Cover des Buches Ein bitterkalter Nachmittag (ISBN: 9783630873428)
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Rezension zu Ein bitterkalter Nachmittag von Gerard Donovan

Rezension zu "Ein bitterkalter Nachmittag" von Gerard Donovan

von Claudia-Marina vor 13 Jahren

Rezension

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Claudia-Marinavor 13 Jahren
Heute werde ich etwas machen, was ich bisher noch nie gemacht habe – ich beginne eine Rezension, obwohl ich das Buch noch nicht ganz gelesen habe. Vielleicht auch weil ich das Buch noch nicht ganz gelesen habe. Denn dieses Buch raubt mir den Atem – so kalt ist es – weiße Atemwölkchen. So bedrückend ist es – Zittern am ganzen Körper. Etwas Schlimmes wird passieren, etwas ganz fürchterliches, unaussprechlich Grausames – und ich werde es nicht aufhalten können. Ich kann nur lesen. Selten habe ich mich schon nach wenigen Seiten so erdrückt und hilflos einer Situation ausgeliefert gefühlt. An einem Winternachmittag wird ein Mann von zwei Soldaten abgeholt und auf ein Feld geführt. Ihm wird eine Schaufel in die Hand gedrückt – Grab! sagen sie – und gehen. Dann stellt sich ein anderer Mann neben das Loch. Er überwacht den ersten Mann, den Bäcker des Dorfes. Die beiden kennen sich – von früher – von vor dem Krieg, der andere war der Geschichtslehrer, hat den Bruder des Bäckers unterrichtet. Lastwagen rollen heran und bringen Menschen, die schweigend am Rand des Feldes stehen und zusehen. Der Bäcker gräbt. Der Lehrer sieht zu und raucht. Stille. Dann richtet der Lehrer sein Wort an den Bäcker, „Wollen wir uns unterhalten?“ Was klingt wie ein freundliches Angebot entwickelt sich in einem philosophischen Dialog zu einer Art geistigem Kräftemessen. Was ist böse? Um diese zentrale Frage dreht sich die gesamte Unterhaltung – Standpunkte werden dargelegt, Positionen bezogen – und ich als Leser gerate in eine Zwickmühle – muss ich mich für eine Position entscheiden oder kann ich auch zwischen den Stühlen sitzen bleiben? Ein Kammerspiel. Ein Loch im Feld und zwei Personen. Auf diesem begrenzten Raum spielt sich die ganze Handlung von Ein bitterkalter Nachmittag ab – an einem einzigen Nachmittag. Einerseits will ich unbedingt wissen, wie dieser Dialog, dieser Nachmittag zu Ende geht, wer den Schlusspunkt setzt – andererseits aber auch nicht. Es wird dunkel werden – und danach? Es ist ein neuer Nachmittag – nicht mehr ganz so bitterkalt. Noch immer bin ich fasziniert vom schriftstellerischen Können des Gerard Donovan – von seinem Geschick so viel auf so wenig Platz unterzubringen – eine ganze Welt, zwei ganze Leben auf einem Feld am Rande eines Loches. Von der Art, mit welcher Unemotionalität er es schafft, die Grauen eines Bürgerkrieges darzustellen – und mich damit dennoch zu berühren. Von der Art, wie er seine Protagonisten zeichnet – zwei Männer auf Augenhöhe. Und wie er mir zuletzt die alles entscheidende Frage stellt – Bin ich der Lehrer oder der Bäcker?
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