"Sie würde nie den Augenblick im Badezimmer vergessen... Niemals dieses Gesicht, welches sie anstarrte, fremd und emotionslos - nur um dann zu erkennen, dass es ihr eigenes war. Und Aidans Gesichtsausdruck. Von stummem Entsetzen gekennzeichnet und aller Hoffnung beraubt (...) Es hatte ihr das Herz zerrissen und das bisschen Kraft, das ihr geblieben war genommen....Waren diese beiden Gesichter im Spiegel alles, was noch übrig war?....Und würde sie sich bis an ihr Ende immer wieder die gleichen Fragen stellen? Fragen, die ihr niemand beantworten konnte.... (...) Bis auf ihre Gedankenwelt war nichts mehr übrig von der alten Katelyn. Es geschah schnell und ohne jeglichen Übergang. Und bevor es noch weiterging, musste sie handeln. Etwas tun, damit sie nicht kommentarlos und ohne Gegenwehr in eine andere Sphäre glitt, in der sie sich selbst nie mehr wiederfinden würde." ( Zitat aus dem Buch )
Das Dunkle hat Besitz von ihr ergriffen. Eine innere Kälte legt sich auf ihre Seele und breitet sich wie eine Decke über jegliches Gefühl, erstickt es im Keim. Und mit der inneren Kälte beginnt der körperliche Zerfall.
Was kannst du tun, wenn alle um dich herum vor Schmerz und Schrecken erstarrt sind, hilflos und machtlos? Wenn niemand Ursprung und Antworten kennt?
Welchen Weg wirst du gehen, wenn du demjenigen, den du mehr als dich selbst liebst den größten Schmerz zufügst und nichts dagegen tun kannst?
Wieviel bist du bereit zu riskieren, wenn mit deinem eigenen Zerfall auch deine Umgebung von der Dunkelheit befallen wird und das Gleichgewicht der Welten in Gefahr ist? Wenn deine einzige Hoffnung auf einer fragwürdigen Vision beruht? Wirst du ihr folgen?
"Sie wird springen, Maddyghan. Aber es wird nicht Slaine sein, in den sie eintaucht, um sich und ihr Baby zu retten." (Zitat aus dem Buch)
Was für eine Geschichte! Fast schon poetisch, tiefgründig und so absolut berührend. Ich sitze jetzt schon Stunden, nachdem ich das Buch beendet habe, immer noch sprachlos und in meinen Gedanken versunken hier und versuche all meine Empfindungen in Worte zu fassen. Und nichts wäre ausreichend um das zu beschreiben, was beim Lesen mit mir geschehen ist. Gerti Dienel hat mit diesem Finale den perfekten Schlusspunkt für ihre Trilogie um die Anderswelt gesetzt. Sie hat mich ergriffen, innerlich zerrissen, mich wieder zusammengesetzt und sehr nachdenklich zurückgelassen. Dieses Buch wird immer einen Platz in meinem Herzen haben.
Inhalt:
„Niemand weiß, dass ich hier bin, wo ich bin. Und niemand wird kommen, um mich zu retten …“
Die dunkle Macht, die von Katelyn Besitz ergriffen hat, breitet sich gnadenlos in ihr aus. Die eisige Kälte macht sie zunehmend handlungsunfähig und gefährdet ihr ungeborenes Kind. Ihr Umfeld muss hilflos dabei zusehen, selbst Aidan schafft es nicht mehr zu ihr durchzudringen.
Auch die Götter sind machtlos. Nur einer scheint mehr darüber zu wissen – der geheimnisvolle Seher Hiromin.
Katelyn muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen, die das starke Band der Gefährten auf eine harte Probe stellt. Mit angehaltenem Atem warten alle auf den drohenden Untergang von Annwn.
Wird Katelyn es schaffen, die Quelle dieser dunklen Macht zu ergründen und das Gleichgewicht beider Welten wieder herzustellen?
