektes Zusammenspiel. Während des Lesens ist man selbst an der Brücke, kennt seine Mitstreiter in und auswendig, packt an, hilft mit und hört die Kugeln um den eigenen Kopf pfeifen, während der Fluss sich zu einem brüllenden Monster aufbäumt. Ganz große Erzählkunst ist das. – und somit eine ganz große Leseempfehlung trotz oder vielleicht gerade wegen des Themas.

Cover des Buches Hirn und zehn Finger (ISBN: 9783927734975)
aus-erlesens avatar

Rezension zu "Hirn und zehn Finger" von Gerald Kersh

aus-erlesen
Faustregel des Krieges

Man fragt sich immer wieder, wie es derart kleine Bücher (und damit ist allein nur die haptische Dimension gemeint) immer noch und immer wieder schaffen Vergangenheit und Gegenwart so eindrücklich zu vereinen. Jugoslawien 1943. Die italienische Armee führt Krieg auf fremden Boden. Eine kleine Gruppe von ... ja, was sind sie denn?: Slowenen, Kroaten, Serben? Kämpfer? Widerständler? … Menschen! Mit Anstand, Mut und Charisma beraubt die Aggressoren ihrer Munition. Munition im wortwörtlichen Sinne. Um ihrem Mut selbst Munition zu geben – im wortwörtlichen als auch im übertragenen Sinne. In den Wäldern sind sie sicher. Zumindest sicherer als auf weiter Flur. Doch die Sicherheit trügt. Die italienischen Soldaten kommen näher, durchforsten jeden Quadratzentimeter. Flucht oder Angriff? Flucht. Ja, weil sie nur einem Ziel dient: Endlich entscheidend anzugreifen. Die Beute soll die Wende herbeiführen. Und wenn nicht, dann wenigstens einen herben Rückschlag erzeugen.

Es sind junge Männer, vielleicht sogar noch halbe Kinder, die mit dem Mut der Verzweiflung nur ein Ziel kennen: Durchkommen, damit der Diebstahl der Munition nicht umsonst war. Doch die Flucht durch die Wälder, über Berge und Flüsse ist kein Zuckerschlecken. Die einzige Brücke ist hinweggeschwemmt worden. Eine Durchquerung des Flusses äußerst riskant. Blauäugig oder wohl durchdacht? Die Flussquerung wird zum Abenteuer.

Die Gruppe von Partisanen ist ein wild zusammengewürfelter Haufen. Auf dem Papier passen sie gar nicht zusammen. Doch der gemeinsame Feind lassen das Pamphlet der Vorurteile zusammengeknüllt im Morast der Zweifel verrotten. Nicht alle werden durchkommen. Niemand wird Zeit haben die Toten zu betrauern. Und nicht alle werden das ersehnte Ziel erreichen.

Gerald Kersh wacht über diese Truppe vermeintlicher Nichtzusammenpassender wie eine mütterliche Drohne. Er dirigiert sie in die richtige Richtung. Schonungslos lässt er Träume platzen. Unbarmherzig erzählt er ihre Geschichte. Ein kleines Buch, das jedoch auf jeder Seite so bedingungslos offen der Welt die Fratze der Gewalt zeigt. Wer Mut hat, kennt keine Grenzen. Ein Fluss ohne Brücke muss nicht zwangsläufig unüberwindbar sein. Nationalitäten und Ressentiments sind auf Papier gehaltene Klischees, für die das Leben der ultimative Tintenkiller ist. Ein braucht nicht viel, um voran zu kommen. Manchmal reichen ein Hirn und zehn Finger, um Großes zu schaffen.

 

Cover des Buches Die Toten schauen zu (ISBN: 9783927734746)
Gwhynwhyfars avatar

Rezension zu "Die Toten schauen zu" von Gerald Kersh

Gwhynwhyfar
Gänsehaut

»Heinz Horner erkannte, dass Bertsch phantasierte, und sagte: ›fettes Schwein.‹ Er rüttelte Bertsch an der Schulter. Bertsch versuchte, ihn zu beißen. Einer der drei namhaftesten Chirurgen der Welt sagte: ›Sie tun ihm furchbar weh.‹ Horner zuckte mit den Achseln und Bertschs Qual war solcher Gestalt, dass selbst eine kleine Störung in Form eines Achselzuckens ihn aufheulen ließ wie einen Hund.«

Gerald Kersh, ein Meister des Noir, dies 1943 geschriebene Buch, neu aufgelegt vom pulp master Verlag sollte Schullektüre sein. Denn kann die Wahrheit zu brutal sein? Sie muss brutal sein, damit wir verstehen und nicht vergessen. Dieser Roman ist eine Abrechnung mit dem Kriegsverbrechen, das die Nazis im tschechischen Lidice begangen hatten, damit diese Taten nicht in Vergessenheit geraten. Die Geschichte geht zurück auf das Attentat auf Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, im besetzten Prag am 27. Mai 1942, der die Zerstörung des Dorfes Lidice als Vergeltungsmaßnahme am 9. Juni 1942 befahl: Zerstörung, Erschießung, Deportierung.

