Rezension zu "Demokratie im Sinkflug" von Gertrud Höhler
Wenn die Tastaturen heiß laufen, damit Bücher rechtzeitig fertig werden, kommt es mitunter zu komischen Fehleinschätzungen, über die man sich nur wundern kann. Getrud Höhler ist eine der wenigen westdeutschen Publizistinnen, die Angela Merkel früh durchschaut haben. Offenbar hat sie jedoch bei Martin Schulz erhebliche Schwierigkeiten, einen solchen Durchblick zu erlangen, obwohl das doch bei diesem ebenso merkwürdig grandios überschätzten Mann viel einfacher zu sein scheint. In diesem Buch jedenfalls legt Frau Höhler gleich zu Beginn eine umwerfende Fehleinschätzung dieses Kandidaten hin, wohl angetrieben von Umfragen zur Zeit der Niederschrift ihres Textes.
Im Grunde geht es in diesem Buch nur um Angela Merkel und den von der Autorin ausgemachten "Systemwechsel als schleichenden Gewöhnungsprozess", der im Westen Deutschlands offenbar nicht als solcher wahrgenommen wird, während man sich im Osten an vergangen geglaubte Zeiten erinnert fühlt. So einfach kann man übrigens auch die lautstarke Ablehnung erklären, auf die die Bundeskanzlerin dort trifft. Wenn eine Bundeskanzlerin der Automobilindustrie erklärt, was sie gefälligst zu produzieren hat oder wenn sie große Energiekonzerne über Nacht ins ökonomische Desaster stürzt, dann hat das mit Marktwirtschaft rein gar nichts mehr zu tun, sondern beweist nur, was die Autorin in diesem Buch noch an vielen anderen Stellen zu beweisen sucht, nämlich, dass wir uns auf dem Weg in eine autokratische Herrschaftsform befinden, unter der der Osten Deutschlands vierzig Jahre gelitten hat.
Dass die Bundeskanzlerin Verträge und Gesetze, das Grundgesetz nicht ausgenommen, nicht ernst nimmt, sondern sie aus machtpolitischen oder angeblich moralischen Gründen bricht, ist ein weiterer Punkt, den Frau Höhler deutlich anspricht, ohne allerdings konkret zu werden. Merkel hätte auch andere Dinge wenig durchdacht, beispielsweise ihre Zustimmung zur Behauptung, dass der Islam zu Deutschland gehören würde. Wenigstens an dieser Stelle belässt es die Autorin nicht bei ihren sonstigen Allgemeinplätzen, die sie allerdings mit ihren etwas selbstverliebten Formulierungskünsten so aufplustert, dass mancher gar nicht merkt, wie leichtgewichtig der Inhalt dieses Buches eigentlich ist, wenn es um das Thema Demokratie geht. Vielmehr nämlich dreht sich der Text um die politische Agenda dieser Bundeskanzlerin, wenn es eine solche überhaupt gibt. Durchdacht zu sein scheint bei der großen Vorsitzenden nämlich nicht viel. Die Kanzlerin fährt auf Sicht, heißt es in einer etwas romantischen Umschreibung dieses Zustandes. Getrud Höhler gebührt viel Anerkennung dafür, dass sie das relativ früh erkannt und geschrieben hat. Mit diesem Text greift sie ihre Erkenntnis noch einmal auf und zeigt an den jüngsten Entscheidungen der Kanzlerin, was diese wirklich antreibt.
Während der Anfang des Buches sich recht zäh dahinschleppt, wird der Text gegen Ende erheblich besser, eben weil dort Merkel, die vielen Westdeutschen immer noch ein Raute bildendes Rätsel zu sein scheint, erklärt wird. Höhlers Analysen zu "Deutschlands leiser Autokratin" sind brillant. Merkel, die nie in die CDU eintreten wollte, suchte nach der Wende nach neuen Karrieremöglichkeiten. Ihre Parteienwahl, der Demokratische Aufbruch wurde von der CDU geschluckt, und Merkel, ganz Karrieremädel, machte in diesem Apparat so lange mit, bis sie endlich die Gelegenheit zum ganz großen Wurf hatte. So kann man ihre damaligen Reden erklären, die in völligem Kontrast zu ihrer jetzigen Politik stehen. Tatsächlich bringt sie nichts an Fähigkeiten und Wissen mit, das sachlich eine belastbare Grundlage für die Führung einer großen Industrienation wäre. Ganz im Gegenteil. Und so bleibt nichts weiter übrig als die eigene Karriere, in deren zielstrebiger Verfolgung sie von überheblichen westdeutschen Männern völlig unterschätzt wurde. Die von ihr in den letzten Jahren angesammelten katastrophalen Risiken für Deutschland scheinen der Mehrheit der Deutschen nicht bewusst zu sein. Mehr noch, die Mehrheit nimmt an, dass sie das Land mit ruhiger Hand auf gutem Kurs hält.
Leider schafft es die Autorin im ganzen Buch nicht, wirklich konkret zu werden. Weder werden diese Risiken benannt, noch gar erklärt. Es geht nur immer wieder darum, dass Angela Merkel uns in ein autokratisches System führen will, das sich wunderbar in die bereits auf diesem Weg gut vorangeschrittene EU einpassen wird.
Zu dieser Schwäche kommen noch ein paar gravierende Fehleinschätzungen. Die Autorin scheint außerstande zu sein, den Ukraine-Konflikt richtig zu durchschauen. Dass sie Putin für einen Autokraten hält, ist ihr gutes Recht. Nur ist Russland ein anderes Land mit einer anderen Geschichte, anderen Traditionen und einer völlig anderen geopolitischen Situation. Da das nicht das Thema des Buches ist, muss man hier darauf nicht weiter eingehen. Ebenso wenig auf den absurden Vergleich zwischen Merkel und Katharina der Großen. Absurd ist übrigens auch Frau Höhlers Vermutung, dass sich Merkel unter Autokraten wohlfühlt und deshalb nicht härter gegen Putin oder Erdogan vorgeht. Wahrscheinlicher ist eher eine ganz andere Situation, denn im Gegensatz zur politischen Männerwelt in Deutschland oder Westeuropa tanzen diese beiden Herren nicht ergeben vor Merkel herum. Vielmehr erkennen sie sehr genau ihre Schwächen und ihre tatsächliche intellektuelle Substanz. Das verunsichert offenbar.
Stil und Attitüde des Textes sind leicht gewöhnungsbedürftig. Die Autorin liebt es englische Begriffe aus der Managersprache zu benutzen, die sie selbstverliebt auch noch kursiv setzen lässt, damit man sie ja nicht übersieht. Die Größe der Überschriften ist beachtlich, die Logik der Gliederung auch, denn es gibt keine. Wenn Frau Höhler nicht wirklich das Verdienst zugeschrieben werden müsste, diese Bundeskanzlerin als das durchschaut zu haben, was sie ist und das hier auch noch einmal an Beispielen zu demonstrieren, dann wäre dies ein recht leichtgewichtiges, oft übertrieben polemisches Buch ohne große Neuigkeiten. Allein der Blick hinter die Merkelsche Fassade macht es wertvoll.