Meinung:
"Nur die, die stark sind, werden vom Schicksal mit Ballast belegt, den andere niemals tragen könnten." Sie suchte seinen Blick. Nachdem er den Inhalt seines Glases halb geleert hatte, hob er den Kopf und sah Maddy mit matten Augen an. "Viele sind an dieser Last zerbrochen." (Zitat aus dem Buch )
Bedrohlich, düster und ohne jede Hoffnung beginnt der finale Band der Secrets of Annwn Trilogie. Der Schutz, der auf dem einst so sicheren Anwesen Soul Manour lag scheint Risse bekommen zu haben. Das Dunkle, das von Katelyn Besitz ergriffen hat, hat sich auch der Heimat der McGoohans bemächtigt. Die Kälte greift im gleichen Sinne um sich, wie die innere Kälte Katelyns voranschreitet. Und mit ihr geht die Machtlosigkeit, der Schmerz und die Verzweiflung seiner Bewohner einher. Nicht einmal die Götter der Túatha Dé Danann finden den Ursprung von Katelyns Zustand und können helfen. Doch sie spüren, dass gleichzeitig mit dem Zerfall Katelyns und dem Dunklen noch weitere Veränderungen einhergehen, die sich auch auf Annwn und das Gleichgewicht der Welten auswirken. Der Stein des Lichts wurde gestohlen, Katelyns Freundin Deirdre entführt. Die Bruderschaft von Cumhaill, eine Gruppe fanatischer Alchimisten greift nach göttlicher Macht, während die Macht der Götter an ihre Grenzen stößt und etwas bedient sich der Macht von Tipra Slaine, der Quelle des Lebens.
Während Menschen und Götter fieberhaft nach Antworten suchen, weiß Katelyn instinktiv, dass sie sich allein auf einen gefährlichen Weg machen muss, auch wenn es denjenigen verletzt, den sie über alles liebt.
"Du darfst nicht zweifeln, erinnerst du dich...? Ich liebe dich, mein Gefährte..." Er hörte ihre Stimme noch in den Ohren. Immer wieder fand das Echo ihrer Worte einen Weg in seinen Kopf. Und er wusste nicht, was mehr schmerzte: Die Gewissheit, dass sie sie ausgesprochen und in diesem Moment bereits gewusst hatte, dass sie ihn verlassen würde - oder die Tatsache, dass er gezweifelt und es deswegen nicht schon vorher erkannt hatte. ( Zitat aus dem Buch )
Schon in den ersten Zeilen der Handlung wird der Leser in Alarmbereitschaft gesetzt. Es geschehen Dinge, die bedrohlich und nicht greifbar sind. Gestützt durch die bedrückende Stimmmung, die Angst und den Schmerz der Charaktere begeben wir uns voll böser Vorahnung auf eine Suche, die uns kaum zu Atem kommen lässt. Es geschieht vieles an verschiedenen Orten, von dem wir spüren, dass es in einem Zusammenhang steht, den wir nicht begreifen. Die Fragen überschlagen sich mit jeder neuen Entdeckung und jedem Ereignis. Und doch tappen wir im gleichen Maße im Dunkeln, wie die Charaktere. Denn gleich einer Schnitzeljagd erfahren wir nie mehr als die handelnden Personen, deren Weg wir gerade begleiten. Genau wie sie drängen wir auf Antworten, denn eines ist gewiss, die Zeit drängt, die Bedrohung der Welten ist nicht mehr fern.
Es ist wahnsinnig spannend, sich in dieser sehr komplex aufgebauten Handlung Stück für Stück voran zu arbeiten, Rätsel zu entschlüsseln und Zusammenhänge, die zunächst gar nicht deutlich sind herauszufinden. Immer wieder finden wir Puzzleteile und kombinieren, während die Zeit unaufhaltsam läuft. Die Spannung bleibt so bis zum Schluss konsequent auf einem extrem hohen Niveau, steigt sogar bis zum alles entscheidenden Finale an, bei dem alle Fäden auf wunderbar stimmige Weise zusammenführen. Es ist kaum möglich, das Buch aus der Hand zu legen. Dennoch habe ich mich gerade dazu gezwungen, weil die Geschichte neben ihrer fantastischen Handlung um den walisischen Mythos der Anderswelt Annwn und die Götter der sagenumwobenen Túatha Dé Danann noch so viel mehr zu bieten hat.