Das Dorf nennt sich hier Dudicka. Ein verschlafenes Nest, versteckt in den idyllischen Bergen, wunderschön beschrieben. Wir lernen Anna und Max kennen, die sich zum ersten Mal küssen. Alles ist friedlich. Doch dann wird in der Nähe der SS-Obergruppenführer Bertsch von einem vorbeifahrenden Motorradfahrer erschossen. Am Rand von Dudicka finden die Deutschen ein Motorrad. Der Mörder muss in diesem Dorf stecken. Ziemlich schnell ist auch klar, das Motorrad ist uralt, verrottet, funktioniert nicht mehr. Doch darum geht es schon gar nicht mehr, an den unschuldigen Dorfbewohnern wird ein Exempel zu statuiert.

»Der Hauptmann deutete auf eine vergilbte Fotografie in einem Rahmen, die einen Mann mit Vollbart zeigte. ›Der Weihnachtsmann?‹, fragte er. ›Oder Karl Mordechai Marx?‹ ›Mein Vater, Herr Hauptmann, ein guter Mensch.‹«

Häuser werden systematisch durchsucht, sämtliches Metall wird abmontiert, mit dem Kirchendach wird begonnen, die Männer, Kinder, Frauen werden getrennt eingesperrt.

»›Klang wie ein Maschinengewehr, Onkel Karel“, sagte Max. ›bedeutet es, dass es Probleme geben wird, Vater?‹, wollte Anna wissen. ›Nein. Es bedeutet Untergang‹, erwiderte der Lehrer gelassen.«

Die Dorfbewohner verstehen nicht, was vorgeht, der Wald mit den Walnussbäumen wird abgeholzt, ihr Vermögen. Max und Anna konnten in eine Höhle fliehen, halten sich an den Händen, ahnen nur in Fragmenten, was unten im Dorf vor sich geht. Kersh beherrscht es, den Leser immer wieder aus wunderschönen, idyllischen Augenblicken ins Grauen zu werfen. Selbst in dieser Situation gibt es unter den eigenen Leuten Verräter, die Glauben, auf diese Weise heil aus der Sache herauszukommen.

»Anfangs habe ich gedacht, dass sie Menschen sind, schlechte Menschen zwar, aber Menschen. Nun, es sind keine Menschen. Und sie betrachten uns nicht als Menschen. Weißt du, was sie sagen? Ich habe sie das oft sagen hören: Slawen sind Sklaven. Sie würden einen Hund besser behandeln als jeden von uns.«

Deutsche Gründlichkeit und Genauigkeit kommen zu Tage. Hier wird von Anfang an alles sauber getrennt: Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Messing, durchgerechnet, wie viele Kugelhüllen mit einem Kerzenständer hergestellt werden können. Skurrile, komische Szenen entstehen, denn die Dorfbewohner nehmen den Feind hin als Zerstörer, wissen nicht, was folgen wird. Doch irgendwann ist auch dem Dümmsten klar, weshalb sie eine tiefe Kuhle ausheben sollen.

»Das wird heute Nacht unser Bett sein. Unsere Körper werden zu Blumen und Gras und unsere Seelen gehen zu Gott. Habt Mut, denn das ist nicht unser Ende. Unsere Toten schauen uns zu, meine Brüder.«

Am Ende verbleibt keine Menschenseele zurück. Das Dorf liegt in Schutt und Asche. Insgesamt 405 Personen, denen 90 Häuser und eine Kirche, ein Fluss, ein Steinbruch, Obsthaine und Walnussbäume Heimat bedeuten, ist niedergewalzt. Erschossene Männer, deportierte Kinder, alle, die germanisierbar erscheinen, werden in Pflegefamilien gegeben, die Frauen geschunden verschleppt in Armeebordelle oder in Konzentrationslager.

»Seine elegante, neue Uniform hing an ihm wie an einer Schneiderpuppe. Unter einer geradezu ungebührlich keck aufgesetzten Uniformmütze funkelten Brillengläser, rund wie die Augen einer Eule. Der Schirm der Mütze warf einen Schatten auf die unauffällige Nase, den ebenso unauffälligen Schnurrbart und auf einen Mund, der aussah wie von einem Messer geschlitzt.«

Beginnt man zu lesen, ist klar, wie die Sache endet. Aber zu lesen, wie es geschieht, lässt den Leser eine Gänsehaut hochkriechen, lässt ihn erschüttert zurück. Ein Buch gegen das Vergessen, das in der heutigen Zeit hochaktuell. Sprachlich gekonnt, mit erzählerischer Kraft, ein Buch, das zur Pflichtlektüre gehört.

Kersh, 1911 in eine Familie englischer Juden geboren, war während des Zweiten Weltkriegs ein Bestsellerautor. Er starb verarmt 1968 in den USA, ganz vergessen war er jedoch nie. Sein großartiger Noir »Nachts in der Stadt» wurde zweimal prominent verfilmt.

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