Lange hat es gebraucht bis ich mich endlich ans Lesen dieses Buches gemacht habe. Im Grunde genommen bin ich keine Krimileserin – von einigen Ausreißern abgesehen – und das war hier meine größte Sorge. Völlig unbegründet, wie sich herausstellte. Was ich gelesen habe war ein astreiner, gut geschriebener Roman mit viel Poesie, Einsicht und halt auch einigen Toten und sehr viel Schnee.
Max Schreiber ist Historiker in Wien mit Schwerpunkt Hexenverfolgung und entschließt sich mehr aus der Not heraus in ein kleines Bergdorf in Tirol zu reisen. Sein Interesse gilt dem Fall einer Frau die vor Jahrzehnten hier in den Flammen umgekommen war, von der es hieß, sie sei eine Hexe, von der die abweisenden Heimischen gar nicht gern erzählen. Hier an diesem Ort, der vom harten Überleben und dem Auf-einander-Angewiesensein der Bewohner geprägt ist, hat sogar der Pfarrer den Glauben an Höheres verloren:
„Es gab eine Zeit, da glaubte ich, dass alles auf dieser Welt gottgewollt ist und einen Sinn hat. Alles, verstehen Sie? Alles! Heute reicht schon der Gefrierpunkt, und ich fang an, riesige Fragezeichen hinter die ganze Schöpfung zu machen.“
Aus dem exotischen Beobachter wird zunächst der Beobachtete, zu groß ist das Misstrauen, das ihm die Bevölkerung entgegenbringt. Warum soll ein Wiener auch in alten Dorfgeschichten herumschnüffeln? Doch Max ging nicht ganz freiwillig. Eigentlich war er auf der Flucht vor der einsamen Wohnung, die zurückblieb, als seine Freundin ihn verlassen hat. Mehr als das Schreiben des Buches steht also zunächst der Abschluss der Beziehung und die Trauerarbeit darüber im Vordergrund des Aufenthaltes, das Verweilen und Nachdenken über die schönen Tage und Abende „als sie beide noch nicht vom Alltag eingeholt waren, vom täglichen Aufstehen, Arbeiten, von dieser immer mehr und mehr sich einschleichenden Schwere, diesen Bahnen, die sich wie Schienenstränge durch das Leben zu ziehen begannen, einhergingen mit Ernüchterung, mit Gewohnheit, mit Fantasielosigkeit und geschlossenen Fenstern bei Regenwetter“.
Nach und nach wird es ihm aber zum Bedürfnis nicht nur durch die Bergwelt zu spazieren, sondern auch Teil der Gemeinschaft zu werden. Man bittet ihn im Gasthaus, das ihm Unterkunft bietet, zum Kartenspiel, zum Stammtisch. Er arbeitet mit im Holz. Und mehr als alles andere genießt er die freundschaftlichen Schulterhiebe, die ihm als anerkannten Teil der Gemeinschaft ausweisen.
Doch all dies tritt in den Hintergrund als er Maria sieht, die der Dorfgemeinschaft angehört, mehr noch, von einem der ihren geliebt und umworben wird. Schreiber fühlt sich zur stummen Frau hingezogen, geschuldet auch dem nicht verarbeiteten Verlust der alten Liebe. „..vielleicht“, denkt er „beginnt der Niedergang jeder Beziehung erst, wenn man beim Frühstück anfangen muss zu reden, weil einem die bloße Anwesenheit des anderen nicht mehr genügt, weil die Zeit der Worte angefangen hat, mit der man die Welt nun ausschmückt am Frühstückstisch, und weil die Zeit der Worte angefangen hat, hat auch die Zeit der Phrasen angefangen, die Zeit der Wiederholungen, die Zeit der Lügen, die Zeit, in der die Lippen gelernt haben, Worte zu formen und dem anderen hinzureichen, während die Gedanken gleichzeitig auf Reisen gehen“. Doch sein Konkurrent um das Herz Marias gibt sich nicht einfach geschlagen und im zunehmenden Schneefall und der Bedrohung durch die Schneelasten schlägt auch die Stimmung im von der Außenwelt abgeschnittenen Dorf um …
In die Kulisse der Bergwelt Tirols webt Jäger parallel die Geschichte von Max Schreiber und die Geschichte der Heimkehr eines alten Mannes ins Innsbruck der Gegenwart zusammen. Er tut dies geschickt und sprachlich sehr gekonnt – das Buch war ein wahrer Lesegenuss – während die Verschlossenheit der Dorfbewohner, der Aberglaube, das Mysterium der brennenden Frauen und ein Mord den Leser bei der Stange halten. Leider ist der Autor schon tot, aber schreiben konnte er gewiss! Der Roman ist durchdacht und wunderschön komponiert. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!