Ich habe selten ein Buch erlebt, das seinen Fokus so sehr auf das emotionale Erleben seiner Charaktere legt und sich dabei nicht nur auf die Protagonisten Katelyn und Aidan konzentriert, sondern auch tief in die Gefühle ihrer Familie, ihrer Freunde und sogar der Antagonisten eintaucht. Jede Empfindung, ob es Zweifel, Angst, Schmerz, Hass oder Glück sind, wird uns auf sehr eindrückliche Weise und teilweise sehr schonungslos näher gebracht. Es gibt keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Die Gefühle überfluten uns beim Lesen und bringen uns jede einzelne Figur auf ihre ganz eigene Art sehr nahe. Auch wenn wir es bei manchen eigentlich gar nicht wollen, deren Fanatismus und Machtgier mehr als erschreckend ist.
Es hat mir das Herz gebrochen und mich innerlich zerrissen zu sehen, wie der stolze Weltenläufer Aidan an dem Verlust seiner Gefährtin, an seinen Zweifeln und an den Schuldgefühlen zerbricht. Seine Verzweiflung und seine von Angst getriebene Suche bis an den Rand der Erschöpfung haben mir die Tränen in die Augen getrieben, so sehr hat es mich berührt. Und es gab Momente, in denen ich das Buch beiseite legen musste, weil mich der Schmerz mit voller Wucht getroffen hat, den er durchlebte.
"Sein Gesicht war schmerzerfüllt und er schrie laut ihren Namen. Mit beiden Fäusten schlug er mit gewaltiger Kraft gegen den unsichtbaren Schild... Immer wieder und wieder, seine Lippen zu einem einzigen flehenden Wort geformt: Ihrem Namen...." ( Zitat aus dem Buch )
Auch Katelyn, die tapfer gegen ihr Schicksal ankämpft und gleichzeitig mit ihrem Gewissen hadert, ihren Gefährten allein zurückgelassen zu haben, hat mich sehr berührt. Die Erfahrungen, die sie auf ihrem Weg durch Annwn macht, verändern ihre Denkweise und lassen sie vieles in einem neuen Licht sehen. Für mich gewinnt sie von allen am meisten an innerer Stärke und Einfühlungsvermögen und die Art, wie sie lernt das Wesen der Menschen, Götter und auch der Unclaimed mit all ihren Qualen oder liebevollen Seiten tatsächlich wahrzunehmen ist sehr ergreifend. Katelyn sieht in die Seele, akzeptiert, respektiert und versteht, trotz ihrer eigenen Probleme. Das macht sie zu einer Protagonistin mit der wir uns identifizieren können.
"Entschuldige dich nicht für deine Gefühle, Aidan. Das sollten wir niemals tun." ( Zitat aus dem Buch )
Neben den schmerzvollen und traurigen Emotionen, begegnen uns aber auch die helleren romantischen Momente, in denen Menschen und Götter die Liebe finden, wo sie sie am wenigsten vermuten würden, oder sich ihre Einsamkeit eingestehen und zu ihrer Liebe zurückfinden. Auch diese Szenen sind wundervoll geschrieben. Lassen uns die Zeit einmal zu schmunzeln, oder in dem Wunder des zärtlichen Zueinanderfindens schwelgen. Denn immer wo Dunkelheit ist, scheint auch irgendwo ein Licht und zeigt uns den Weg.
Wenn man in dieses Buch eintaucht, hat man das Gefühl, es lebt und atmet. Denn es ist so detailliert, voller magischer Bilder und voller Gefühl geschrieben. Nicht nur seine Charaktere erwachen zum Leben, sondern auch die wundervolle Umgebung von Wales und die Parallelwelt Annwn. Selbst das alte Anwesen Soul Manour wirkt lebendig und scheint eine Persönlichkeit zu besitzen.
