Cover des Buches Ausgehungert (ISBN: 9783813503951)
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Rezension zu Ausgehungert von Gerard Woodward

Rezension zu "Ausgehungert" von Gerard Woodward

von M.Lehmann-Pape vor 13 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 13 Jahren
Kriegszeiten und Neuanfänge Keine der Personen im Buch taugt und dient in letzter Konsequenz als eindeutiger Sympathieträger, das wird schon auf den ersten Seiten des Buches deutlich, die Gerard Woodward (wie auch für den Rest des Buches gilt) glänzend erzählt und mit einem hohen Gespür für die Psychologie seiner Protagonisten und die Atmosphäre der Zeit gegen Ende des zweiten Weltkrieges und der Folgejahre in den Raum stellt. Auch wenn im lauf der Zeit ein hohes Verständnis für die eigentliche Hauptperson, Tory, in den Raum treten wird. Tory, mit dem „erschöpften und abgespannten Gesicht einer dreifache Mutter (zwei Mädchen und ein altkluger Sohn) und einfachen Ehefrau“, sucht ihren Weg im London der Kriegsjahre. Die Kinder evakuiert, der Mann an der Front, irgendwo in Nordafrika. Die Arbeit in der Gelatinefabrik und die Mutter nun auch noch mehr als Bürde denn als Hilfe im Haus. Eine Mutter, die hartnäckig ihren Interessen folgt, die nicht klein beigibt, weder beim Metzger noch bei der Tochter. Eine Frau, deren Verhältnis zur Tochter durchaus als angespannt zu bezeichnen wäre. „Sie machte sich Vorwürfe, weil sie so schlecht über ihr eigenes Kind dachte“. Selbstvorwürfe, die sie allerdings nicht davon abhalten, weiterhin der Tochter höchst kritisch gegenüber zu stehen. Harte Zeiten für Tory, keine Frage. Und dazu bald ein Mann, der bald in Gefangenschaft gerät und vor allem eines als Unterstützung von seiner Frau begehrt: Leidenschaftliche, möglichst sexuell direkte Briefe. So schmutzig wie nur irgend möglich. Tory soll so richtig vom Leder ziehen und sich keine Zwänge antun. Ein Ansinnen, dem Tory nachkommen wird, nachdem sie zunächst empört ablehnt.. Nicht nur aus der Fantasie heraus, sie wird in dieser Hinsicht durchaus Erlebtes schreiben können (während Donald, der Mann, noch von reinen Fantasien ausgeht). Ein Elreben mit einem anderen Mann, das trotz aller Wirrnisse sich als stützend für Tory bis zum Ende der Geschichte herausstellen wird. Briefe zudem, die sich rächen werden. Später. Allein aber schon die Entwicklung dieser Briefe, das langsame sich Herantasten Torys an jene sexuelle Offenheit, ihre eigentlich romantische Sprache und die ständigen, deftigen Nachfragen Donalds zeigen ein interessantes und lesenwertes Psychogramm dieser Ehe und der beteiligten Personen auf. Tory, die sich entwickelt, entfaltet und doch innerlich Distanz wahrt und Donald, der drängt und das Seine einfach haben will. Auch eine Geschichte des Scheiterns aneinander ist dieser Roman. Ein Ehe-Psychogramm, das ab dem zweiten Teil des Buches, beginnend mit Donalds Rückkehr nach London, mehr und mehr den Schwerpunkt des Romans bildet und sich zu einem Familiendrama der schleichenden Art entfaltet. Ein Drama, dass auch eines der Kinder massiv betreffen wird. Eine Geschichte, in der Tory mit einer ganz eigenen Strategie ihre Freiheit sich erkämpfen wird. Notgedrungen. Ein „langwieriges und kompliziertes Unterfangen“, aber besser als der Gedanke, ihren Mann einfach umzubringen, den sie durchaus nach einer Weile zunächst drängend in sich spürt. Einen Entwicklungsroman der besonderen Art legt Woodward vor, in dem wenig so ist, wie es auf Anhieb erscheint, in dem er intensiv seinen Figuren nachgeht und eine ganz eigene Atmosphäre zu schaffen versteht. Eine Atmosphäre, die das menschliche Verlangen in den Raum setzt, das über Essen, Trinken und Sex hinausgeht und sich doch in diesen elementaren Grundbedürfnissen weiterhin sichtbar Bahn bricht. Und ein Buch über die schwierige bis unmögliche Austarierung in Beziehungen, in dem Tory fast am Ende des Buches erleben muss, wie ihre Briefe sie noch einmal einholen werden. Sensibel, intensiv, lesenswert. Ein emotionales und atmosphärisch dichter Roman, der das ein oder andere Auge zu öffnen versteht.
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