"Der Winter war eindeutig eingekehrt. Schon belegte er die Natur mit einer weißen Schicht aus klirrender Kälte. Fraß sich Stück für Stück bis an die riesigen Fenster des Herrenhauses und hinterließ bizarre Muster aus eisigen Linien auf dem kalten Glas. Die Wächter - mysteriöse Tierfiguren, die hoch über den Säulen vor dem Eingangsbereich und an den Seiten des alten Gemäuers thronten - schienen ihre steinernen Körper trotz aller Widrigkeiten stumm und kraftvoll dem Schneegestöber entgegenzustellen. Stark und unversehrt. Und doch konnten auch sie nicht verhindern, dass das "Dunkle" alle noch so kleinen Ritzen im Mauerwerk fand und es durchdrang. Lange schon wand es seine unsichtbaren Fangarme um alles und jeden, das seinen Weg kreuzte, benetzte es mit einer Kälte, in der der Schnee vor dem Haus seinen Meister fand und sich grollend zurückzuziehen schien..." ( Zitat aus dem Buch )
Es ist nicht leicht zu beschreiben, mit welch wunderbarer Feder Gerti Dienel schreibt, die eine solche Empfindung beim Lesen hervorruft. Ihr Stil konzentriert sich sehr gekonnt auf die Stimmung und die Gefühle, die sie beim Leser erzeugen will. Mal ist es die besondere Wahrnehmung der Landschaft und des Umfeldes und mal sind es die Emotionen und Gedankengänge ihrer Charaktere, die etwas bei uns bewirken. Dies erfolgt auf fast schon poetische und sehr feinfühlige Art. Nichts entbehrt unserer geistigen Vorstellung. Es läuft fast schon wie ein Film vor unseren Augen, bei dem wir jede Regung im Gesicht seiner Protagonisten erkennen können und die Orte des Geschehens direkt vor uns sehen. All diese Bilder, die uns auf geistig visueller Ebene erreichen treffen uns unmittelbar und schonungslos auf emotionaler Ebene. Sie lassen uns fühlen, erzeugen Schaudern, Grauen, Hilflosigkeit und Schmerz, aber auch das zarte Gefühl von Wärme und Zusammenhalt. Es ist einfach grandios, wie die Autorin mit ihren Worten Empfindungen in uns auslöst und manifestiert. Und immer wieder erstaunt es mich, wie sicher und gut recherchiert sie sich in der Welt der Túatha Dé Danann mit ihren Göttern, Mythen und ihrer altkeltischen Sprache bewegt. Es fühlt sich sehr real an. Als wäre all das genau so geschehen....
"Du bist der Spiegel dessen, was wir als gegeben betrachten und durch unsere eigene Unachtsamkeit verloren haben. Aber keiner von uns hat es gemerkt. Niemand konnte es erkennen, bis du es uns vor Augen geführt hast: unser Versagen..." ( Zitat aus dem Buch )
Was mich allerdings am meisten beeindruckt hat, ist die deutliche Aussage der Geschichte, die die Autorin nicht nur glaubhaft für die Welt Annwns vertritt, sondern auch gleich einem Spiegel auf uns und unser Verhalten transportiert. Wir erkennen uns wieder, ob wir wollen oder nicht. Denn es geht um das Sehen mit anderen Augen. Um das wirkliche Erkennen verborgener Werten, innerer Schönheit und das Aufheben von Vorurteilen. Es geht um Respekt und die Macht der Liebe und Zuneigung, die alles bezwingen kann, wenn man reinen Herzens für das kämpft, was man liebt und beschützen will. Wenn man sich öffnet und lernt zu verzeihen, anderen und sich selbst. Die Liebe ist das stärkste Band. Sie kann diejenigen besiegen, die nach Macht streben, um sie für eigene Zwecke zu nutzen und sie erstaunt selbst diejenigen, die ihre vorhandenen Gaben zu überheblich genutzt haben und an ihre Grenzen stoßen. Sie sollte der Grundstein für jeden Neubeginn sein, um eine Welt zu schaffen, in der wir in Frieden leben können.
"Der Schnee wird schmelzen und mit ihm die Last des Vergangenen. Übrig bleibt der Keim eines neuen Halmes, der alles wieder frisch erblühen lassen wird." ( Zitat aus dem Buch )
Fazit:
"Secrets of Annwn - Der Stein des Lichts" ist ein wundervolles,ergreifendes und emotionales Werk voller Poesie, das uns seine Wahrheiten auf schmerzvolle Art vor Augen führt. Ich kann nur jedem ans Herz legen sich darauf einzulassen und zu fühlen.